Joyce DiDonato widmete sich Schuberts Seelendramen.

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Szenische oder gar kompositorische Auseinandersetzungen mit Schuberts Winterreise führten bisweilen zu interessanten Hereinholungen des Zyklus in die Gegenwart. Nicht, dass dies zwingend nötig wäre – bei all der zeitlos tiefen Schilderung von Zurückweisung, Nahtoderfahrung und Selbstausgrenzung.

Hans Zenders "komponierte Interpretation" etwa bewirkte allerdings eine sinnhafte Verdichtung der existenziellen Wanderung mit den Mitteln der Moderne. In Erinnerung auch Bariton Matthias Goerne, wie er die Winterreise –bedrängt durch rasende Filmsequenzen des südafrikanischen Künstlers William Kentridge – bei den Wiener Festwochen und später auch in Salzburg erkämpfte.

Der Kunstgriff

Einen individuellen Versuch wagt auch Joyce DiDonato, die US-Mezzosopranistin geht es im Musikverein jedoch reduziert an. Ihr Kunstgriff: Sie schlüpft in die Rolle jenes enigmatischen Mädchens, das "von Liebe sprach", wie es in Gute Nacht heißt. Als solche durchlebt sie – quasi in den Aufzeichnungen des einstigen Intimus lesend – dessen dramatische Seelenzustände.

DiDonato geht ausdrucksmäßig natürlich nicht auf Distanz zu den Inhalten. Sie verleiht etwa der Wetterfahne expressive Wut. Das Dramatische wird bei ihr jedoch nicht exzessiv Richtung "opernhaft" gesteigert, es bleibt wohldosiert. Besonders dort, wo sich die darzustellende Emotion in intime Bereiche der Resignation "zurückzieht", zeigt DiDonato, dass sie das Schlichte des Ausdrucks mit dem lyrischen Glanz ihrer Stimme zu versöhnen versteht. Das betraf den Lindenbaum, den bewusst fahl dargebotenen Greisen Kopf und den finalen Leiermann,den Pianist Maxim Emelyanychev als insgesamt behutsamer Begleiter diskret umrahmte.

Nachzuhören ist DiDonatos Winterreise auch anhand jener Einspielung (Warner), bei welcher der Musikchef der Met, Yannick Nézet-Séguin, als Begleiter agiert. Nicht zu hören auf der Aufnahme die Zugabe des Musikvereinsabends, Schuberts An die Musik.

Ja, dass der Winterreise nichts mehr folgen kann, sagte DiDonato selbst. Ihre Freude, wieder auf der Bühne stehen zu können, wollte sie ausnahmsweise aber extra Ausdruck verleihen. sind ja seltsame Zeiten. (Ljubisa Tosic, 29.6.2021)