Darf's ein bisserl mehr sein? Neos-Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr stockt Personalstunden für "Härtefälle" auf.

Foto: imago images/SEPA.Media

Wien – Der Aufschrei an vielen Wiener Pflichtschulen hat offenbar Wirkung gezeigt: Neos-Bildungsstadtrat und Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr kündigte am Freitag an, zusätzliches Geld für jene "Härtefälle" in die Hand nehmen zu wollen, die zwar als "Brennpunktschulen" gelten, aber trotzdem bei der Verteilung der Lehrpersonalstunden für Herbst mit einem Minus ausgestiegen sind.

Bund soll einspringen

In einer eilig einberufenen Pressekonferenz erklärte Wiederkehr: "Wir haben noch einmal alle Kräfte gebündelt." Das seien "eine Kraftanstrengung" und Extrameilen, die Wien aber nicht dauerhaft gehen will. Erneut ist es der Bund, der jetzt aus Sicht des Stadtrats mehr Mittel zur Verfügung stellen soll: Es brauche "1.000 zusätzliche Lehrerinnen und Lehrer", rechnete Wiederkehr vor – er werde also für einen bundesweiten Chancenindex kämpfen.

Wien soll Döbling und Ottakring ausgleichen

Die grüne Bildungssprecherin Sibylle Hamann erklärt dazu auf Nachfrage des STANDARD: "Ich bin mir gar nicht sicher, ob Wien in diesem Modell insgesamt besser abschneiden würde." Immer noch sei der Bildungsstatus der Eltern ja ein wesentliches Kriterium bei der Ressourcenverteilung auf Basis sozialer Kriterien. Und dieser Bildungsstandard sei wienweit nicht unbedingt niedriger als etwa in Kärnten. Wollten die Wiener wirklich mehr Gerechtigkeit ins System bringen, müssten sie ihren "Mini-Chancenindex" nur feiner justieren, glaubt Hamann. Denn wenn Wiederkehr argumentiere, eine Schule am Wörthersee könne nicht gleich behandelt werden wie eine Schule in Ottakring, dann halte sie dagegen: Es gebe auch in Döbling Schulen, die auf Basis ihrer sozialen Zusammensetzung Ressourcen an Schulen in weniger wohlhabenden Bezirken abtreten könnten.

Problem eingrenzen

IHS-Bildungsforscher Lorenz Lassnigg stützt diese Argumentation im STANDARD-Gespräch nur bedingt mit Empirie: Er erklärt, dass die benachteiligten Schulen österreichweit vor allem in den Städten konzentriert sind, und auch hier lässt sich das Problem noch einmal eingrenzen: "Die rund 400 besonders benachteiligten Schulen, besonders jene mit nicht-deutsche Umgangssprache sprechenden Schülerinnen und Schülern sind stark auf eine vergleichsweise kleine Zahl von Bezirken konzentriert." Lassnigg empfiehlt also eine passgenauere Mittelverteilung via bundesweiten Sozialindex: "Das sollte gemacht werden." Er fragt sich, warum Österreich dafür nicht um jene EU-Mittel angesucht hat, die zur Bewältigung der Corona-Krise für den Bildungsbereich ausgeschüttet werden.

Antwort aus dem Bildungsministerium: Da es sich dabei nicht um eine "auslaufende Maßnahme" handle, habe man dafür gar nicht einreichen können.

Krisengespräche

Zurück zur Wiener Stadtpolitik, wo Wiederkehr trotz Nachbesserungen seinen für ihn "alternativlosen" Systemwandel verteidigt. Ihm gehe es "um Gerechtigkeit", weil ihm "alle Kinder am Herzen liegen". Das jetzt nachträglich aus dem Ärmel geschüttelte Stundenplus werde zwar wieder nicht alle Standorte restlos glücklich machen, allerdings: "Klassenzusammenlegungen wird es keine geben müssen." Und wenn doch, würden das die Schulen wohl aus anderen Gründen so entscheiden.

Für Montag ist jedenfalls ein Krisengespräch mit Schul- und Elternvertretungen angesetzt. Zahlreiche weitere Nachverhandlungen müssen dann die Schulqualitätsmanagerinnen und Schulqualitätsmanager vor Ort führen. Die Mittel für die zusätzlichen rund 100 Lehrkräfte pro Woche (in Vollzeitäquivalenten) kommen übrigens aus dem so genannten "Überhangskontingent". Dieses soll in der Umstellungsphase jedenfalls vollständig ausgeschöpft werden, heißt es auf Nachfrage des STANDARD im Büro des Bildungsstadtrats. (Karin Riss, 25.6.2021)