Eine Windkraftanlage zu besteigen kann beschwerlich sein. Als nicht minder mühsam erweist sich das Energiegesetz.

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Genau 100 Tage ist es her, dass ÖVP und Grüne nach langem Tauziehen das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz (EAG) durch den Ministerrat gebracht und ans Parlament weitergeleitet haben. Kurz vor Beginn der parlamentarischen Sommerpause kommt jetzt Hektik auf, eine Sitzung jagt die andere.

Mittendrin die SPÖ, auf deren Zustimmung die Regierung wegen der benötigten Zweidrittelmehrheit angewiesen ist. Donnerstagnachmittag wurde weiter verhandelt. Bis Dienstag bleibt Zeit. Dann soll das EAG im Wirtschaftsausschuss behandelt und spätestens am 9. Juli, dem letzten Plenumstag des Nationalrats vor der Sommerpause, beschlossen werden. Eine Woche später wäre der Bundesrat am Zug.

Kosten einfangen

Die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Regierung mit der Opposition einig wird, ist in den vergangenen Wochen gestiegen. Beide Seiten sprechen von "Annäherungen". Wie groß sind die Unterschiede? Die SPÖ bekennt sich einerseits zum Ausbau erneuerbarer Energien und zum Regierungsziel, bis 2030 den Strombedarf in Österreich übers Jahr gesehen zu 100 Prozent aus Windkraft und Solaranlagen sowie anderen CO2-freien Energiequellen zu decken. Der Hauptunterschied zu Türkis-Grün besteht darin, dass die SPÖ eine Deckelung der Ökostromkosten für Haushalte bei 100 Euro will.

Durch den forcierten Ausbau der erneuerbaren Energien, der durch entsprechende Förderungen befeuert werden soll, könnten die Kosten aus dem Ruder laufen, befürchten die Sozialdemokraten. Die Regierung sagt, dem sei nicht so. Tatsächlich hat sich Türkis-Grün darauf verständigt, pro Jahr rund eine Milliarde Euro für den Ausbau von Photovoltaik, Wind und anderen sauberen Energieformen bereitzustellen. Der Ökostromausbau wird in Österreich aber nicht aus dem Budget finanziert, sondern über die Stromrechnung direkt von den Verbrauchern.

Dieses Mehr an Geld, das für den breitflächigen Ausbau erneuerbarer Energien ausgegeben werden soll, könnte die Kosten für einen Durchschnittshaushalt mit 3500 kWh Stromverbrauch im Jahr auf etwa 120 Euro treiben. Zusätzlich sollen 500 Millionen Euro für Wasserstoffinfrastruktur aufgebracht werden, allerdings gestreckt bis 2030. Auch dieses Geld muss irgendwo herkommen.

"Nicht von den ohnehin schon stark belasteten Haushalten", sagen SPÖ und Arbeiterkammer unisono. Zum Vergleich: Heuer zahlt ein Haushalt für Ökostrom knapp 100 Euro. Damit das so bleibe, soll der Finanzminister den Ökostromförderbeitrag von der Umsatzsteuer befreien, fordert die SPÖ.

Energiegemeinschaften

Menschen mit wenig Einkommen, die von der Fernseh- und Rundfunkgebühr (GIS) befreit sind, sollten laut SPÖ auch keine Ökostrompauschale zahlen müssen. Mit gutem Willen von beiden Seiten sollte eine Einigung möglich sein, sagten Experten dem STANDARD.

Am EAG hängt viel. Weil Planungssicherheit fehlt, werden derzeit so gut wie keine neuen Projekte realisiert. Auch die Bürger- und Erneuerbaren Energiegemeinschaften hängen ohne gesetzliche Basis in der Luft. Erstmals sollen sich ja Privatpersonen, aber auch KMUs zusammenschließen können, um gemeinsam Strom zu produzieren und zu vergünstigten Konditionen zu konsumieren.

"Wir orten starkes Interesse für solche Energiegemeinschaften, aber auch große Unsicherheit", sagt Dominik Kurzmann von PHH Rechtsanwälte. Als Treiber der Entwicklung könnten sich einzelne Gemeinden herauskristallisieren, die sich selbst an Erneuerbaren Energiegemeinschaften beteiligen können. Kurzmann rät, Energiegemeinschaften nicht als Vereine, sondern als Genossenschaften aufzusetzen.

Landesenergieversorger, die anfangs auf der Bremsen standen, sehen nun eine Geschäftsmöglichkeit. Sie wollen Energiegemeinschaften Dienstleistungen anbieten, von der Abrechnung bis zu Smart Metering. Kurzmann rechnet mit starkem Wettbewerb. (Günther Strobl, 25.6.2021)