Frühere enge Freunde und kenntnisreiche Beobachter haben wiederholt darauf hingewiesen, dass es in Wirklichkeit nur drei Dinge gibt, an denen Ministerpräsident Viktor Orbán ein nicht nachlassendes Interesse zeigt: "Macht, Geld und Fußball – in dieser Reihenfolge". Dass der 58-jährige Berufspolitiker in seiner ganzen Karriere von Anfang an von einem ungebrochenen Siegeswillen getrieben wird, hängt mit seiner lebenslangen Leidenschaft für das Fußballspiel zusammen.

Viktor Orbáns Devise: Man muss angreifen, sonst ist man verloren.
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In einem neuen Buch Zwang zum Siegen – Fußball und Macht in Orbáns Welt (nur auf Ungarisch erschienen) beschreibt der für das unabhängige Internetportal 444.hu tätige junge Journalist Dániel Pál Rényi mit zahlreichen Beispielen, wie für Orbán die Devise gilt: Man muss angreifen, sonst ist man verloren. Das Spiel sei nie zu Ende, weil es kein Spiel sei, unser Leben hänge davon ab: "Jedes Match dauert so lange, bis wir es gewinnen." Als Mannschaftskapitän stütze er sich auf eine ihm als disziplinierte Mannschaft dienende Parlamentsmehrheit.

Orbán schreibe nicht nur die Regeln um, sondern wähle aus der eigenen Mannschaft auch die Richter der Spiele aus: Der oberste Staatsanwalt, die Präsidenten der Steuerbehörde, der Medienaufsicht und des Rechnungshofs und die Leiter jeder bedeutenden Rechtsbehörde stammen aus seiner unmittelbaren Umgebung. Er strebe danach, auch selbst die Gegner auszuwählen oder zu benennen.

Drohkulisse

All das muss man bei der Abschätzung der Folgen der beispiellosen Empörung im EU-Rat der Staats- und Regierungschefs in Ungarn selbst bedenken. Orbán hatte mit der Vermischung der Homo- und Transsexualität mit sexuellem Kindesmissbrauch die scheinbar einige Opposition spalten und eine neue Drohkulisse vor den im April 2022 fälligen Parlamentswahlen aufbauen wollen, aber dem Vernehmen nach nicht mit einer solch enormen internationalen Reaktion gerechnet. Sie habe in 15 Jahren noch nie eine solch außerordentliche Diskussion wie diese im EU-Rat mit und über Orbán erlebt, eine solche Tiefe und Ehrlichkeit, sagte die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Das Ultimatum, das der niederländische Ministerpräsident, Mark Rutte, Orbán am Donnerstag vor Beginn des EU-Rats öffentlich stellte, dürfte sich allerdings als eine folgenschwere politische Panne entpuppen: "Ich will Ungarn in die Knie zwingen. Es muss einsehen, dass es entweder EU-Mitglied ist, und damit ein Mitglied einer Gemeinschaft geteilter Werte, oder esmuss raus. Andernfalls hat es hier nichts mehr zu suchen." Kein Staat kann nämlich aus der Union hinausgeworfen werden, und jede für das Orbán-Regime wirklich schmerzhafte Maßnahme erfordert entweder einstimmige Beschlüsse oder die Zustimmung von 15 Staaten mit mehr als 65 Prozent der EU-Bevölkerung.

Die bereits angelaufene lautstarke Gegenoffensive der von Fidesz direkt oder indirekt kontrollierten Medien bestätigt jedenfalls die traurige Feststellung des Sprechers der ungarischen LMBTQI-Gemeinschaft, das Gesetz sei eine "perfekte Falle" für die Opposition: "Wenn sie dagegen protestiert oder die EU-Maßnahmen unterstützt, wird sie beschuldigt, die Interessen der Homosexuellen und der Pädophilen gegen die Ungarn zu verteidigen." (Paul Lendvai, 29.6.2021)