Bild nicht mehr verfügbar.

Ist das Coronavirus tatsächlich erstmals im Dezember 2019 auf einem Fischmarkt in Wuhan aufgetreten? Eine britische Studie kommt zu einem anderen Schluss.

Foto: Reuters

Wien – Eine britische Studie stellt die Darstellung Chinas über den Beginn der Corona-Pandemie infrage. Wissenschafter der Universität von Kent gehen davon aus, dass sich das Virus bis zu zwei Monate früher in der Volksrepublik ausgebreitet haben könnte als bislang allgemein angenommen. Ihrer am Freitag im Fachblatt "PLOS Pathogens" veröffentlichten Untersuchung zufolge dürfte der Erreger in einem Zeitraum von Anfang Oktober bis Mitte November 2019 erstmals aufgetreten sein.

Als wahrscheinlichsten Termin nennen die Experten den 17. November. Anschließend habe sich das Virus, das die Covid-19-Krankheit auslösen kann, wahrscheinlich bis Januar 2020 bereits in alle Welt ausgebreitet, schlussfolgern sie. Ihre Schätzungen basieren auf einer Methode der "ökologischen Modellierung" und bestätigen Ergebnisse einer Untersuchung in "Science", die im April mit einer anderen Methode zu ähnlichen Ergebnissen kam.

Der erste offizielle Covid-19-Fall in China datiert von Dezember 2019. Er wurde mit einem Fischmarkt in der Stadt Wuhan in Verbindung gebracht. Allerdings gibt es andere frühe Fälle, bei denen ein Zusammenhang mit dem Fischmarkt nicht bekannt ist. Dies legt nahe, dass der Erreger bereits im Umlauf gewesen sein könnte, bevor er den Markt erreichte. Eine Ende März dieses Jahres vorgelegte gemeinsame Studie Chinas und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) kam zu dem Ergebnis, dass es bereits vor dem Ausbruch in Wuhan sporadische Infektionen von Menschen gegeben haben könnte.

Brisante Debatte

Die Debatte über die Herkunft des Coronavirus ist politisch hochbrisant. China steht international unter Druck, für Transparenz zu sorgen und Forschern Zugang zu den erforderlichen Daten zu ermöglichen. US-Präsident Joe Biden sagte zuletzt, es gehe darum herauszufinden, ob das Coronavirus natürlicher Herkunft sei oder das Ergebnis eines "Experiments, das in einem Labor schiefgegangen ist".

Eine weitere Studie, die am Donnerstag als noch nicht fachbegutachteter Preprint erschien, bestätigt auf wieder andere Weise die Annahme, dass der Fisch- und Wildtiermarkt nur der Ort des ersten Superspreadings war, aber nicht der Ort des Übersprungs. Der US-Forscher Jesse Bloom konnte einen Datensatz mit SARS-CoV-2-Sequenzen aus der Frühphase der Wuhan-Epidemie rekonstruieren, der aus dem Virengenom-Archiv der National Institutes of Health (NIH) gelöscht wurde.

Rekonstruierte Genomsequenzen

Bloom stellte die gelöschten Dateien aus der Google Cloud wieder her und rekonstruierte Teilsequenzen von 13 frühen Virenproben. Seine phylogenetische Analyse dieser Sequenzen legt ebenfalls nahe, dass die Virenproben vom Fischmarkt, die im Mittelpunkt des gemeinsamen Berichts von WHO und China stehen, nicht vollständig repräsentativ sind für die Viren in Wuhan zu Beginn der Epidemie.

Was bedeuten die neuen Rekonstruktionen? In der Frage, ob das Virus aus dem Labor entwich, bringen Blooms Forschungen keine Bestätigungen, aber auch keine Widerlegungen, wie ein Artikel in "Science" resümiert. Offen bleibt freilich auch die Frage, warum diese frühen Virussequenzen aus der Datenbank überhaupt gelöscht worden sind. (tasch, Reuters, 25.6.2021)