Addis gilt als eine der am besten organisierten Metropolen Afrikas.

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Man hatte uns gewarnt. Über die Provinz schwappe derzeit eine Corona-Welle, sagte Krankenhausdirektor Mussie Tesfay kurz nach unserer Ankunft in der Hauptstadt Mekelle: Leider nehme allerdings keiner Notiz davon. Das ist auch kaum verwunderlich. Schließlich haben es die knapp sieben Millionen Tigray noch mit wesentlich schlimmeren Bedrohungen als dem unsichtbaren Erreger zu tun.

Die Provinz wird derzeit von Monstern in Uniform, von Massakern und einer Hungersnot heimgesucht. Wer wollte sich angesichts einer derartigen Bedrohungskulisse mit einem Stück Stoff vor dem Mund lächerlich machen? Außerhalb der Krankenhäuser ist hier kein Mensch mit Maske zu sehen, also auch wir nicht. Selber schuld!

Wann und wo genau das Virus von mir Besitz ergriff, weiß ich nicht: Fest steht nur, dass ich am letzten Tag unseres einwöchigen Aufenthalts in der Bürgerkriegsregion mit einem unguten Gefühl aufwachte. Das verdichtete sich bald zu leichtem Fieber, Husten und einem Tinnitus-Ton, der dem Signalton eines Dampfkessels gleichkam. Jetzt war zweifellos die Zeit für den Mundschutz gekommen.

In Äthiopien wird bei Inlandflügen glücklicherweise kein Covid-Test verlangt: Sonst säße ich noch heute in Mekelle und wüsste nicht, welches Geräusch in meinem Ohr der äthiopischen Luftwaffe oder dem Virus zuzuordnen ist.

Quarantäne in Metropole

Der Test in Addis Abeba fällt erwartungsgemäß positiv aus. "Tut mir leid", sagt der Laborangestellte am Telefon, er klingt durchaus überzeugend. In wenigen Minuten ist das Wichtigste arrangiert: Ich kann meine Quarantäne im Viersternehotel absitzen, dessen Manager den Corona-Supersparpreis noch weiter reduziert. Offensichtlich will er sich am Elend seiner Gäste nicht auch noch bereichern. Ein Freund, der es gut meint, gibt an der Rezeption ein Päckchen ab, das außer Orangensaft so ziemlich alles enthält, was ich nicht brauche: Datteln (bin ausgetrocknet genug), Seife (im Viersternehotel?) und Tomaten (jetzt mal im Ernst …).

Bald treffen auch die ersten elektronischen Kondolenzen ein: "Ausgerechnet in Addis!", wird exklamiert. Ich muss bei meiner Berichterstattung wohl einiges falsch gemacht haben: Denn Addis ist eine der bestorganisierten Metropolen Afrikas. Mein 25 Quadratmeter großes Hotelzimmer verfügt über einen Kühlschrank, ein King-Size-Bett, Fernsehen und rasend schnelles Internet. "Ausgerechnet in Addis?" Zum Glück!

Glücksfall Impfung

Das Fieber hält nur eineinhalb Tage an, wofür wohl der erste Biontech-Schuss verantwortlich ist, den ich in meiner südafrikanischen Heimat bereits bekommen habe. Auch das war ein Glücksfall, denn eigentlich hätte ich Wochen auf einen Termin warten müssen. Weil aber die Datenbank alsbald wegen Überlastung zusammenbrach, wurden zwei Tage lang einfach alle gepikst, die den Weg zu einem Impfzentrum fanden. Es lebe die barmherzige Unzulänglichkeit.

Ich litt weder an Atemnot, noch kam mir der Geschmacksinn abhanden, was sich angesichts des Hotelessens allerdings als Nachteil erwies. Eine Frau vom städtischen Gesundheitsamt ruft an: Ich bitte sie, Englisch mit mir zu sprechen. Das sei Englisch gewesen, sagt sie. Dafür lässt mir die deutsche Botschaft, die nötige Ruhe. Ich sollte ihr dafür auch dankbar sein. Stattdessen ruft die freundliche Rezeptionistin jeden Morgen durch und erkundigt sich nach meinem Befinden. Sie stammt aus Tigray.

Ersehntes Room-Service

Ich fiebere den einzigen persönlichen Begegnungen mit dem Room-Service entgegen. Den ersten Gesandten musste ich noch warnen, mir nicht zu nahe zu treten. Der nächste hielt mir das Tablett schon mit ausgestreckten Armen hin und fordert mich auf, den Beleg mit meinem eigenen Stift zu unterzeichnen. Ein weiterer Service-Mann schiebt mir das Tablett schon mit dem Fuß auf dem Boden zu. Und schließlich ruft eine Dame an, ich könne in zwei Minuten die Tür öffnen. Da stand dann das Frühstück auf der Matte.

Morgen werde ich mich ein zweites Mal testen lassen. Ähnlich habe ich mich vor 45 Jahren nach dem mündlichen Mathe-Abi gefühlt. "An einem silbernen Fädchen, Dieterich!", hatte mich mein Klassenlehrer damals erlöst. Ich wünschte, er wäre noch am Leben. (Johannes Dieterich aus Addis Abeba, 28.6.2021)