Im Gastkommentar mahnt die ÖVP-Politikerin und Seniorenbundpräsidentin Ingrid Korosec: Eine Aufkündigung des Generationenvertrags hätte weitreichende Konsequenzen.

Jugendliche müssen in der Corona-Pandemie zurückstecken. Ist das gerecht?
Foto: Regine Hendrich

"Der Generationenvertrag hängt schief und droht aus dem Rahmen zu fallen", schreibt Julya Rabinovich im STANDARD, (Generation Covid). Sie gehört damit zu der großen Zahl jener, die diesen infrage stellen. Rabinovich hebt sich jedoch positiv von der Mehrheit der Kritikerinnen und Kritiker ab, da sie in ihm ein Regelwerk für das Zusammenleben sieht, nicht einen rein wirtschaftlichen Solidarvertrag zwischen den noch arbeitenden und den nicht mehr arbeitenden Teilen der Bevölkerung. Und sie setzt ihn nicht mit dem Umlageverfahren zur Pensionsfinanzierung gleich. Damit folgt sie der Definition seines Schöpfers Wilfried Schreiber, die auch die noch nicht Arbeitenden, also Kinder und Jugendliche, miteinbezieht.

Der Sozialrechtler Wolfgang Mazal setzte sich mit den rechtlichen Gesichtspunkten dieses fiktiven Solidarvertrags auseinander. Er sieht darin eine kulturelle Errungenschaft, die auf einem der Aufklärung oder der christlichen Soziallehre verbundenen Menschenbild beruht. Nichterwerbstätige, seien sie zu jung, zu alt oder zu schwach, werden von den arbeitenden Menschen mitfinanziert. Der Generationenvertrag garantiert das Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Seine Aufkündigung hätte weitreichende Konsequenzen. Ihn grundsätzlich anzuzweifeln bringt das Vertrauen in den Staat und seine Institutionen selbst zum Bröckeln – ein, wie die Ereignisse rund um Corona zeigen, hochriskanter Vorgang.

Prinzip Solidarität

Der österreichische Staat unterstützt so gut wie alle Bevölkerungsgruppen durch Sozial- und Transferleistungen. Neben den Pensionen seien mit Kinderbetreuungsgeld, Arbeitslosengeld, Familienbeihilfe, Notstandshilfe oder Karenzgeld hier nur die wichtigsten genannt. Viele dieser Zahlungen erfolgen unabhängig vom Einkommen und stehen daher allen zu.

Mit gleicher Legitimation, mit der die Finanzierung der Pensionen kritisiert wird, können fast alle Sozial- und Transferleistungen infrage gestellt werden. So gut wie keiner stehen ausreichende Beitragszahlungen gegenüber: Bei längerer Arbeitslosigkeit springt die Solidargemeinschaft ein. Auch die Familienbeihilfe beruht auf gesellschaftlicher Solidarität und stellt das Pendant zur Pensionsversicherung dar.

Gleiches gilt für die medizinische Versorgung. Im Falle einer schweren oder chronischen Erkrankung reichen die einbezahlten Versicherungsbeiträge für die nötigen Behandlungen nicht aus. Dass hier alle zur Finanzierung der individuellen Behandlungskosten, aber auch der gesamten benötigten Infrastruktur herangezogen werden, ist selbstverständlich.

Weitreichende Auswirkungen

Die steuerfinanzierten Ausgaben für Bildung in der Höhe von 20 Milliarden sind ebenfalls eine Solidarleistung, mit der alle gemeinsam in eine bestimmte Bevölkerungsgruppe, hier Kinder und Jugendliche, investieren. Nach demselben Prinzip funktionieren der öffentliche Verkehr, Straßen, Justiz oder Polizei, deren Wert für und Nutzung durch den Einzelnen schwer beziffert werden kann, die aber über allgemeine Steuern finanziert werden.

Deshalb: Wer den Generationenvertrag prinzipiell infrage stellt, möge bitte auch klarstellen, was dessen Abschaffung für jeden Einzelnen ganz konkret bedeuten würde. Die Zahl jener, die ihn abschaffen wollen, würde rasant schwinden. (Ingrid Korosec, 29.6.2021)