Harry Kane am Elferpunkt. Möge es ihm gegen Deutschland erspart bleiben.

Foto: APA/AFP/JOHANNES EISELE

England gegen Deutschland? Da kann man nur an das Wembley-Tor denken – oder an einen weißen Fleck. Genauer an den kleinen, blassgefärbten Punkt auf Strafraumgrün, der den Three Lions bis zum WM-Achtelfinale 2018 stets Unglück brachte. Er garantiert Unterhaltung. Elfmeterschießen, das heißt Drama, Herzklopfen, Fast-nicht-Hinschauen-Können.

Elfern ist nicht gerecht. Auch Goalies wie jüngst Daniel Bachmann sagen freimütig, dass viel Glück im Spiel ist. Elfern ist auch nicht schön, jeder Penalty gibt sich trotz etwa 80-prozentiger Erfolgswahrscheinlichkeit als eine reine Pflichtübung aus – und am Ende muss es immer einen Trottel geben. Elfern ist auch nicht originell; wieder und wieder derselbe Schuss auf wieder und wieder dasselbe Tor.

Aber Elfern ist, der Ausdruck sei verziehen, geil. Endet ein Spiel nach 120 Minuten, werden uns Zuschauern etwa zehn Momente geschenkt, in denen es um etwas geht.

Das Leben ist oft nicht besonders spannend. Zwischen Netflix-Berieselung und Büroalltag gibt es Tage, an denen nichts passiert. Wenn aber heute Abend Toni Kroos mit starrem Blick zum Elferpunkt schreitet, dann passiert unter Garantie etwas. Ganz kurz ist alles andere wurscht, denn im Wembley entscheidet der Tanz der Strafstöße über Sein oder Nichtsein.

Ist die eigene Herzensmannschaft involviert, kann das zu viel sein. Als Spätdienst-Sportredakteur ist man mit Verlängerung und Elferschießen sowieso auf Kriegsfuß (Blattschluss!). Und natürlich ist es grausam, vollends erschöpfte Kicker ins Rampenlicht zu stellen – für einen Schuss, der ihnen Spott und Schande, aber kaum Ruhm bringen kann. Aber die Hoffnung auf Penaltys ist die Droge, die zähe Partien erträglich macht.

Und wer Belgiens 1:0 gegen Portugal gesehen hat, weiß: Manchmal wäre es besser, gleich zum Elferschießen zu springen. (Martin Schauhuber, 29.6.2021)