Von weitem werden sie als schützenswert angesehen, sagt der Wildbiologe und Jäger Christopher Böck im Gastkommentar. Aus der Nähe betrachtet ändert sich oft das Bild.

Auch durch Österreichs Wälder schleicht der Wolf. Ob das gut oder schlecht ist, daran scheiden sich die Geister.
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Der Wolf ist zurückgekehrt. Viele, die sich nach heiler Natur in unserer stressigen und immer schneller werdenden Welt sehnen, sagen sich: gut so, soll er doch da sein. Der Wolf gehört geschützt. So steht es auch auf zahlreichen Seiten im Internet, die meist mit Spendenaufrufen einhergehen.

Dabei steht er übrigens EU-rechtlich ohnehin unter Vollschutz, wobei "Problemwölfe" nach einem rechtlichen Spießrutenlauf erlegt werden dürften. Ist es aber, sachlich betrachtet, so einfach, mit einem Spitzenprädator, also einem Raubtier, das ob seiner Größe ganz oben im Nahrungsnetz steht und eine entsprechende Menge Fleisch benötigt? Und das in einer vom Menschen geschaffenen Kulturlandschaft, die in allen Bereichen "gemanagt" werden muss, damit Profit, Sehnsüchte, Erholungsräume, Nahrungsmittel, grüne Energie etc. erfüllt werden?

Menschengemachte Kulturlandschaft

Die Sachlage ist leider nicht schwarz-weiß und die Natur komplex. Natürlich verfügt Österreich über eine herrliche Natur samt ihren zahlreichen Wildtieren, von denen man doch dem Wolf auch welche gönnen kann. Aber erstens ist die Natur seit Jahrhunderten eine vom Menschen gemachte, intensive Kulturlandschaft, zweitens ist Isegrim in der Regel bequem, und wenn sich ein Schaf, eine Ziege, eine Kuh oder ein Pferd auf der Weide oder auf der Alm anbietet, dann schlägt er eben dort zu.

Ja, es gibt Möglichkeiten des Herdenschutzes. Im Mühl- und Waldviertel vielleicht noch durchführbar. Ob diese jedoch in Felsen durchsetzten weitläufigen Almregionen so leicht funktionieren, wo Zäune zu warten sind, Herdenschutzhunde freundlich zu Touristen sein sollen und die Produkte der Almwirtschaft nicht teurer sein dürfen? Außerdem sind Zäune für andere Wildtiere wie etwa Birk- oder Auerhühner lebensgefährlich und alles andere als Natur.

Naturnahes Ökosystem

Apropos andere Wildtiere: Viele davon werden dementsprechend vom Menschen in die Schranken gewiesen, denn der Hirsch, die Gams oder das Reh fressen junge Bäume, der Hirsch schält außerdem Rinde von älteren Bäumen. Das Wildschwein kann aus so manch saftiger Wiese oder schönem Feld Verwüstungen fabrizieren, die dem Bauern die Zornesröte ins Gesicht treiben. Die Spitze dabei ist die Tatsache, dass diese "Wildschäden" vom zuständigen Jäger laut Jagdgesetz zu bezahlen sind – schuldunabhängig.

Was Letzteres mit dem Wolf zu tun hat, der doch diese Wildtiere regulieren könnte? Realistisch gesehen "könnte", denn das funktioniert lediglich in einem naturnahen Ökosystem, wo, nebenbei bemerkt, Schäden durch Wildtiere irrelevant sind. In der beschriebenen Situation unserer Zivilisation ist Selbstregulation wohl ein Weg, den wir Menschen uns nicht wünschen. Denn dabei werden nur jene Tierarten übrig bleiben, die sich in der intensiven Kulturlandschaft zurechtfinden. Artenvielfalt muss aber heutzutage aktiv angegangen werden.

"Wölfe schaffen es, in kurzer Zeit sehr weit zu wandern. Der europaweite Vollschutz ist also zu überdenken."

Wenn der Wolf andere Wildtiere reißt, ist das nicht weiter schlimm; dazu ist er da. Doch auch Rothirsche beispielsweise dürfen nicht mehr überall vorkommen, wo sie wollen. Sie verursachen zu große Schäden in Wirtschaftswäldern und auf Feldern. Der Mensch hält sie im Winter künstlich in eigentlichen Sommerlebensräumen zurück – mit Fütterung und manchmal sogar in großen Gattern, damit sie keine zu großen Schäden verursachen. Hirsche reagieren sensibel auf Störungen zu dieser Zeit, ob durch Mensch oder Wolf. Und sie dürfen und können nicht in jene Regionen ausweichen, wo von Natur aus mehr Nahrung vorhanden ist. Wildschäden wären die Folge.

In manchen Regionen kann der Wolf entsprechend gemanagt auch in Österreich in einer bestimmten Zahl vorkommen. Europaweit gibt es 17.000 bis 20.000 Wölfe, die mehr oder weniger miteinander "vernetzt" sind. Wölfe schaffen es, in kurzer Zeit sehr weit zu wandern. Der europaweite Vollschutz ist also zu überdenken.

Wildtiere implementieren

Wenn man sich osteuropäische Länder ansieht, wo der Wolf, aber auch Bär und Luchs nie ausgerottet wurden, haben sich die Menschen mit diesen Beutegreifern arrangiert – dies ist nur gelungen, weil sie in diesen Ländern Naturräume besaßen und besitzen, die wenig bis kaum besiedelt sind und Wolf und Co vertrieben und bejagt werden; nachhaltig, wohlgemerkt. Denn gerade der Wolf benötigt Grenzen, die für ihn gefährlich sind. Dadurch respektiert er den Menschen und seine Haustiere, besser gesagt, fürchtet er sie. Dieser natürliche Zugang hat dem Wolf in jenen Ländern geholfen zu überleben. So absurd es für einige klingen mag, aber gerade die nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen sichert dieselbigen und ist somit eine Form des Naturschutzes.

Bewirtschaftung, also Bejagung von Wildtieren samt dem gesetzlichen Auftrag zur Gesunderhaltung einer artenreichen Fauna, heißt aber nicht, dass jeder Wolf überall einfach erlegt werden soll. Im Gegenteil, es bedarf von der Gesellschaft und noch viel mehr von der Politik kluger Pläne, um große Wildtiere in eine anthropozentrische Welt wie unsere zu implementieren. Das kann eine (wild)ökologische Raumplanung, die sogar im Regierungsprogramm steht.

Sorgen und Ängste

Und, die Lösung? Ein Leben mit dem Wolf ist eventuell möglich, wenn man die Bedürfnisse der Beteiligten einbezieht. Das heißt, sämtliche Sorgen und Ängste der in potenziellen Wolfsgebieten lebenden Bevölkerung – und das fängt bei Kindern an, die im Winter im Dunkeln in die Schule gehen müssen, geht über die Jägerschaft, die wie beschrieben eine Gratwanderung zwischen Wildbewirtschaftung und Schadensminimierung bewerkstelligen muss, und hört bei Bauern auf, denen ihre Schafe und andere Nutztiere nicht nur Einkommen bedeuten, sondern diese Aufgabe auch Herzensangelegenheit ist.

Entschädigungen für vom Wolf gerissene Tiere sind ein kleiner Teil der Lösung. Neben einer ökologischen Raumplanung muss auch die Vertreibung und manchmal auch die Tötung von Wölfen möglich sein. (Christopher Böck, 28.6.2021)