Erinnerungen an die Natur: die wunderbare Altistin Christina Daletska barfuß im Volkstheater.

Foto: Martin Argyroglo

Zu Beginn, wenn sich Regisseur Philippe Quesne als Regenmacher vorstellt und den singenden Mann in Schwarz der Nässe preisgibt, ist zwar schon offensichtlich: Gustav Mahlers sechsteiliger symphonischer Liederzyklus Das Lied von der Erde wird im Sinne einer Warnung vor dem Ende aller Naturdinge gedeutet. Die leere, graue Volkstheaterbühne, auf der postkatastrophisch nichts mehr wächst, ist das Abbild eines ökologischen Versagens. Sie wirkt als dystopischer Mahnraum, in dem zwei barfüßige Individuen vielleicht aber doch so etwas wie eine Beziehung aufbauen könnten.

Mit Fortdauer des Abends entpuppt sich die Inszenierung jedoch tragisch verwandt mit jener beiläufigen Form, die als "semikonzertant" bisweilen den Alltag des Musiklebens erfrischt. Christina Daletska (ihr Alt verfügt über impulsiven Charakter) und Michael Pflumm (sein zierlicher Tenor tönt kultiviert) werden somit dem Minimalismus (frei von Interaktion) überantwortet. Stehen sie nicht einfach da, als würden sie an einem Vorsingen teilnehmen, reichen ihre musiktheatralischen Aktionen nicht über das Verfinstern oder Aufhellen der Mienen hinaus.

Schwärmende Augenblicke

Bewegung bedeutet im Falle Pflumms, einmal die Nähe des Dirigenten zu suchen und sich quasi unters Publikum zu mischen. Daletska wiederum muss sich auf feuchtem Boden in die Horizontale begeben, um die Pose einer Gekreuzigten einzunehmen. Zum Finale hin darf sie gar ihr wallendes Haar herunterlassen ... Immerhin: In einem schwärmerischen Augenblick scheint sie die Advokatin einer Wahnsinnsarie zu sein. Eine einsame Existenz quasi, die sich in einem toten Ambiente die Pracht von Leben und Natur herbeihalluziniert.

Wo die Vögel fliegen

Der Rest ist jedoch Warten auf substanzvolle Gestaltung, die Quesne jedoch durch optische Verzierung ersetzt. Neben Regen ist da Schnee und reichlich Nebel. Etwas Licht bringen nur Bühnenprospekte: Es handelt sich dabei um Sujets des US-Malers Albert Bierstadt (1830–1902), die eine prachtvolle Teich- und Gebirgslandschaft darstellen, auf die kurz – mit trivialer Effektivität – vorbeifliegende Vögel projiziert werden.

Solch Unterforderung der Rezeption führt denn auch zu Dankbarkeit für Mikroereignisse: Wenn sich Teile des Bühnenbodens langsam zum Hügel aufblähen und sich Richtung Sänger und Sängerin zu wälzen beginnen, wähnt man sich auf dem Gipfel der szenischen Spannung.

Reduzierte Fassung

Immerhin: Diese pessimistische Untersuchung des Verhältnisses von Mensch und Natur hatte den Vorteil, sich ungestört der musikalischen Seite der Produktion widmen zu können. Das Klangforum Wien vertieft sich akribisch in die schlanke Kammermusikfassung des Werkes, die Reinbert de Leeuw arrangiert hat.

Unter der musikalischen Leitung von Emilio Pomàrico kann zwar jene stürmische Opulenz des spätromantischen Klangs, welche das Original schillern lässt, nicht evoziert werden. Es dominiert allerdings der markante Charakter instrumentaler Einzelstimmen, die sich mitunter zu impulsiven Demonstrationen von Modernität zusammenschließen. Sie tragen durch eine Regiewüste, die eigentlich schon 2020 auf dem Programm hätte stehen sollen. Es wäre also ausreichend Zeit gewesen, die Geschichte vom Sterben der Natur mit ein paar Ideen mehr zu bewässern. (Ljubiša Tošić,28.6.2021)