Bohrkerne aus dem südäthiopischen Chew Bahir-Becken verraten Details zum Klima während der Zeit, als Homo sapiens Afrika verließ.

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Die ersten Fossilien des anatomisch modernen Menschen außerhalb Afrikas wurden in den 1930er-Jahren im Nahen Osten entdeckt. Die ältesten dieser und weiterer Funde im heutigen Israel lassen sich auf ein Alter von 110.000 Jahren datieren. Was Homo sapiens zum Auswandern veranlasste oder seine Wanderschaft erleichterte, ist noch nicht bis in Detail geklärt, doch nehmen Wissenschafter an, dass klimatische Umstände im östlichen Afrika eine Rolle gespielt haben dürften. Einem internationalen Forschungsteam ist nun eine Klimarekonstruktion der letzten 200.000 Jahre für Äthiopien gelungen. Damit liegen hochaufgelöste Daten des Zeitraums vor, in dem sich der frühe Homo sapiens auf den Weg nach Europa und Asien machte.

Die Wissenschafter um Frank Schäbitz von der Universität Köln ermittelten die Daten anhand eines Bohrkernes von Seesedimenten, die sich im südäthiopischen Chew Bahir-Becken abgelagert hatten. Die Region liegt in der Nähe von Fossilfundstätten unserer Spezies. Die bis auf zehn Jahre genaue zeitliche Auflösung der Proben ergab, dass von 200.000 bis zu 125.000 Jahren vor unserer Zeit das Klima dort relativ feucht war und genug Wasser und damit reichlich pflanzliche und tierische Ernährungsquellen in den Tiefländern Ostafrikas bot.

Von 125.000 bis 60.000 Jahren wurde es jedoch allmählich trockener, ganz besonders trocken zwischen 60.000 bis 14.000 Jahren vor heute. Die nun ermittelten Daten passen zeitlich gut zu bisher bekannten genetischen Befunden, nach denen unsere direkten genetischen Vorfahren Afrika vor etwa 70.000-50.000 Jahren "erfolgreich" – in einer Feuchtphase – verlassen haben.

Rückschlüsse auf frühere Umweltbedingungen

Aus den Seesedimenten sammeln die Wissenschafter Informationen über die Umwelt, da im günstigsten Fall Sedimente relativ kontinuierlich durch Abtragung im Einzugsgebiet in die Seen gelangen. Neben den mineralischen Komponenten gehören organisches Material und Reste von im See lebenden Organismen zu den Ablagerungen. Wenn es gelingt, Seesedimente aus geeigneten Seen zu erbohren, kann man diese "Stellvertreterdaten" (engl. Proxies) nutzen, um Rückschlüsse auf ehemalige Umweltbedingungen zu ziehen und so das Klima der Vergangenheit rekonstruieren.

Im November bis Dezember 2014 konnten die Forscher einen etwa 300 Meter langen Bohrkern aus dem in der trockenen Jahreszeit ausgetrocknetem Chew Bahir Becken im südlichen Äthiopien bergen. In seiner Gänze reicht der Bohrkern bis 620.000 Jahre vor heute zurück. "Damit sind wir in der Lage, zeitlich die gesamte Entwicklungsgeschichte des Homo sapiens in Afrika abzudecken", erklärt Schäbitz. Die nun im Fachjournal "Communications Earth & Environment" veröffentlichte Arbeit über die letzten 200.000 Jahre dieses Bohrkerns belege dabei sehr gut die Umwelt- und Klimageschichte während der Ausbreitung unserer Vorfahren.

Bisher unerreicht genaue Daten

"Einige unserer Proxies erlauben in weiten Abschnitten des Kerns eine dekadische Zeitauflösung, was es so bisher für diesen Teil Afrikas noch nicht gab. Damit erfassen wir auch sehr kurze klimatische Veränderungen, die weniger als ein Menschleben repräsentieren", so Schäbitz. Dabei lässt sich erkennen, dass das Klima in Ostafrika im Wesentlichen durch die Veränderungen der Sonneneinstrahlungsmengen beeinflusste wurde, die entweder zu feuchten oder trockenen Klimabedingungen führten.

Von 200.000 bis 125.000 Jahren war das Klima generell relativ günstig, das heißt die Tieflagen boten genug Wasser und damit reichlich pflanzliche und tierische Ernährungsquellen für unsere Vorfahren. Unter derartigen Bedingungen konnten sich die Menschen relativ problemlos weit bewegen und sogar die Arabische Halbinsel erreichen, was älteste Fossilfunde dort belegen (vor ca. 175.000 Jahren). Von 125.000 bis 60.000 Jahren wurde es jedoch allmählich trockener, ganz besonders trocken dann zwischen 60.000 bis 14.000 Jahren vor heute, wobei der See mehrmals komplett austrocknete.

Extremen Veränderungen

"Allerdings sind gerade in diesem Zeitraum auch ganz markante, kurzfristige Feuchteschwankungen zu beobachten, deren zeitliche Muster an Kalt-Warm-Klimaschwankungen erinnern, die man aus den grönländischen Eisbohrkernen her kennt. Die Menschen, die damals in Ostafrika lebten, waren also extremen Veränderungen ihrer Umwelten ausgesetzt.", so Schäbitz. "Interessant ist, dass gerade in dem Zeitraum von 60.000 bis 14.000 Jahre, in dem die Tieflagen Ostafrikas immer wieder besonders trocken waren, zahlreiche archäologische Befunde in den Hochlagen der äthiopischen Gebirge die Anwesenheit unserer Vorfahren in größerer Höhe belegen."

Zudem haben sich in dieser Zeitspanne auch die Waffen und Werkzeuge dieser Menschen weiterentwickelt. "Wir vermuten, dass der größere "Umweltstress" in den Tieflagen diese Entwicklung forciert hat", erklärt der Wissenschafter.

Parallelen zu genetischen Ergebnissen

Interessant ist weiterhin, dass die letzte größere Feuchtphase, die im untersuchten Kern erkennbar ist, zeitlich gut zu den Erbgut-Befunden passt: danach sollen unsere direkten genetischen Vorfahren Afrika vor rund 70.000-50.000 Jahren "erfolgreich" verlassen haben. Ihre Nachfahren erreichten vermutlich vor 50.000 bis 40.000 Jahren Südosteuropa und trafen dort auf den Neandertaler.

"Wir vermuten, dass die in unserem Bohrkern gefundenen Belege für trocken-feucht Klimaschwankungen in Ostafrika einen wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung und die Mobilität unserer Vorfahren hatten", so Schäbitz. "Das 'Out of Africa' war während der letzten 200.000 Jahre unter feuchteren Bedingungen mehrfach möglich und hat zur Ausbreitung unserer Vorfahren bis nach Europa beigetragen. Während der besonders trockenen Phasen der jüngeren Vergangenheit, ab etwa 60.000 Jahre, haben es Homo-sapiens-Gruppen immer wieder geschafft, in den Hochlagen des gebirgigen Äthiopiens zu überleben." (red, 26.6.2021)