SPÖ-Chefin Rendi-Wagner, Kritiker Doskozil: Die Stimmung hat sich gebessert – doch ausgeräumt sind die Vorbehalte gegen die Parteispitze nicht.

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Der Vorschlag stieß auf breites Unverständnis: In vielen E-Mails und SMS, so ist von mehreren Seiten zu hören, hätten sich die Genossen echauffiert. Adressat des Ärgers war aber nicht die türkis dominierte Regierung, sondern die eigene Parteiführung. "Sebastian Kurz darf sich bei uns bedanken", zitiert ein Mandatar eine Zuschrift, eine andere habe gelautet: "Die ÖVP wird eine Messe lesen."

Den SPÖ-Bundesparteitag können Sie seit 10 Uhr im Livestream mitverfolgen.

In Wallung gebracht hat das rote Blut ein gut gemeinter Vorstoß. In Person des Kärntner Landeshauptmannes Peter Kaiser hat die SPÖ einen leichteren Zugang zur Staatsbürgerschaft gefordert – und damit eine Debatte angezettelt, wie sie sich Sozialdemokraten kaum wünschen können. Aus vollen Rohren schoss die ÖVP gegen den angeblichen Versuch, die Wähler auszutauschen. Endlich konnte die Kanzlerpartei wieder ihr Leibthema pflegen, statt sich ständig nur gegen Korruptionsvorwürfe verteidigen zu müssen.

Ausgerechnet vor dem Parteitag am Samstag heizte die Episode jene Debatte an, die in der SPÖ immer wieder in Wellen hochschwappt. Im Zentrum steht die Frage, ob die Parteispitze die strategische Fähigkeit besitzt, die richtigen Thema zur richtigen Zeit aufzugreifen. Kurz: Kann die SPÖ unter Pamela Rendi-Wagner Politik?

Die Staatsbürgerschafts-Causa nährt gleich aus mehreren Gründen Zweifel. In der Sache kann man das Ansinnen, bei dem die SPÖ viele Experten hinter sich weiß, nobel nennen – aus taktischer Sicht hingegen naiv. Just die größte Oppositionspartei hat der ÖVP die Rutsche für ein Ablenkungsmanöver gelegt, und das mit einer Frage, die unter den eigenen Sympathisanten und Funktionären selbst hoch umstritten ist.

SPÖ bleibt nicht drauf

"Wir sollten Anliegen pushen, mit denen wir Wahlen gewinnen können", sagt ein Abgeordneter: "Bei der Staatsbürgerschaft haben wir laut Umfrage zwei Drittel gegen uns." Wenn sich die Partei aber schon auf ein solches Thema draufsetze, dann müsse sie das entschlossen durchziehen. "Stattdessen wurde der Peter Kaiser allein stehengelassen. Alle anderen wollten weiter diskutieren – nur wir plötzlich nicht mehr."

Allerdings gibt es da auch eine andere Leseart. In der Ausländerfrage, so lässt sich der Kritik entgegenhalten, gibt es für die diesbezüglich gespaltene SPÖ wohl nie einen günstigen Zeitpunkt. Doch soll sich eine staatstragende Partei deshalb um eine klare Haltung drücken? Den Sozialdemokraten ist oft genug genau das vorgeworfen worden.

Außerdem hätte sich das seit dem Frühling fertige Einbürgerungskonzept nicht länger unter der Decke halten lassen, lautet das interne Kalkül. Spätestens am Samstag hätten die Jugendorganisationen, die dieses Ziel beim letzten Parteitag 2018 durchgesetzt haben, das Ergebnis eingefordert – was womöglich alles andere überschattet hätte. Da entschied sich SPÖ-Spitze, das heikle Thema noch vor dem großen Event abzuhaken, ohne allzu viel Wind darum zu machen.

Die Chefin hält sich raus

Pamela Rendi-Wagner selbst hat sich aus dem öffentlichen Schlagabtausch fast gänzlich rausgehalten – kein Einzelfall. In die aktuelle Debatte steigt sie, die Ärztin und Virologin, am liebsten dann ein, wenn es um die Corona-Pandemie geht. Zwar äußert sich die 50-Jährige auch zu anderen Themen. Doch ähnlich kampfeslustig wie ihre Oppositionskollegin Beate Meinl-Reisinger von den Neos wirft sich Rendi-Wagner selten in den politischen Infight.

Die jüngste Konfrontation auf dem Feld des Arbeitsmarktes, an sich ein rotes Heimspiel, muss bis dato ohne die oberste Sozialdemokratin auskommen. Die Debatte hat sich daran entzündet, dass manche Branchen wie die Bäcker trotz hoher Arbeitslosigkeit keine neuen Kräfte finden – und offenbart, wie der Nationalratsabgeordnete Max Lercher feststellt, einmal mehr eine aus SPÖ-Sicht ungute Schlagseite.

In Österreich liefen solche Diskussionen stets zulasten der Arbeitnehmer ab, beklagt er: Sind die Arbeitszeiten lang und der Verdienst mies, ertöne nicht der Ruf nach besserer Entlohnung, sondern nach Verschärfungen für die Beschäftigten.

Dass die SPÖ zu wenig dagegenhalte, will Lercher sich und den Genossen nicht nachsagen lassen. Schließlich hat er spontan – "weil ich mich so geärgert habe" – ein Protestvideo online gestellt. Doch eine konzertierte, von der Partei getragene Aktion sieht anders aus.

Aufwind in Umfragen

Ähnlich dezent griff die SPÖ eine andere Gerechtigkeitsfrage auf. Die Regierung hat die Angleichung der Kündigungsfristen der Arbeiter an jene der Angestellten einmal mehr verschoben – womit Bäckereibedienstete weiter eine Frist von nur einem Tag haben. Sozialsprecher Josef Muchitsch prangerte die "sozialpolitische Bankrotterklärung" an. Aber dabei blieb es im Wesentlichen.

Auch dafür gibt es in der SPÖ strategische Begründungen. Erstens wurde als Ziel ausgegeben, in der harten Auseinandersetzung der Tagespolitik auf ein Team aus vielen Köpfen zu setzen, statt die Vorsitzende zu verschleißen. Zweitens hat die verbündete Gewerkschaft gar nicht so viel Freude, wenn sich die Partei in Lohnfragen hervortut. Die Sozialpartner achten darauf, nur ja nicht die Hoheit über die Kollektivverträge zu verlieren.

So oder so könne von einer Vernachlässigung der Kernthemen keine Rede sein, sagt Kommunikationschef Stefan Hirsch und verweist unter anderem auf die letztlich erfolgreiche Kampagne zur Ausweitung des Corona-Bonus sowie den Leitantrag zum Parteitag. Von der Viertagewoche bis zum Jobprogramm stehen Arbeitsthemen ganz oben.

Hirsch tut sich leichter als noch vor einem Jahr, die Linie zu verteidigen. "Die Stimmung hat sich stark verbessert", sagt er, das Gleiche gilt für die Umfragen. Die SPÖ liegt bei bis zu 27 Prozent – beachtlich, findet Hirsch: "Rendi-Wagner schafft aus der Opposition heraus, was Werner Faymann und Christian Kern als Kanzler erreicht haben."

Wer in die Reihen der Funktionäre hineinhört, erhält ein differenziertes Bild. Hat "Pam", wie sie genannt wird, an Rückhalt gewonnen? Ja. Fachkundige Auftritte in der Corona-Krise haben Eindruck hinterlassen. Sind alle Vorbehalte deshalb ausgeräumt? Nein. Nach wie vor kursieren Gedankenspiele, in anderer Besetzung in die nächste Nationalratswahl zu gehen.

Konflikt bei der Ouvertüre

Vor dem Parteitag am Samstag hingegen deutet schon mangels Alternativen nichts auf eine Zitterpartie hin. Die gab es dafür am Tag davor, bei der Wahl der sozialdemokratischen Frauenvorsitzenden. Gegen die oberösterreichische Nationalratsmandatarin Eva-Maria Holzleitner, Wunschkandidatin von Vorgängerin Gabriele Heinisch-Hosek, waren mit der Wiener Gemeinderätin Mireille Adiet Ngosso und der niederösterreichischen Frauenchefin Elvira Schmidt zwei Gegenkandidatinnen angetreten – Letztere sehr kurzfristig.

Tatsächlich wurde es spannend: Im ersten Wahlgang erreichte keine der Kandidatinnen die notwendigen 50 Prozent, in der Stichwahl besiegte Favoritin Holzleitner Ngosso mit 55 Prozent der Stimmen. Einig gab sich die rote Frauenorganisation also nicht – dafür aber lebendig demokratisch.

In Hinblick auf den Hauptevent, den Parteitag, wurde ein potenzieller Stein des Anstoßes vorab aus dem Weg geräumt. Hans Peter Doskozil, Rendi-Wagners prominentester Kritiker, kandidiert erst gar nicht mehr für Sitze in den Führungsgremien – womit mögliche Aufstände des linken Flügels gegen ihn ausfallen. Alles, nur keine fruchtlosen Grabenkämpfe, lautet die Parole.

Ein anderer Gegner früherer Tage gibt sich besänftigt. Die Parteispitze agiere heute auch deshalb besser, weil sie zur Absprache öfter zum Handy greife, lobt Niederösterreichs SP-Chef Franz Schnabl. Die analog zur Mitgliederbefragung des Vorjahres angepeilten 71 Prozent würden für Rendi-Wagner bei ihrer Wiederwahl zur Parteichefin zum Klacks, prophezeit er: "Diese Latte wird sie sehr deutlich überspringen." (Gerald John, 26.6.2021)