Es geht wieder bergab mit der SPÖ-Chefin: Ein Aufschwung in Umfragen mündet in einen herben Absturz beim Parteitag.

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Es schien, als wollte die Regie die Zahlen möglichst rasch ausradieren. Emotionslos ratschte Wahlkommissionsleiter Harry Kopietz die Ergebnisse herunter, sodass mancher Zuhörer kaum folgen konnte. Die wiedergewählte Chefin bekam im Anschluss an die Verkündung weder Blumen noch Zeit für Dankesworte. Lediglich ein paar persönliche Gratulationen von Genossen gab es – oder waren es Beileidsbekundungen?

Pamela Rendi-Wagners Ergebnis spricht für Letzteres. Drei Viertel der Delegierten wollten die 50-Jährige beim Parteitag am Samstag als SPÖ-Chefin wiederwählen, so wenige wie bei noch keinem Vorsitzenden ohne Gegenkandidaten zuvor. Damit genießt ausgerechnet die Prima inter Pares in der Führungsriege das geringste Vertrauen: Die anderen Kandidaten für das Bundesparteipräsidium schafften alle mehr als 80 Prozent.

"Uns ist die Lad’ runtergehängt", erzählt ein Wiener Genosse, der für den stummen Protest wenig Verständnis hat: Denn bei den Reden davor war nur vereinzelt Kritik ertönt.

Trotz schützender Hand des Bürgermeisters

Dabei schien alles für einen Freudentag angerichtet. Rendi-Wagner hatte sich angesichts gestiegener Umfragewerte gelassen gegeben. Auf Bundesländertour schenkte sie den Genossen ihr Ohr, Wiens einflussreicher Bürgermeister Michael Ludwig und andere Länderchefs warben für die Titelverteidigerin.

"Das ist ein katastrophales Ergebnis", sagt ein erfahrener Funktionär, der für die Chefin gestimmt hat. Man müsse ja mit einkalkulieren, dass zwei Landesgruppen, in denen es genauso Skeptiker gibt, wohl aus Parteiräson diszipliniert für Rendi-Wagner gestimmt hätten: die Oberösterreicher, weil sie vor ihrer Landtagswahl keinen Aufruhr wollen, und die Wiener, weil Ludwig den Weg vorgegeben hat. "Wenn der Bürgermeister die schützende Hand wegnimmt", glaubt der Delegierte, "muss sie um die Mehrheit bangen."

Die Suche nach den Dissidenten

Wer dann gegen sie gestimmt hat? Im Verdacht stehen die Burgenländer, Steirer und Niederösterreicher, die – wie der Beobachter sagt – auf dem Parteitag auffallend lang beieinandergestanden seien. Das östlichste Bundesland ist dank seines Landeschefs Hans Peter Doskozil schon fast offiziell ein Widerstandsnest. In Niederösterreich steht mit Franz Schnabl ein anderer oftmaliger Kritiker der Vorsitzenden an der Spitze, in der Steiermark sind immer noch manche sauer, weil Rendi-Wagner einst den Landsmann Max Lercher als Bundesgeschäftsführer demontiert hat.

Im Gegensatz zu den Wienern stecken die Niederösterreicher und Steirer im eigenen Land überdies in einer alles andere als rosigen Lage. Da sucht man die Fehler gern einmal in der Bundespartei.

Es geht nicht um den Inhalt

Abseits persönlicher und regionaler Gründe zieht sich quer durch die Partei der Zweifel, ob Rendi-Wagner das politische Handwerk ausreichend beherrscht. Auch wenn die Parteichefin heute weniger Fehler mache, halle die Erinnerung an die von den Medien breitgetretenen Schnitzer in den Köpfen nach, sagt ein Vorstandsmitglied, das noch einen anderen Grund nennt: Der bereits unter Kritik installierte Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch, ein Gefährte des nach einem Aufstand gestürzten Ex-Kanzlers Werner Faymann, gelte vielen als Fehlbesetzung.

Eines spiele hingegen keine Rolle, sagt der Mandatar: "Es geht nicht um die inhaltliche Ausrichtung." Welcher Sozialdemokrat sollte auch etwas dagegen haben, wenn Rendi-Wagner – wie in ihrer Parteitagsrede – Arbeitszeitverkürzung und Vermögensteuer fordert und das "zügellose Treiben" der ÖVP anprangert.

Front zwischen Wien und den Ländern

Dass die Fronten in der SPÖ derzeit zwischen Bundesspitze und Wiener Partei auf der einen und manchen Ländern auf der anderen Seite verläuft, hat sich schon im Vorspiel zum Parteitag gezeigt. Um den Posten der Bundesfrauenvorsitzenden kam es zu einem Dreikampf – offenbar mit ungewöhnlichen Allianzen. Während sich die Wiener für die von der Bundesspitze favorisierte Oberösterreicherin Eva Maria Holzleitner starkmachten, erhielt die Wienerin Mireille Ngosso laut Insidereinschätzung Rückhalt aus der Steiermark, Salzburg, Tirol und Kärnten. Dritte im Bunde war die Niederösterreicherin Elvira Schmidt.

Favoritin Holzleitner machte letztlich doch das Rennen – und schaffte bei der Präsidiumswahl beim Parteitag starke 97 Prozent.

Warten auf die bessere Alternative

Welche Folgen die turbulenten Ereignisse haben? Rendi-Wagner gab sich erst einmal kämpferisch wie eh und je. Statt das Viertel der entgangenen Stimmen zu beklagen, freue sie sich über die 75 Prozent an Unterstützung, sagte sie in der ORF-Zib2: Sie sehe darin einen Auftrag, "mit voller Überzeugung und voller Kraft" für eine sozialdemokratische Politik zu kämpfen. Über die Gründe des Ergebnis wolle sie nicht spekulieren – nur so viel: Manche in der Partei hätten ein Problem damit, dass sie nicht die klassische Funktionärskarriere hingelegt hat.

Aus Wien, der mächtigsten Landesgruppe in der SPÖ, drangen ebenfalls keine Signale, dass ein Wechsel an der Parteispitze anstehen könnte. Dass Rendi-Wagner auch als Spitzenkandidatin in die nächste Wahl geht, halten manche nun aber nicht mehr für möglich – doch das hänge davon ab, sagt ein Genosse, "ob jemand Besserer daherkommt".

Rendi-Wagner beantwortet die Kandidatenfrage in der Zib2 wie folgt: "Das habe ich vor."(Gerald John, Oona Kroisleitner 27.6.2021)