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Utopisches Potenzial oder tödliche Gefahr für das Wirtschaftssystem? Der Bitcoin ist und bleibt umstritten.

Foto: Picturedesk.com / Hans Ringhofer

Am 18. Mai 2018 parkte in New York vor dem Hilton Hotel in Midtown ein orangefarbener Lamborghini. Der Mann, der ausstieg, versäumte nicht, seine Ankunft auf Twitter zu dokumentieren: "Did you see my ride today at #Consensus2018?" Arthur Hayes war die Zweideutigkeit des Wortes "ride" vermutlich bewusst. Denn er "ritt" schon seit einigen Jahren eine Welle, über die bei dem Technologiegipfel Consensus 2018 gesprochen wurde: Blockchainanwendungen, in erster Linie Kryptowährungen.

Mit seinem "Lambo Gambit", mit dem Angeberauto, spielte er bewusst eine Rolle: Arthur Hayes, der sich auf Twitter @CryptoHayes nennt, ist eines der Idole einer Szene, die sich seit ungefähr zehn Jahren ausgeprägt hat.

Digitale Währungen, allen voran Bitcoin, haben nicht nur wegen ihrer zeitweise atemberaubenden Wertsteigerungen einen Hype ausgelöst. Es geht im Grunde um noch viel mehr: um die Regierungsform der Zukunft.

Die Krypto-Idole wie Arthur Hayes werden bewundert, nicht nur wegen ihres Reichtums, sondern auch wegen ihrer Position jenseits staatlicher Ordnungen: ein Afroamerikaner aus der Mittelschicht, der eine Weile in der Bankenwelt Karriere machte, inzwischen aber in Singapur von den Profiten einer Firma lebt, die er auf den Seychellen gegründet hat.

Bei Bitmex kann man auf die Wertentwicklung von Kryptowährungen spekulieren, mit großem Hebel und unbefristet – die App bewirbt sich selbst mit dem Instrument des "perpetual swap", einer Art Dauerwette auf das Steigen oder Fallen von Kryptokursen.

Verkörperte Gier

Dass Vanity Fair die Geschichte von Arthur Hayes und Bitmex aufgeschrieben hat, hat mit einem Gerichtsverfahren zu tun, das aktuell gegen ihn anhängig ist: Die amerikanischen Finanzbehörden verdächtigen die Trading-App der Geldwäsche und werfen Hayes vor, die Kundschaft nicht hinreichend überprüft zu haben.

Er sieht sich also mit klassischen Regulierungsbemühungen konfrontiert. Das alte System, in dem Behörden und Banken die Macht haben, schlägt zurück. So jedenfalls kann man den Fall Hayes lesen, wenn man zu den Anhängern der Blockchainwährungen gehört. Und diese Anhängerschaft ist beträchtlich.

Für viele Fans von Krypto liegt die größte Gefahr in der Geldschwemme aus den Zentralbanken.
Foto: Imago / Martin Wagner

Der Kryptomilliardär ist ein Gegenwartstypus geworden, bei dem es um mehr geht als nur um Reichtum. In den 1980er-Jahren prägte Oliver Stone mit seinem Film Wall Street eine Figur, die für eine ganze Ära stand: Gordon Gekko, gespielt von Michael Douglas, war die verkörperte Gier. Aber seine Instrumente waren aus heutiger Sicht altmodisch.

Zentralbankgeld

Er kam aus einer Finanzindustrie, die rücksichtslos mit den Pensionsgeldern einfacher Leute spekulierte, aber diese Spekulationen fanden immer noch in traditionellen Kontexten statt: Belegschaften, Gewerkschaften, Firmenübernahmen, Insiderinformationen. Es war im Wesentlichen immer noch dieses System, das 2008 seine größte Krise erlebte, und es hat sich auch danach nicht groß verändert, es wurde nur mit extrem viel Geld von den Zentralbanken geflutet.

Ein Gordon Gekko von heute könnte Gregory Hollister sein. Eine erfundene Figur aus dem Kriminalroman Montecrypto von Tom Hillenbrand. Ganz klassisch gerät hier ein Privatdetektiv namens Ed Dante, ein Einzelgänger mit einer Schwäche für Mixgetränke, auf die Spur eines Manns, der mit dem Privatflugzeug über dem Golf von Mexiko verunglückt ist.

Hollister hatte allem Anschein nach für die Zeit nach seinem Verschwinden einen großen Plan: Mit mehreren Videos, die auf Youtube auftauchen, löst er eine globale Schatzsuche aus, denn er hat offensichtlich einen gigantischen Betrag in einem digitalen Wallet hinterlassen, nun geht es darum, dazu den Zugang zu finden.

Das globale Fußvolk

Am Beispiel eines jungen Paars aus der Slowakei schildert Hillenbrand dabei auch das globale Fußvolk, das an den großen Manövern der Kryptowelt teilhaben will. Agnesa und Zdenko aus Trnava haben sich vor einem Haus in Zug in der Schweiz eingefunden, in dem eine Stiftung residiert, die sich als Serverfarm entpuppt.

Sie geben Ed Dante einen wichtigen Hinweis, verstehen aber nur bedingt das große Spiel, um das es in Montecrypto wirklich geht. Denn Hollister ist für Hillenbrand nicht nur eine Chiffre für sagenhaften Reichtum und Exzentrik, eine Figur, bei der man vor allem an Elon Musk denken könnte, den Tech-Innovator und Investor, der mit seinen Tweets geradezu Milliardenbewegungen auszulösen imstande ist.

Hollister ist auch Anarchist, er nimmt die Hoffnungen der Kryptogemeinde auf eine neue Finanzordnung auf. Montecrypto folgt als Krimi den Regeln des Genres, hetzt von einem Schauplatz zum nächsten und stellt Ed Dante dabei auch eine smarte Partnerin namens Mercy Mondego zur Seite.

Tom Hillenbrand, "Montecrypto", 16,50 Euro / 448 Seiten. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2021
Cover: Kiebenheuer & Witsch

Nebenbei oder auf der eigentlich spannenderen Ebene des Buchs geht es dabei aber immer auch um die digitalisierte Geldwelt, in der wir uns heute zunehmend bewegen: um eine große Firma, die alltägliches bargeldloses Zahlen mit ausgeklügelten Bewegungsprofilen und Konsumanregungen verbindet, um Computergeld, das an den Dollar gebunden ist, und um entsprechende Deckungslücken sowie um die sagenhaften Wertsteigerungen, die Bitcoin in den Jahren aufzuweisen hatte, als Hillenbrand für sein Buch recherchierte und es schrieb.

Altes und neues Geld

Vor allem aber geht es um den Unterschied zwischen altem und neuem Geld: Das eine (das sogenannte Fiatgeld) wird von Banken geschöpft, das andere wird aus "Bergwerken" geholt, die reine Rechenprozesse sind. Das "Mining" erweist sich zunehmend als die Achillesferse der berühmtesten Kryptowährung.

Bitcoin hat in vielerlei Hinsicht Aspekte eines konzeptkünstlerischen Stunts, einer Art digitalen Gegenmanövers zu der Performance, in der Bill Drummond und Jimmy Cauty 1994 eine Million Pfund verbrannten, oder zu der Aktiengesellschaft, die von der Künstlerin Maria Eichhorn gegründet wurde, Unternehmenszweck: keine Profite machen, die 50.000 Euro Gründungseinlage ließ sie öffentlich sichtbar wegsperren.

Neben diesem Geld, das dezidiert nicht "arbeiten" sollte oder gleich ganz physisch dem System entzogen wurde, ist Bitcoin ein Geld, das auf ständiger Arbeit beruht, einem unentwegten Protokollieren, das immer mehr Energie verbraucht.

Dieser Tage wurde in der Volksrepublik China wieder eine Reihe von Bitcoin-Farmen geschlossen. Zu den Mysterien der Währung, deren Urheber Satoshi Nakamoto bis heute anonym ist, gehört eben auch, dass man sich beliebig in die Geldschöpfung einbringen kann, vorausgesetzt, man verfügt über entsprechende Rechnerleistungen.

Utopische Hoffnung

Es ist ein bezeichnendes Bild für die Schattenseiten des Bitcoin-Minings, dass neuerdings Versuche unternommen werden, Handys zu hacken, um sie heimlich als Rechenkapazität für Kryptobergwerke in der Ukraine oder in Malaysia mitlaufen zu lassen. Dem entsprechen in Montecrypto die "Handyplantagen", die Hollister für einen Großangriff auf das globale Finanzsystem präpariert hat.

In der Gegenwart sind jedoch stärker Anzeichen für Gegenangriffe dieses Systems zu verzeichnen. Das Gerichtsverfahren gegen Arthur Hayes weist deutlich in diese Richtung. Da hilft es dann auch nichts, dass Bitcoin "keine Adresse" hat, wie es die Fans gern betonen. Die Inhaber von Wallets haben in aller Regel eine, meist mehrere Adressen, und wenn sie sich nicht für immer in einem Schurkenstaat oder einem Steuerparadies verstecken wollen, unterliegen sie auch dem Zugriff von Finanzbehörden und anderen Regulierern.

Ben Mezrich, "Bitcoin-Milliardäre". Deutsch von Max Limper. 18,90 Euro / 352 Seiten. Redline, München 2020

Eine Szene in dem Sachbuch Bitcoin Billionaires macht sehr schön deutlich, von welchen utopischen Hoffnungen Bitcoin in seiner Frühzeit geprägt war. Ben Mezrich erzählt darin die Geschichte der Winklevoss-Zwillinge, die sich für die eigentlichen Erfinder von Facebook hielten, in einem Rechtsstreit mit Mark Zuckerberg aber schließlich einer Abfindung zustimmten.

Legal oder illegal

Sie hatten nun sehr viel Geld und suchten nach Möglichkeiten, es im Silicon Valley anzulegen. Es fand sich aber niemand, der sich von ihnen unterstützen lassen wollte, aus dem einen Grund, dass Facebook schon so groß war, dass die meisten Start-ups in erster Linie darauf hofften, gerade so erfolgreich zu werden, dass sie von dem gefräßigen sozialen Netzwerk aufgekauft werden konnten. Wie es bei Whatsapp und Instagram ja der Fall war.

Ben Mezrich schreibt Sachbücher, die sich wie Romane lesen. So hatte er in The Accidental Billionaires auch schon die Gründung von Facebook beschrieben, und so schildert er nun in Bitcoin Billionaires, wie die Winklevoss-Zwillinge Cameron und Tyler im Blue-Marlin-Beachclub auf Ibiza 2012 auf etwas Neues angesprochen werden, das für sie mit einem Reizwort versehen ist: "Geld als soziales Netzwerk? Das ist zweifellos eine spannende Idee."

Mezrich weiß bis in die Fußballen von Tyler Winklevoss, wie sich der warme Stein im Beachclub anfühlt, in dem er noch den Puls der Beats verspürt, zu denen die Reichen und Schönen tanzen. Aber mit dem Gespür eines heutigen Non-Fiction-Balzac trifft Mezrich auch genau den systemischen Punkt, um den es bei Bitcoin von Beginn an ging. "Kryptowährung? Das klingt irgendwie illegal."

"Legal oder illegal, das ist nicht der Punkt. Bitcoin hat damit nichts zu tun." Der Mann, der die Winklevoss-Zwillinge auf Bitcoin anfixte, heißt David Azar. Er betrieb damals in Brooklyn ein Unternehmen, bei dem Menschen ohne Bankkonto ihre Gehaltsschecks in Bargeld umtauschen konnten.

Hürden der Banken

Dieses Motiv wird bis heute immer wieder für Bitcoin ins Treffen geführt. Banken sind Systeme, die Hürden zwischen den Menschen und dem Geld errichten. Sie verlangen Zinsen für Kredite und geben für Sparbücher viel weniger. Sie lassen bei Überweisungen das Geld immer noch für lächerlich lange Zeit irgendwo verschwinden, bis es beim Empfänger gebucht wird.

Kreditkarten locken mit attraktiven Konditionen, holen sich aber über versteckte Gebühren alles und mehr zurück. Wenn man dann gar noch auf Western Union oder Moneygram angewiesen ist wie viele Menschen mit Verwandtschaft in ärmeren Ländern, denen sie Bargeld überweisen, dann wird man geradezu geschröpft.

Bei Bitcoin hingegen ist alles immer nur eine Transaktion, peer-to-peer. Man muss nur dabei sein. Für Menschen, die sich dem Digitalen entziehen wollen, wird es schwierig.

Exzessive Gebühren

Die exzessiven Gebühren von Western Union wurden ausdrücklich als Argument genannt bei dem überraschenden Beschluss des kleinen mittelamerikanischen Staates El Salvador, Bitcoin als legale Währung einzuführen. Präsident Nayib Bukele, der sich diese Maßnahme kürzlich vom Parlament bestätigen ließ, ist eine schillernde Figur. Er könnte zum nächsten Hugo Chavez werden, also zu einem neuen Idol einer globalisierungskritischen Linken aus Südamerika.

Es könnte aber genauso gut sein, dass El Salvador, ein Land ohne eigene Währung, in dem bisher nur der Dollar zählte, zu einem Pariastaat wird. Interessanterweise verknüpft Bukele sein Manöver mit einem Vorschlag, wie das Ressourcenproblem von Bitcoin behoben werden könnte: Er will die Rechenleistung geothermisch mit Energie versorgen, wobei auch da wiederum undurchsichtig ist, welchen Interessen mit diesem Geschäft gedient wird. Mit dem "vulkanischen" Mining hat Bukele aber immerhin schon einmal ein bildkräftiges Schlagwort in die Welt gesetzt.

Der Fall El Salvador

Der Fall El Salvador ist deswegen so interessant, weil er etwas an den Kryptowährungen erkennbar werden lässt, was zwar immer klar war, aber von den internationalistischen, digital-globalen Fans gern verdrängt wird: Es braucht irgendwo einen Anschluss an die analoge Wirklichkeit.

Ein kleiner Staat in Zentralamerika, dessen Politik immer von der Übermacht der nahen USA bestimmt war, bekommt mit Bitcoin einen Hebel, um dem Dollar-Regime etwas entgegenzusetzen. Bukeles Idee ist wohl purer Populismus, den Überlebenssorgen der kleinen Leute hilft er wenig, und der Internationale Währungsfonds hat sich auch sofort mit einer Rüge vernehmen lassen: Wenn El Salvador dort weiterhin kreditwürdig bleiben will, sollte es sich das mit Bitcoin noch einmal überlegen.

Dieser Kampf zwischen David und Goliath ist aber nur ein Schaukampf, während die eigentliche Auseinandersetzung eine zwischen staatlichen und überstaatlichen Strukturen ist. Die Winklevoss-Zwillinge ließen sich für Bitcoin begeistern, weil sie darin ein neues Facebook sahen, ein Netzwerk von Besitzern von Geldbörsen (Wallets).

Ablenkungsmanöver

Und Facebook selbst sieht sich ja längst als die bessere Uno, arbeitet an einem eigenen Geld und suggeriert eine Heimat im Digitalen, die keine nationalen Grenzen kennt. Das Konzept der territorialen Souveränität, ein Grundpfeiler der politischen Ordnung der Moderne, steht durch Dienstleistungen, die Facebook oder Google "anbieten", zunehmend infrage.

Arthur Hayes hat sich den amerikanischen Behörden schließlich in Honolulu gestellt, also auf halbem Weg zwischen Asien und Amerika. Das Gerichtsverfahren um Bitmex könnte zu einem Musterprozess werden für die Fragen, die auf dem Spiel stehen.

Denn der Vorwurf, Kryptowährungen seien ein Einfallstor für Schwarzgeld, für Gewinne aus Korruption und Verbrechen, ist auch ein Ablenkungsmanöver. Die Nationalstaaten halten nach wie vor viele Türen offen für dubiose Geldströme, solange sie nur in ihre Richtung fließen.

Inflation und Petrodollar

Der fiktive Kryptomogul Gregory Hollister hingegen steht für einen Aspekt an den Blockchainwährungen, den auch die meisten Anhänger lieber nicht zu Ende denken: Er ist ein Systemsprenger. Der weltweite Kollaps der Finanzordnung taucht bei Tom Hillenbrand in Montecrypto am Horizont als ein Geschehen auf, in dem Informationsmanipulation und ein gigantischer Hack zusammenkommen.

Für die Fans von Krypto hingegen liegt das apokalyptische Motiv in der Geldschwemme aus den Zentralbanken. Das zeigt sich auch in der Verteidigungslinie von Arthur Hayes, nicht vor Gericht, sondern vor der Weltöffentlichkeit.

Für ihn läuft die Zeit der Petrodollars auf eine große Inflation hinaus. "Und was kommt üblicherweise nach einer Inflation? Ein Krieg oder eine Revolution", schrieb er auf seinem Blog. Die Revolution ist vielleicht sogar schon im Gange. Es wäre dann eine, bei der die Lenins gern im Lamborghini kommen. (Bert Rebhandl, ALBUM, 26.6.2021)