Nach dem Katastrophenjahr 2020 rechnen die Wirtschaftsforscher schon heuer mit einer kräftigen Erholung und im kommenden Jahr mit noch mehr Wachstum. Doch neben diesem Optimismus werden immer öfter warnende Stimmen über Gefahren laut, die kurzfristig und langfristig auf die Wirtschaft zukommen.

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1. Immobilienkrise

Dass Immobilien in Österreich von Jahr zu Jahr teurer werden, merkt jeder, der eine Wohnung oder ein Einfamilienhaus sucht. Zu der Sorge vor steigenden Wohnkosten aber kam vor wenigen Tagen eine neue Warnung hinzu: Ein Gremium der Nationalbank warnte vor einer Überhitzung des Immobilienmarktes – also vor einer Blase, die dann platzen könnte.

Außerdem würden Banken zu leichtfertig Wohnkredite vergeben. Sollten die Preise wieder fallen, würden nicht nur Vermögen schrumpfen, sondern auch Kredite nicht mehr zurückbezahlt werden können, was die Stabilität des Bankensystems gefährden könnte. Erinnerungen an die Finanzkrise von 2008 wurden wach.

Viele Ökonomen halten diese Befürchtungen für überzogen. Zwar seien die Preise in Österreich seit 2006 stärker gestiegen als in anderen europäischen Staaten, aber auch die Bevölkerung sei kräftig gewachsen, sagt Stefan Bruckbauer, Ökonom der Unicredit Bank Austria. Die Entwicklung sei nicht besonders stark von Krediten getrieben. "Es kommt nun ein großes Angebot von Neubauten auf den Markt, aber selbst wenn die Preise dann wieder fallen, sehe ich keine Immobilienkrise", sagt Bruckbauer.

2. Inflation

Auch andere Preise sind zuletzt gestiegen, vor allem für Baumaterialien und stark nachgefragte Konsumgüter wie Fahrräder. In den USA sind auch Gebrauchtwagen und Flugtickets teurer geworden. Dort ist auch die Inflation im Mai auf fünf Prozent gestiegen, den höchsten Wert seit 13 Jahren. Hierzulande gibt es auch im Wirtshaus gelegentlich böse Überraschungen.

Erleben wir eine Entwicklung wie in den 1970er-Jahren, als das Preisniveau zeitweise zweistellig gestiegen ist? Kritiker der Niedrigzinspolitik der Notenbanken haben schon lange davor gewarnt, dass die Geldschwemme früher oder später die Preise in die Höhe schießen lasse. Doch von der Geldentwertung früherer Jahrzehnte ist nichts zu merken.

Viele Preise kehren dorthin zurück, wo sie vor der Pandemie lagen, und in der Baubranche sind vorübergehende Lieferengpässe schuld an höheren Preise. Nach jahrelangen Inflationsraten unter den Zielmarken der Notenbanken wäre ein leichter Anstieg keine Gefahr, meint etwa der US-Ökonom Paul Krugman. Er fürchte sich mehr vor der Disco-Mode der 1970er-Jahre als vor einer Rückkehr der Inflation, schreibt er in der New York Times. Und wenn die Löhne in gewissen Niedriglohnsektoren steigen und damit die Inflation etwas anheben, dann wäre das gar nicht schlecht.

3. Steigende Zinsen

Selbst wenn die Inflation keine Gefahr darstellt: Die Angst davor könnte tatsächlich der Wirtschaftsentwicklung schaden. Denn wenn die US-Notenbank Federal Reserve und die Europäische Zentralbank (EZB) unter dem Druck von Inflationsfalken zu früh auf die Bremse steigen und die Zinsen kräftig anheben, dann komme der Wirtschaftsaufschwung rasch zum Stillstand, warnt Bruckbauer.

"Es gibt keine gute Begründung für Zinserhöhungen", sagt er. "Trotz der niedrigen Zinsen gibt es keinen Boom bei Krediten. Deshalb steigt zwar die Geldbasis der Notenbanken, aber nicht die Geldmenge." Dass die Leitzinsen ewig auf Null bleiben, sei allerdings auch nicht zu erwarten. Aber selbst eine moderate Erhöhung würde die Investitionstätigkeit nicht bremsen, glaubt Bruckbauer. Denn Unternehmen investieren dann, wenn die Geschäftserwartungen positiv sind, und nicht, weil die Kredite billig sind.

4. Staatsverschuldung

Die Milliardenausgaben für die Bekämpfung der Wirtschaftskrise haben die Staatsschulden in fast allen Staaten explodieren lassen. In Österreich stieg die Schuldenquote von 70 Prozent der Wirtschaftsleistung vor der Pandemie auf fast 90 Prozent in diesem Jahr. Dieser Schuldenberg müsse in den kommenden Jahren schrumpfen, fordert etwa der Fiskalrat, der auf die Schuldenpolitik schaut.

Aber das ist ohnehin zu erwarten, wenn die Konjunktur wieder anspringt und dadurch das Budgetdefizit wieder sinkt und sich in Richtung eines Nulldefizits bewegt. Liegt das jährliche Defizit unter dem realen Anstieg des Bruttoinlandsprodukts, dann sinkt automatisch auch die Schuldenquote. Die Zinsbelastung für Österreichs Budget bleibt dank der niedrigen Zinsen gering; immer noch kann Österreich dank seiner hohen Bonität Anleihen mit Negativzinsen an internationale Anleger verkaufen, wird daher dafür bezahlt, dass es Schulden aufnimmt.

Und bei etwas höherer Inflation bleiben auch höhere Zinsen leicht verkraftbar. "Solange die Realzinsen niedriger sind als das reale Wachstum, sinken allein dadurch die Staatsschulden", sagt Bruckbauer.

5. Steuererhöhungen

Deshalb sind auch in den kommenden Jahren keine Steuererhöhungen notwendig, um die Kosten der Corona-Hilfsprogramme zu decken. Österreich kann mit dem größeren Schuldenberg mittelfristig gut leben. Weder Einkommens- noch Verbrauchs- oder Vermögenssteuern müssen steigen, weil irgendeine Rechnung beglichen werden muss. Die hohe Abgabenquote ließe da ohnehin wenig Spielraum – anders als etwa in den USA, wo die Biden-Regierung hohe Einkommen sehr wohl höher besteuern möchte, um Investitionen und Sozialprogramme zu finanzieren.

Eine CO2-Bepreisung soll die Anreize für weniger klimaschädliches Verhalten schaffen.
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Das bedeutet aber nicht, dass sich im Steuersystem nichts ändern soll. Es gibt kaum einen Experten, der nicht eine steuerliche Entlastung der Arbeit fordert. Ob dies durch neue Steuern auf Vermögen und Erbschaften finanziert werden soll, ist politisch heiß umstritten. Auch der Klimaschutz verlangt steuerliche Maßnahmen, nämlich eine CO2-Bepreisung, die Anreize für weniger klimaschädliches Verhalten schaffen soll. Aber dafür könnten andere Steuern wieder gesenkt werden.

6. Insolvenzwelle

Die Zahl der Unternehmenspleiten ist im Vorjahr zurückgegangen – nicht weil die Wirtschaft so gut läuft, sondern weil der Gesetzgeber die Verpflichtung zur Anmeldung von Insolvenzen ausgesetzt und Finanzämter, Sozialversicherungen und die Banken auf die Eintreibung von Schulden verzichtet haben. All diese Schutzmaßnahmen laufen heuer aus, was die Zahl der Insolvenzen in die Höhe treiben wird.

Doch mit einer Insolvenzwelle wie in den 1990er-Jahren rechnet Bruckbauer nicht – auch dank der kräftigen Konjunkturerholung. Vor allem große Unternehmen, wo eine Pleite viele Arbeitskräfte kostet und Zulieferer mitreißen kann, seien gut aufgestellt. Treffen dürfte es eher Einpersonenunternehmen im Dienstleistungssektor oder kleine Betriebe, die wenige Angestellte und kaum Bankschulden haben.

"Für die Betroffenen ist das ein harter Schlag, aber der gesamtwirtschaftliche Fallout ist geringer", sagt Bruckbauer. Eine Rückkehr zum normalen Insolvenzgeschehen wäre gut für die Wirtschaft. Denn wenn schwächere Betriebe den Markt verlassen, haben die besser Aufgestellten mehr Chancen zum Wachsen.

7 Arbeitsplatzverluste

Die durch die Lockdowns ausgelöste hohe Arbeitslosigkeit sinke rasch, mit einer Situation wie vor der Pandemie sei dennoch nicht so bald zu rechnen, sagt Bruckbauer: "Ich sehe das Risiko eines kleinen Hügels, der länger bleiben wird", sagt er. "Nicht alle Unternehmen werden genau die Leute, die sie freigesetzt haben, wieder zurücknehmen. Das schafft gerade bei Älteren längerfristige Probleme."

Gleichzeitig werde der Arbeitskräftemangel anhalten, auch weil sich der Zuzug aus dem EU-Ausland durch die Pandemie eingebremst habe. Längerfristig bedroht vor allem die Digitalisierung Dienstleistungsjobs, etwa im Einzelhandel, der unter der Konkurrenz von Amazon und Co leidet. Diese Angestellten werden in anderen Branchen wieder Arbeit finden können – aber nicht sofort. "Gewisse Anforderungsprofile wird man nicht mehr brauchen", sagt Bruckbauer. "Das ist politisch gefährlich."

8. Klimawandel

Längerfristig ist die Erderwärmung eine massive wirtschaftliche Bedrohung. Aber kurzfristig fürchten sich manche Unternehmer viel mehr vor den Maßnahmen, die den Klimawandel eindämmen sollen. Das gilt besonders für Klein- und Mittelbetriebe, die etwa gegen die Nova-Erhöhung bei gewerblichen Lieferwagen Sturm laufen. Und weil die Kleinen in der Wirtschaftskammer den Ton angeben, erscheint es derzeit so, als wäre die Wirtschaft gegen eine entschlossene Klimapolitik.

Längerfristig ist die Erderwärmung eine massive wirtschaftliche Bedrohung.
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Große Unternehmen hätten sich hingegen auf einschneidende Maßnahmen eingestellt und stünden auch von vielen Seiten unter Druck, ihre Geschäftsmodelle zu ändern, sagt Bruckbauer. "Sie wollen einen klaren global abgestimmten Rahmen, der langfristig dann auch so umgesetzt wird", sagt er. Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht halten sich Chancen und Risiken zumindest die Waage.

9 Protektionismus

Mit der Abwahl von US-Präsident Donald Trump ist die Angst vor wachsendem Protektionismus gewichen, aber vielleicht zu Unrecht. Denn der langsame Rückzug von der Globalisierung wurde durch die Pandemie beschleunigt; unter dem Argument der Sicherung von Lieferketten bleibt wirtschaftlicher Nationalismus in der Politik und der öffentlichen Meinung populär.

Gerade für exportabhängige Staaten wie Österreich kann dies den Wohlstand gefährden. Auch ökologische Maßnahmen wie ein Klimazoll für Produkte aus Ländern mit hohem CO2-Emissionen können – selbst wenn sie grundsätzlich vernünftig sind – Handelskonflikte anheizen und so zu mehr Protektionismus führen.

10 Stagnation in Europa

Der britische Economist hat vor kurzem dargelegt, wie sehr Europas Wirtschaft in den vergangenen Jahren im internationalen Wettbewerb zurückgefallen ist: Von den 100 wertvollsten Unternehmen der Welt waren im Jahr 2000 41 europäisch; heute sind es nur noch 15. Die strategisch wichtigen Branchen werden von den USA und China dominiert.

Auch bei der Innovation und beim Wachstum hinkt Europa hinterher: Die Erholung von der Weltfinanzkrise dauerte vor einem Jahrzehnt hier viel länger als in den USA, vor allem wegen der Euroschuldenkrise und der als Reaktion darauf durchgesetzten Sparkurse.

Auch nach der Corona-Pandemie fällt das Wachstum in der EU schwächer aus als in den USA, von China gar nicht zu reden. Für viele Ökonomen ist der chinesische Staatskapitalismus die größte Gefahr für die europäische Wirtschaft. Denn anders als westliche Konzerne werden Unternehmen in China mit staatlichen Krediten gefüttert und müssen sich im Kampf um Marktanteile nicht um Profitabilität kümmern, betont Bruckbauer.

Und da China sich an die globalen Wettbewerbsregeln nicht hält, untergräbt es das Vertrauen in den freien Handel, von dem Europa bisher so profitiert. Der alte Kontinent mag immer noch der beste Platz zum Leben sein, aber bei fehlender wirtschaftliche Dynamik droht eine anhaltende Stagnation, die auch den Sozialstaat gefährden würde.

Welche Auswege kann die Politik hier finden? Laut Bruckbauer wären solche eine entschlossenere Industriepolitik, die nicht in Protektionismus abgleiten darf, ein Verzicht auf übertriebene Sparpolitik und ein Augenmerk auf soziale Verwerfungen, die den politischen Populismus anheizen. Denn dieser ist auch ökonomisch gefährlich. (Eric Frey, 26.6.2021)