Kardinal Stanisław Dziwisz unter Verdacht.

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Warschau – Die katholische Kirche in Polen sieht sich einer neuen Welle von Missbrauchsvorwürfen gegenüber. Von Juli 2018 bis Ende 2020 seien 368 Verdachtsfälle gemeldet worden, sagte der bei der polnischen Kirchenleitung für Kinder- und Jugendschutz zuständige Priester Adam Żak am Montag. Die Hälfte der mutmaßlichen Opfer sei zur Tatzeit jünger als 15 Jahre gewesen. In einigen Fällen habe sich der sexuelle Missbrauch über mehr als zehn Jahre erstreckt.

Die Kirche stufte in 39 Prozent der Fälle die Vorwürfe als begründet ein. Die Hälfte der gemeldeten Verdachtsfälle wird noch untersucht, während zehn Prozent der Anschuldigungen zurückgewiesen wurden.

Einige der gemeldeten Taten liegen nach Angaben der Kirche Jahrzehnte zurück. Es gebe aber auch eine nicht unerhebliche Zahl sexueller Übergriffe, die in den vergangenen Jahren begangen worden seien. Zudem gebe es vermutlich noch eine hohe Dunkelziffer, sagte Żak.

Hunderte Fälle schon 2019 aufgedeckt

Die polnische Bischofskonferenz hatte 2019 ihren ersten Bericht zum sexuellen Missbrauch von Minderjährigen durch katholische Geistliche vorgestellt. Darin wurden für die Jahre 1990 bis 2018 knapp 400 Fälle aufgeführt, in denen sich Geistliche an Kindern oder Jugendlichen vergingen.

Die in Polen sehr einflussreiche katholische Kirche war in den vergangenen Jahren von einer Reihe von Skandalen erschüttert worden. In der vergangenen Woche sanktionierte der Vatikan zwei polnische Bischöfe wegen der Vertuschung von sexuellem Missbrauch von Minderjährigen.

Im Mai waren bereits zwei Bischöfe aus demselben Grund vom Vatikan mit Strafmaßnahmen belegt worden. Auch gegen Kardinal Stanisław Dziwisz, einen Vertrauten des früheren Papstes Johannes Paul II., laufen Ermittlungen wegen ähnlicher Vorwürfe.

Die polnischen Bischöfe sind im Herbst zu einem dringenden Besuch in den Vatikan einbestellt, bei dem es polnischen Medienberichten zufolge um Fälle von Vertuschung sexueller Übergriffe gehen könnte. Die Bischofskonferenz spricht hingegen von einem "regelmäßigen Besuch". (APA, 28.6.2021)