An der Befragung nahmen 30 Prozent aller weiblichen Abgeordneten teil.

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"Schlampe", "Hure", "hysterisch" – mit solchen sexistischen Beleidigungen sieht sich ein großer Anteil der weiblichen Nationalratsabgeordneten in Österreich konfrontiert. Dass solche Hassnachrichten nicht immer ohne Folgen bleiben und in manchen Fällen auch zu einer stärkeren Zurückhaltung in politischen Debatten führen, hat nun eine Befragung des Momentum-Instituts in Zusammenarbeit mit der Autorin Ingrid Brodnig ergeben. Alle 73 weiblichen Abgeordneten des Nationalrats wurden für die Untersuchung kontaktiert, 30 Prozent nahmen an der Befragung teil, darunter Politikerinnen aus allen Parteien.

Im Internet

73 Prozent der Befragten gaben an, frauenfeindlichen und sexualisierten Hass bereits erlebt zu haben, der Großteil scheint dabei im Internet stattzufinden. Die beleidigenden Nachrichten, die Abgeordnete über E-Mails, Twitter-Beiträge und Facebook-Nachrichten erhalten, wurden von den Befragten als degradierend und herabwürdigend beschrieben.

Sexualisierte Herabwürdigungen

Oftmals beziehen sich diese auf den Körper der Frauen. Als Beispiele nannten die Teilnehmerinnen Kommentare wie "blade Sau" und "Du bist hübsch, such dir einen anderen Job" oder den Vorwurf, die Betroffene habe sich "hochgeschlafen". Besonders deutlich werde hier die "Doppelgleisigkeit" frauenfeindlicher Beleidigungen, sagte Brodnig.

Oft werden herabwürdigende Aussagen in vermeintlich positive Bemerkungen über Schönheitsideale verpackt. Brodnig ortet hier eine sexualisierte Form der Herabwürdigung. Diese führe auch zu Vergewaltigungsdrohungen oder Nachrichten, die sexuelle Fantasien enthalten.

Stärkere Zurückhaltung

Hassnachrichten und Belästigungen dieser Art scheinen auch eine Auswirkung auf das Verhalten der Politikerinnen zu haben. Aggressive Bemerkungen führten oft dazu, dass Frauen sich in bestimmten Debatten verstärkt zurückhalten. Diesen Effekt beschreibt Brodnig als "Silencing".

In der Befragung gab rund jede vierte Abgeordnete (27 Prozent) an, bestimmte Aussagen nicht getätigt zu haben, weil sie ahnte, "dass entsprechende Reaktionen/Drohungen kommen". Die Themen, bei denen Drohungen und Beleidigungen gefürchtet wurden, waren Migration, Rassismus, Kindererziehung, das Gendern und die Frauenquote.

Rechtliche Schritte und Handlungsbedarf

Frauenfeindliche Hassnachrichten bleiben jedoch nicht unbeantwortet. Rund ein Drittel der befragten Frauen gaben an, dass sie schon einmal die Polizei, den Verfassungsschutz oder die Parlamentsdirektion aufgrund von Drohungen und Beleidigungen eingeschaltet hätten. 77 Prozent sprachen sich dafür aus, sämtliche Formen von misogyner Gewalt und Frauenhass als eigene Kategorie für Ermittlungen und als Statistik einzuführen.

Auch im Parlament, abseits der Onlineplattformen, kommt es zu Frauenfeindlichkeit. Die Hälfte der teilnehmenden Befragten gaben an, bereits Sexismus im Parlament erlebt zu haben. Das geschehe etwa in Form von Zwischenrufen oder degradierenden Kommentaren.

Befragung in Deutschland

Die Befragung lehnt sich an einer Erhebung des deutschen Magazins "Spiegel" an, die im Frühjahr zu ähnlichen Ergebnissen gekommen war. Für die Coverstory "Feindbild Frau" nahmen 29 Prozent der weiblichen Bundestagsabgeordneten an der Befragung teil. 69 Prozent gaben an, "frauenfeindlichen Hass als Bundestagsabgeordnete" erlebt zu haben. Mehr als ein Drittel (36 Prozent) berichteten jedoch auch davon, von "Angriffen auf sich, ihre Büros oder ihren Wohnsitz" betroffen gewesen zu sein. In Österreich war das nicht der Fall.

Verteilung

Wie die Verfasserinnen und Verfasser der Untersuchung unterstreichen, waren zwar alle Parteien in der Befragung vertreten, jedoch schwankte die Beteiligung stark: So nahmen rund 15 Prozent aller weiblichen ÖVP-Abgeordneten teil, 20 Prozent der weiblichen FPÖ-Abgeordneten, 30 Prozent der weiblichen SPÖ-Abgeordneten, 47 Prozent der weiblichen Grünen-Abgeordneten und 67 Prozent der weiblichen Neos-Abgeordneten.

Offene Fragen

Das Ergebnis der Befragung werfe einige neue Fragen auf, die in Zukunft weiter untersucht werden könnten, sagte Brodnig. Wie Leonhard Dobusch, wissenschaftlicher Leiter des Momentum-Instituts, ausführte, fehlen beispielsweise Daten, die die Entwicklung des Phänomens im Lauf der Zeit veranschaulichen. Auch könnten die demografischen Merkmale der Verfasserinnen und Verfasser sowie die Plattformen der Hassnachrichten weiter erforscht werden. (hsu, 28.6.2021)