Fast perfekt. Endlich haben alle (durch die Pandemie) begriffen, dass es um Menschen geht, nicht um Zahlen. Der Zwang zur agilen Arbeit bringt Selbstbestimmung, ebenso die freie Wahl der Arbeitsorte. Das Oben und Unten in der Hierarchie ist aufgelöst, und Demokratie ist in die Firma eingezogen. Zudem geht es bei der Arbeit um die Gesundheit, und der neue Leistungsbegriff heißt Wohlfühlen. So – oder so ähnlich – lautet die Botschaft der neuen Arbeitswelt.

Kann das wirklich wahr sein? Was stimmt davon, was ist im Gange, und wohin führt es? Christian Marquart aus dem Kompetenzteam New Work, New Business der Stadt Wien hat dazu an der Fachhochschule des BFI Wien in dieser Woche die Tagung "Arbeitswelt 2021+ – quo vadis?" organisiert. In Kooperation mit dem KarrierenStandard diskutierten die Wissenschafterinnen Bettina Kubicek (Professorin für Arbeitspsychologie, Uni Graz) , Barbara Waldhauser (Leiterin des Kompetenzzentrums New Work, New Business) und die Praktikerinnen Nina Schmidt (Personalleiterin bei Microsoft Österreich) und Verena Binder-Krieglstein (zuständig für Employee-Experience in der Personalabteilung von A1). Der Erlös geht an die St.-Anna-Kinderkrebsforschung.

Einigkeit herrscht zum Thema hybrides Arbeiten. Überall dort, wo es möglich ist, werden Unternehmen künftig eine Mischung der Arbeitsorte anbieten. Allerdings, warnt Barbara Waldhauser, gehe es dabei stark darum, Ungleichheiten in den Belegschaften auszugleichen: "Wir wissen jetzt schon, dass tendenziell Frauen Homeoffice wählen werden und eher introvertierte Personen."

Büros werden laut den Expertinnen künftig den Mehrwert des kreativen und informellen Austauschs bieten und Orte der Wissensweitergabe sein.
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Heterogene Perspektiven

Dass sich der Wunsch nach Homeoffice sogar zu einem Stigma entwickeln könnte, ließen kürzlich die Bosse der weltgrößten Finanzkonzerne bei einer CEO-Tagung des Wall Street Journal wissen. "Wer echte Leistung bringen will, der wird nicht Homeoffice wählen", hieß es da etwa. Andererseits ergab eine aktuelle Umfrage von EY, dass die Hälfte der Millennials bereit ist, die Sachen in der Firma zu packen, wenn diese nicht tageweise Homeoffice anbietet. Weitere Wege ins (tageweise) Büro werden laut Umfragen gerne in Kauf genommen.

Es scheint nun Wirklichkeit zu werden, dass die Unternehmenskultur entscheidet, wer was bietet und wer somit für welche Gruppen ein attraktiver Arbeitgeber ist. Eine gute Nachricht für Einsteiger – sie können sich diese Punkte für den zukünftigen Job jetzt genau ansehen. Allerdings: Faire Chancen bei der Wahl der Arbeitsorte innerhalb der Belegschaft sicherzustellen entwickelt sich aktuell gerade zu einer großen Herausforderung. Dass Büros künftig den Mehrwert des kreativen und informellen Austauschs bieten und Orte der Wissensweitergabe sein werden, meinen die Expertinnen einhellig.

Professorin Kubicek sieht auch eine weitere Flexibilisierung der Arbeitszeit voraus. Unternehmen (und der Gesetzgeber) werden Arbeitenden bei ihrem Wunsch nach der idealen Arbeitszeit entgegenkommen müssen. Gekommen, um zu bleiben, ist damit auch der Fokus auf die Arbeitsgesundheit, sowohl in der Schulung der Führungskräfte als auch in der Angebotspalette gesundheitsförderlicher Maßnahmen der Unternehmen und in der Stärkung der Gesundheitskompetenz in der Belegschaft. Die Anstrengungen zum Wohlbefinden (Well-Being) im Job werden sich in Unternehmenskulturen etablieren, ist Microsoft-Personalchefin Nina Schmidt überzeugt. Oder hofft das zumindest: "Das darf kein Lippenbekenntnis bleiben."

Was wollt ihr?

Agilisierung, gibt Kubicek zu bedenken, bedeute auch Intensivierung der Arbeit – was nicht nur gesundheitliche Begleitung notwendig mache, sondern auch als mögliche Diskriminierungsfalle angesehen werden müsse. Nicht alle packen das.

Aber wie genau soll der Prozess der Gestaltung der neuen Arbeitswelt jetzt, nach dem vielen erzwungenen Wandel durch die Pandemie, gestaltet werden? Vielerorts sind ja Konflikte ausgebrochen zur Frage, wer künftig was darf und welche Ressourcen wofür erhält. Verena Binder-Krieglstein geht es pragmatisch an und hat das bei A1 auch so gemacht: "Man könnte ja die Belegschaften fragen: Was wollt ihr behalten?" Bei A1 hat das, berichtet sie, schon zu drei verschiedenen Remote-Working-Modellen geführt, auch für die Service-Lines, wie sie betont. Wichtig in diesen Prozessen sei, mahnt sie, mit Erwartungen vorsichtig umzugehen und diese nicht zu hoch zu stecken.

Was im Business-Sprech so gerne als "Mindset" bezeichnet wird, strapaziert die Runde mehrmals. Sowohl zum Thema digitales Mindset – also quasi das Nachrüsten der Belegschaft in digitalen Kompetenzen – als auch in Fragen der Führungskultur: Ob die vielzitierte Vertrauenskultur, die durch Homeoffice teilweise erzwungen wurde, auch gekommen ist, um zu bleiben, ist noch unklar. "Mindset" ist für Binder-Krieglstein auch der Dreh- und Angelpunkt der Gestaltung der neuen Arbeitswelt: Es gehe nicht um viel Geld, man könne mit der kleinsten Ressource mit der richtigen Haltung vieles möglich machen. (Karin Bauer, 26.6.2021)