Emmy Haesele bei ihrer Ausstellung 1972.

Foto: Haesele Wert-Galerie

Es war für unsere Autorin Magdalena Miedl damals als Zehnjährige ein unvergesslicher Entdeckerinnenmoment, als ihr klar wurde, dass dies kein anonymer Schreibtisch war, sondern der der bekannten Künstlerin Emmy Haesele.

Foto: Reinhard Haider

Seidenglattes Holz, ein tief in die Maserung gesickerter Tuschefleck, zwei Schubladen. An diesem Tisch habe ich meine ersten Arbeitsjahre als Journalistin verbracht, und bei jedem Mal, die Beine überschlagen, das Knie eingeklemmt. Derzeit steht der Tisch in der Ausstellung Die gezeichnete Welt der Emmy Haesele im Lentos in Linz. Ab 1948 war er der Arbeitstisch der Künstlerin Emmy Haesele in Bad Aussee. Es war ihre schaffensreichste Zeit, nach enormen persönlichen Verlusten: Haesele hatte ihren Liebhaber, ihren Mann, ihren Sohn und ihren Schwiegersohn verloren und außerdem ihren Seelenfrieden.

Zu mir gefunden hat der Tisch, weil er viele Jahre später mit Haeseles Sommerfrische-Bibliothek und anderem Hausrat auf einem Flohmarkt der freiwilligen Feuerwehr in Bad Aussee landete, wo ihn mein Vater um zwanzig Schilling kaufte. Erst beim Ausladen aus dem Auto rutschten die Schubladen auf, darin Werbekugelschreiber, eine kleine Lupe, eine Brille, Tintenbleistifte und Tuschefedern. Außerdem ein paar Ansichtskarten, begonnene Skizzen und mehrere handgezeichnete Neujahrsgrußkarten, etwa mit einem dynamischen Kasperl, der die Jahreszahl 1949 hochhält: "Was es auch bringen mag, trag es mit Humor!"

Unvergesslicher Moment

Es war für mich, die damals Zehnjährige, ein unvergesslicher Entdeckerinnen-Moment, als klar wurde, dass dies kein anonymer Schreibtischkrimskrams war, sondern der einer bekannten Künstlerin. Viel später wurde der Tisch dann meiner.

Doch erst jetzt, anlässlich der Ausstellung, für die Lentos-Kuratorin Brigitte Reutner-Doneus den Tisch ausgeliehen hat, beginne ich zu recherchieren: Wer genau war diese Frau, deren Tisch mir immer etwas zu niedrig war? Und warum ist das Erste, was im Zusammenhang mit ihrem Namen auftaucht, der Name eines Mannes – Alfred Kubin?

Emmy Haesele war von Kindheit an eigensinnig. Geboren 1894 als Tochter einer protestantischen Wiener Ärztefamilie, interessierte sie sich früh für das Jenseitige ebenso wie für Schlangen, Frösche und Getier. Sie scheute nicht zurück vor dem Existenziellen, seien es Motorradfahrten, Klettertouren oder die Lektüre theosophischer Texte, ist bei ihrer Biografin Barbara Wally nachzulesen.

Mit zwanzig heiratet sie ihren Jugendfreund Hans Haesele, gemeinsam ziehen sie in das Salzburger Bergdorf Unken, wo er Gemeindearzt wird. Doch das Der-Welt-fern-Sein langweilt sie tödlich. Die Haeseles besitzen ein Klavier, laden weitgereiste Gäste ein, pflegen ihre Bibliothek, und sie reisen nach Darmstadt, um an der "Schule der Weisheit" Vorträge zu hören, wo auch C. G. Jung lehrt. Daheim in Unken raunt man über die Doktorsfrau, die mit einem Fuchs an der Leine spazieren geht.

Bei Besuchen in Salzburg treffen die Haeseles den Münchner Schriftsteller Oskar A. H. Schmitz, der bei Jung während einer Psychoanalyse Traumzeichnungen anfertigt. Er ermutigt Emmy Haesele, ebenfalls zu zeichnen, und erste Arbeiten entstehen, Buntstiftzeichnungen mit fantastischen Szenen.

Schmitz, der mit dem längst berühmten Künstler Alfred Kubin verschwägert ist, zeigt ihm einige von Haeseles Zeichnungen. Zwischen Haesele und Kubin, der mit seiner Frau in Zwickledt an der bayrischen Grenze lebt, entspinnt sich eine briefliche Freundschaft, die bald zu regelmäßigen Treffen der Ehepaare führt.

Glück und Tragik eines Lebens

Hier beginnen das Glück und die große Tragik dieses Lebens: Aus dem Austausch in seinem Atelier und langen Spaziergängen wird eine Liebe fast mythologischen Ausmaßes. "Zwillingsurweib" nennt Kubin sie in seinen Briefen, die vollständig erhalten sind. Haesele hat alles gesammelt und seinem Archivar Kurt Otte geschickt, im Bewusstsein der verliebten Person, die um die historische Bedeutung ihres Gefühls weiß.

Die Zweisamkeit mit Kubin ist so heftig und groß, dass sich alles ihr unterwerfen muss. Hans Haesele lässt die Liebesbeziehung seiner Frau geduldig zu, Kubins Ehefrau Hedwig ist derlei Kummer ohnehin gewöhnt, die Mägde habe er "zur Abtreibung nach Passau" geschickt, heißt es.

Emmy Haeseles Kompromisslosigkeit dieser Jahre ist erstaunlich. Auch ihre Kinder – sie hat mit Hans den Sohn Heinz und die Tochter Elisabeth – müssen vor dieser Liebe zurückstehen. Kubin, der sich mit Ende fünfzig als alternden Mann empfindet, versetzt der Austausch in eine enorm produktive Phase, sie, Ende dreißig, fertigte in dieser Zeit nur wenige Zeichnungen an. Dabei zeigt er ihr seine umfangreiche Bibliothek und Kunstsammlung, hier lernt sie Arbeiten von James Ensor, Edvard Munch und vielen anderen kennen, weiß Brigitte Reutner-Doneus.

Archetypische Gestalten

1936 beendet Kubin die Liebesbeziehung abrupt. Für Emmy Haesele eine Naturkatastrophe, wie in Brita Steinwendtners Buch Du Engel, du Teufel nachzulesen ist. Sie beginnt wieder zu zeichnen, stilistisch und technisch von Kubin und Künstlern aus seiner Sammlung beeinflusst, aber thematisch nah an Jung, Animus und Anima ist diese Phase in der Ausstellung im Lentos übertitelt.

Immer wieder sind da archetypische Männer- und Frauengestalten dargestellt, oft Frauen in großer Bedrängnis, etwa eine junge Nackte "vom Drachen gefangen", um die sich ein Krokodil schützend oder bedrohlich ringelt.

Der schriftliche Austausch mit Kubin ist weiterhin anregend, auch wenn die beiden sich politisch zerstreiten. Den "Anschluss" im März 1938 feiern die Haeseles. Hans und Sohn Heinz sind überzeugte Nazis, auch Emmy Haesele ist vom Wir-Gefühl mitgerissen, wie in ihren Tagebüchern nachzulesen ist.

Hans fährt nach Salzburg und sieht die Ausstellung Entartete Kunst, deren Titel er beifällig kommentiert. Er entdeckt dort eine Federzeichnung von Kubin und schreibt Kubins Archivar Otte, dass der dagegen etwas unternehmen möge.

Schrecken des Krieges

Die Schrecken des Krieges werden ein wichtiges künstlerisches Thema für Emmy Haesele. Im Luftschutzkeller drängen sich verzagte Gestalten unter einer flammenverzehrten Stadt. Als ihr Mann Hans und ihr Sohn Heinz in den Krieg ziehen, zeichnet sie Berge von Gefallenen. Sie ahnt den Tod von Heinz um Monate voraus, im Sommer 1940 kommt die Bestätigung.

Ihr Mann Hans arbeitet als Stabsarzt auf dem Balkan, Emmy Haesele träumt auch von seinem Tod. Mit fast fünfzig Jahren meldet sie sich als Flakwaffenhelferin, sucht wie schon in ihrer Jugend das Extrem und stellt Gott vor die Wahl: Er oder ich? Als junge Frau war sie eine Freidenkerin, jetzt schwärmt sie in einem Brief an Kurt Otte: "Es ist ein unbeschreibliches Gefühl: ein Teil dieses Ganzen zu sein!" Im Herbst 1944 wird Hans vermisst, auch er kehrt nicht mehr zurück.

Konvertierung zum Katholizismus

Unmittelbar nach Kriegsende verrät eine Nachbarin der amerikanischen Militärpolizei, dass in Haeseles Stadel eine Waffe vergraben ist und dass sie einem SS-Mann geholfen hat. Emmy Haesele muss für sechs Monate ins Gefängnis. Der Briefkontakt zu Kubin ist nach wie vor aufrecht, sie rechtfertigt sich, dass sie zwar den Nationalsozialismus unterstützt habe, aber niemals Anhängerin Adolf Hitlers gewesen sei.

Haesele beginnt nun wieder nach Zwickledt zu reisen, schleicht heimlich ums Haus. 1948 zieht sie nach Bad Aussee, in die Mansarde im Haus ihrer Schwester. Sie hat einen anregenden Freundeskreis, zu dem unter anderem den Kunstsammler Wolfgang Gurlitt zählt, Leiter der Neuen Galerie in Linz (heute Lentos), der ihr zu ihrer ersten Ausstellung verhilft. Dass Kubin die Eröffnungsrede schreibt, lehnt sie ab, beschließt endlich, die Beziehung hinter sich zu lassen.

Im Jahr 1950 konvertiert sie zum Katholizismus. Sie empfindet das, was ihr an Verlusten widerfahren ist, als Strafe für ihren Ehebruch. Auf den Bildern aus dieser Zeit werden moralische Fragen immer deutlicher, oft ist da die Figur in der Mitte eine Leidende, während rundherum gefeiert wird.

Die große Freiheit, die sie sich als jüngere Frau ihrer Familie und ihrem Ehemann, auch der Gesellschaft gegenüber erlaubt hat, weil es die Notwendigkeit ihrer Liebe erfordert hat, kippt jetzt ins andere Extrem. 1960 zeichnet sie die drastische Verurteilung einer Abtreibung: Eine schwangere, bös lächelnde Frau liegt auf einem Berg von Schädeln, während ihr ein spitzohriger Hund Kinder aus dem Leib zerrt.

Der Kasperl als Mentor und Erlöser

Homo Ludens, 1962
Foto: Susanne Maschek

Auf vielen Blättern ist da auch der Kasperl, den ich von den Neujahrskarten aus der Schublade kenne, als blumenschwenkender Harlekin am Rande eines Pandämoniums, als Jongleur inmitten entsetzter Menschenmassen. Was auf den Grußkarten wie ein spaßiger Begleiter ins neue Jahr wirkt, ist für Haesele viel mehr, er verkörpert "das Darüberstehen über Ängsten und Sorgen und Leid", wie Reutner-Doneus aus Haeseles Tagebüchern weiß, "er ist ein Christussymbol, ein Hofnarr, eine Art Mentor und Erlöser".

1956 übersiedelt Emmy Haesele von Bad Aussee nach Wien, um ihre pflegebedürftige Mutter zu versorgen. Sie zeichnet bis in die späten Siebziger, erst als sie sich 1979 bei einem Haushaltsunfall die Hand schwer verletzt, ist an Zeichnen nicht mehr zu denken. Sie wird 94 Jahre alt.

Wie sie aus der Trennung von Kubin und sogar aus ihren Schuldgefühlen Schöpferkraft bezog, ist ebenso spannend wie bedrückend. Es ist das irritierende Nebeneinander in ihrem Leben, das sie so faszinierend macht, über ihre Kunst hinaus: die Ablehnung von Konventionen, später die konservative Haltung, ihre Begeisterung für den Nationalsozialismus und der Hang zu Extremen.

Diese Widersprüchlichkeit beschäftigt auch Brigitte Reutner-Doneus. "Wir haben im Lentos lange diskutiert, ob wir die Kunst einer Mitläuferin ausstellen sollen, und haben das in der Ausstellung thematisiert", so die Kuratorin. "Die Besucher und Besucherinnen sollen sich dieses Konflikts bewusst werden. Viele von ihnen haben vielleicht auch in ihrer Vorgängergeneration ehemalige Nazis, aus diesem Grund finde ich das spannend."

Im Herbst wird das Lentos im selben Rahmen wie Emmy Haesele eine Zeitgenossin ausstellen. Die österreichische Künstlerin Ida Maly wurde 1943 in der NS-Tötungsanstalt in Hartheim ermordet. Für ihre Ausstellung hat das Lentos dasselbe Budget von 20.000 Euro zur Verfügung, zusätzlich gibt es aber 16.000 Euro Förderung vom Bund, so Reutner-Doneus: "Dass Ida Maly vom Bund eine solch massive Unterstützung bekommt und Emmy Haesele nicht, halte ich für sehr gerecht." (Magdalena Miedl, ALBUM, 26.6.2021)