Lukaku und Ronaldo sind die Speerspitzen ihrer Teams.

Foto: AFP /STUART FRANKLIN; JAVIER SORIANO

Die sonntägige Achtelfinalpartie zwischen Portugal und Belgien birgt einige Brisanz. Abgesehen davon, dass Portugal auch in Sevilla Portugal sein wird und mithilfe von Cristiano Ronaldo für alles Denk- und auch Undenkbare gut; und abgesehen davon, dass Belgien seit Jahren überall, wo es antritt, automatisch haushoher Favorit ist, denn immerhin führt dieses kleine Land, die jedenfalls kulinarisch bessere Hälfte der Niederlande, die Weltrangliste an – in diesem Match wird darüber hinaus ja auch der Viertelfinalgegner Österreichs ermittelt. (Achtung – wie schreibt man "Zwinkersmiley"? -, Ironie!)

Der in Diensten von Atlético Madrid stehende belgische Offensive, Yannick Carrasco, sieht sich und die Seinen auf dem schweren, steinigen Turnierweg. Aber ja, man sei nun halt ein Turnierfavorit, "andere Teams fürchten sich auch, gegen Belgien zu spielen, und wir müssen beweisen, warum das so ist".

Offensivbrillant

Zum Beispiel, weil da der 28-jährige Romelu Lukaku spielt, der Offensivbrillant, über den Belgiens spanischer Teamchef, Roberto Martínez, regelrecht ins Schwärmen gerät. Vor zwei Jahren war er von Manchester United zu Inter gewechselt, "in den letzten zehn Monaten ist er ein ganz anderer Spieler geworden. Er hat die Reife, die Führungsqualitäten, das Verständnis dafür, was es im Spiel braucht, und die notwendige Flexibilität."

Freilich – und das ist der scharfe Unterton – wäre es jetzt allmählich Zeit, das alles im Turnier auf den Platz zu bringen. In Russland 2018 wurde man Dritter. Der Sinn der "goldenen Generation" – so wird die aktuelle Mannschaft genannt – steht nach Höherem. Lukaku soll die Spitze dessen sein, wofür die Goldenen dann gerne der Speer wären. Lukaku ist mit 63 Toren in 96 Länderspielen jetzt schon Belgiens Allzeitbester.

Nun sei er auch zu einem offensiver Allroundler gewachsen. "Er kann einen Neuner spielen, der mit dem Rücken zum Tor steht, er kann hinten spielen, er kann zwischen den Räumen spielen. Also ich bin froh, dass er in unserer Mannschaft ist." Der Teamchef streut jene Rosen, welche das Team sich am Sonntag in Sevilla abzuholen gedenkt.

Außerirdischer

Der junge Mann in bester Fußballreife hat einen gereiften Mann in ewig junger Anmutung als gegnerisches Pendant. Über Cristiano Ronaldo, der gegen Frankreich das 108. und 109. Länderspieltor erzielt hatte, braucht man nicht viele Worte zu verlieren. Ja, solche würden sich erübrigen, meinte sogar Österreichs Marko Arnautović. Denn rede man über ihn, "reden wir gar nicht mehr über einen Menschen". Blasphemischerweise müssen Mit- und Gegenspieler und Trainer aber so tun, als ob. Die Belgier zum Beispiel können nicht umhin zu überlegen, wie sie den Gar-nicht-mehr-Menschen stoppen könnten, ohne gleich ganz unmenschlich zu erscheinen.

"Cristiano", überlegt der bei Tottenham beschäftigte belgische Verteidiger Toby Alderweireld also, "ist in der Form seines Lebens." So einen Ronaldo könne man "nicht alleine stoppen, er ist einer der Besten der Welt". Man dürfe "aber auch nicht den Rest des Teams unterschätzen". Das ist wohl das Teuflischste an den Portugiesen: dass nicht nur dieser Eine aufläuft. Dagegen hilft oft Pfeifen im finsteren Wald: "Wir haben Respekt, aber keine Angst."

Und zu hüten haben sich die Belgier davor, die mäßige Gruppenbilanz – Portugal stieg als Dritter hinter Frankreich und Deutschland auf – für einen Hinweis zu nehmen. 2016 erging es ihnen nicht anders, da spielten sie gar gegen Österreich torlos remis. Und dann wurden sie Europameister.

Portugals Nationaltrainer Fernando Santos geht das bei Cristiano Ronaldo, mit 109 Toren in 178 Länderspielen einsame Spitze in Portugal, genauso. "Um Ronaldo mache ich mir keine Sorgen. Ronaldo ist der Ronaldo, der er immer war, mit der gleichen Bereitschaft, dem Nationalteam zu dienen", sagte Santos. "Er trifft vielleicht nicht jedes Mal, aber er versucht es immer, er kämpft jedes Mal."

Titelverteidiger

Erstmals seit Spanien 2012 könnten die Portugiesen also einen EM-Titel verteidigen. Und genau das haben die Spieler und der Coach vor. Und zwar unabhängig von einer allfälligen – soweit man halt bei einem wie ihm von Tagesform sprechen kann – Tagesformschwankung. Und die anderen gibt es ja auch noch: Diogo Jota, Bernardo Silva, Bernard Fernandes, vor allem aber Renato Sanches, der 2016 zum besten Nachwuchsspieler der EM gewählt worden war, danach bei den Bayern gescheitert ist, aber beim französischen Vizemeister Lille wieder zu seiner Form gefunden hat.

Sie werden dort zu bohren und zu wühlen beginnen, wo allgemein die kleine Schwäche der Belgier vermutet wird. Toby Alderweireld (32), Jan Vertonghen (34) oder Thomas Vermaelen (36) sind in die Jahre gekommen. Das sieht Fernando Santos nicht unbedingt nur als Nachteil: " Sie spielen schon lange zusammen, ihr Spiel hat einen ganz natürlichen Fluss." Und vorne, wo der Portugiese keine Schwächen erkennen kann, "wissen sie, wie man den letzten Pass in den Angriff zu spielen hat". Als da wären: Kevin De Bruyne, Eden und Thorgan Hazard, Dries Mertens. Es wird also eine ganze Menge zu schauen geben für – Zwinkersmiley – Franco Foda. (Wolfgang Weisgram, 27.6.2021)

Mögliche Aufstellungen zum Fußball-EM-Achtelfinale:

Belgien – Portugal (Sevilla, La Cartuja, 21.00 Uhr/live ORF1, SR Brych/GER)

Belgien: 1 Courtois – 2 Alderweireld, 18 Denayer, 5 Vertonghen – 15 Meunier, 7 De Bryune, 6 Witsel, 16 T. Hazard – 14 Mertens, 9 Lukaku, 10 E. Hazard

Ersatz: 12 Mignolet, 13 Sels – 3 Vermaelen, 4 Boyata, 8 Tielemans, 11 Carrasco, 17 Vanaken, 19 Dendoncker, 22 Chadli, 26 Praet, 20 Benteke, 23 Batshuayi, 24 Trossard, 25 Doku

Es fehlt: 21 Castagne (Augenhöhlenbruch)

Portugal: 1 Patricio – 2 Semedo, 4 Dias, 3 Pepe, 5 Guerreiro – 26 Palhinha, 8 Moutinho 16 Sanches – 10 Bernardo, 7 Ronaldo, 21 Jota

Ersatz: 12 Lopes, 22 Rui Silva – 6 Fonte, 20 Dalot, 25 Nuno Mendes, 11 Fernandes, 13 Danilo, 14 William, 17 Guedes, 18 Neves, 19 Goncalves, 24 Olivera, 9 A. Silva, 15 R. Silva, 23 Felix