Die letzte Ausgabe der "Apple Daily", erschienen am 24. Juni 2021.

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Der "Apple Daily" ist nicht jener Apfel, den die angelsächsische Ärztin sprichwörtlich jedermann empfiehlt, um gesund zu bleiben ("An apple a day keeps the doctor away"). Der "Apple Daily" in Hongkong kann ganz schön faul und ungenießbar daherkommen, so wie das im globalen Norden Boulevardmedien auch gelegentlich tun.

Jetzt ist es um diesen, aus der Sicht der Regierung, faulen Apfel geschehen. Die letzte Ausgabe erreichte eine Rekordauflage. Die Zeitung aus dem Verlag Next Media von Jimmy Lai ist wie ein Feuerwerk verglüht. Und mit dem Verlag auch eine letzte Insel der Meinungs- und Redefreiheit in dem Stadtstaat. Das Versprechen, den Status "Ein Staat, zwei Systeme" zumindest 50 Jahre aufrechtzuerhalten, hat die chinesischen Zentralregierung erneut und wohl endgültig gebrochen.

Hongkong ist eine Fallstudie im Forschungsprogramm "Media for Democracy Monitor 2021" (MDM), das die Euromedia Research Group durchführt und ein Team am Fachbereich Kommunikationswissenschaft der Universität Salzburg koordiniert. Die 18 Fallstudien sind auf Staaten mit stabiler Demokratie beschränkt. Ungarn und Polen sind nicht dabei. Hongkong schon. Der Blick in den Forschungsbericht hilft, die Vorgänge in Hongkong zu erklären, zu verstehen und daraus Lehren zu ziehen.

Die Rolle der Medien auf dem Weg von der Demokratie in die Autokratie

Aus heutiger Sicht stellt sich die ebenso unbequeme wie beunruhigende Frage: Wie kann ein demokratisches Land trotz funktionsfähiger kritischer Medien in den Status einer Autokratie abrutschen? Spielen die Massenmedien und die digitalen Plattformen vielleicht eine viel unbedeutendere Rolle als vermutet und als ihnen im öffentlichen Diskurs zugeschrieben?

Als das MDM-Forschungsteam 2019 die Planungsarbeiten aufnahm und Hongkong besuchte, belegten die lokalen Wissenschafter:innen die Unabhängigkeit der Medien überzeugend durch Inhaltsanalysen und Interviews mit Journalist:innen. Die schon damals aktive Bürgerrechtsbewegung hatte in den Medien Hongkongs eine effiziente Distributionsplattform, die kritisch gegenüber beiden Seiten – der Stadtregierung und der Zivilgesellschaft – über die Proteste berichtete.

Wenig später nahmen die Massenproteste gegen das Gesetz für die Auslieferungen Beschuldigter an die Volksrepublik China massiv zu. Die Bilder brennender Barrikaden gingen viral und in den traditionellen Medien um die Welt. Dem Rückzug des Gesetzesentwurfs folgte ein Jahr später das noch wesentlich restriktivere Sicherheitsgesetz. Diesmal war Hongkongs Polizei besser vorbereitet und schlug die Proteste schon im Ansatz gewaltsam nieder.

Eine Komponente der wohl von Peking angeordneten Repressionsstrategie bildet die Kontrolle der Medien, die in der Verhaftung von Journalist:innen und der Schließung des "Apple Daily" ihren vorläufigen ikonischen Höhepunkt erreicht. Wie konnte das geschehen?

Peking unterwandert Medienzentrum Hongkong

Hongkong ist in Südostasien ein globales Medienzentrum. Leitmedien wie die "Financial Times", CNN, Bloomberg, das "Wall Street Journal" und viele andere unterhalten dort Niederlassungen. In dem Land mit einer Bevölkerung von 7,5 Millionen Menschen erscheinen nicht weniger als 82 Tageszeitungen, davon 53 in chinesischer und zwölf in englischer Sprache. Die größte (Gratis-)Zeitung druckt täglich 800.000 Exemplare. "Apple Daily" war eine der wichtigsten chinesischsprachigen Zeitungen.

Allerdings ist das Land gespalten. Dem demokratiefreundlichen Teil der Bevölkerung stehen auch Peking-treue Bevölkerungsteile gegenüber, was sich in der Medienlandschaft niederschlägt. Seit der Einrichtung der "Speziellen Verwaltungsregion" 1997 haben immer mehr Unternehmer aus Festlandchina Medienhäuser in Hongkong aufgekauft und dort für eine prochinesische Redaktionslinie gesorgt. Bevorzugt haben die neuen Eigentümer die Redaktionsverantwortlichen durch Gesinnungsgenossen ersetzt. Viele dieser Zeitungen unterliegen nicht mehr der kommerziellen Marktlogik, sondern sind dem Gutdünken ihrer finanziell gut gepolsterten Besitzer ausgeliefert.

Der größte private Fernsehveranstalter TVB und der öffentlichen Rundfunkveranstalter RTHK, der seit 1928 sendet und der BBC nacheifert, wurden längst zu einem prochinesischen Kurs verpflichtet. Dass der werbefreie öffentliche Veranstalter seine Betriebsmittel zur Gänze aus dem Staatsbudget bezieht, rächt sich jetzt. Die Regierung trocknete den potenziell kritischen Sender über die Jahre finanziell aus.

Dem gegenüber verweigerte die 1995 gegründete und jetzt eingestellte Boulevardzeitung "Apple Daily" Festlandchina die Gefolgschaft. Der 71-jährige Jimmy Lai und seine beiden Söhne wurden am 10. August 2020 verhaftet. Doch erst die Sperrung der Bankkonten besiegelte das Ende der wirtschaftlich erfolgreichen Zeitung, die seither keine Löhne und Rechnungen mehr zahlen kann.

Die Zeitung selbst war kein Vorzeigebeispiel demokratischer Unternehmensführung. "Apple Daily" verweigerte dem Presserat die Mitgliedschaft und wurde doch regelmäßig für seine Berichterstattung gerügt und verurteilt. Jimmy Lai senkte seine Personalkosten, indem er auf einen Schlag zahlreiche Journalisten entließ, nur um sie anderntags als freie Journalisten weiterzubeschäftigen. Dass jetzt "Apple Daily" einen Märtyrerstatus der Demokratiebewegung genießt, ist einigermaßen unverdient.

Digitale und Massenmedien wenig resilient

Die unbequeme Frage bleibt: Können unabhängige und demokratische Medien eine Entdemokratisierung hin zur Autokratie bremsen oder aufhalten? In Hongkong haben sich die klassischen und die digitalen Medien als zu schwach und zu wenig resilient erwiesen. Während prochinesische Kräfte Fernsehveranstalter und privat-kommerzielle Zeitungen während Jahren unterwandert haben, konnte die Stadtregierung den digitalen Plattformen ohne Federlesen den Betrieb untersagen. Eine Unterbrechung der mobilen Kommunikation legt die Organisationsfähigkeit der Protestbewegung auf einen Schlag lahm.

Auf Hongkongs Weg von der Demokratie in die Autokratie bleiben die sich gegenseitig kontrollierenden politischen Institutionen genauso auf der Strecke wie die in der Verfassung garantierte Medienfreiheit. Die "Media for Democracy"-Fallstudie Hongkong zeigt: So sehr unabhängige und kritische Medien für das Funktionieren von Demokratien unverzichtbar sind, so wenig vermögen sie dem Erosionsprozess der Entdemokratisierung standzuhalten. Hongkongs Schicksal illustriert auf beklemmende Art und Weise, wie zerbrechlich Medienfreiheit ist und wie wichtig ihre Absicherung durch starke demokratische Institutionen ist. (Josef Trappel, 28.6.2021)