Nein, ich jammere nicht. Erstens weil es nix bringt, sich über das Wetter zu alterieren. Und zweitens, weil es ohnehin immer einen Grund gibt, sich zu beschweren. Weil ja grundsätzlich immer irgendwas nicht passt. Man muss nur genau genug hinschauen oder lange genug suchen.

Gegen das Laufen, generell gegen den Aufenthalt im Freien, findet man leicht und ausreichend Gründe: Zu warm zu kalt, zu windig, zu stickig, zu nass, zu trocken, zu früh, zu spät, zu hügelig, zu flach, zu einsam, zu übervölkert, zu … und so weiter.

"Etwas ist immer" erkannte schon 1927 Kurt Tucholsky. Und auch wenn er in "Das Ideal" weder über Laufen noch Sport schrieb, passt das: Gründe zum Jammern finden sich immer – je besser es einem tatsächlich geht, desto leichter.

Thomas Rottenberg

Wie leicht lässt sich am Laufen aber besonders hübsch illustrieren: Anfang Juni, nach einem – höflich gesagt – durchwachsenen Mai, schrieb ich hier, dass es für Freiluftsport kein falsches Wetter gäbe. Bewegung im Freien sei – in unseren Breiten und in der Zivilisation – fast immer möglich.

"Wer will", schrieb ich, "findet Wege – wer nicht will, hat Ausreden." Die darauf folgende Diskussion war vorhersehbar: Neben Spott und Häme für "Warmduscher" ging es oft darum, dass weniger kaltes denn heißes Wetter Sport im Freien erschwere, unlustig mache oder sogar verunmögliche.

Thomas Rottenberg

Zwei Wochen später war der Sommer da. Übergangslos. Prompt kamen die Warnungen: Sonnenstich, Sonnenbrand, Dehydration, Kreislaufprobleme, Überhitzung & Co.

Die Hinweise waren – und sind – natürlich alles andere als falsch. Nur werden sie halt oft als pauschales "Sport geht also deshalb nicht" eingesetzt. Oder zumindest so verstanden. Also als Grund, sich nicht zu bewegen. Und wenn die Motivation eh nicht zu 100 Prozent passt, fruchtet das noch leichter: So etwas nennt man dann Ausrede.

Davor ist niemand gefeit. Ich am allerwenigsten: Ich gehöre zu jenen Menschen, die am liebsten bei Temperaturen zwischen 5 und 15 Grad laufen. Steigt das Thermometer über den 20er, wird es für mich rasch zaach. Und ab 30 Grad empfinde ich Laufen als Zumutung. Persönlich. Dazu stehe ich. Trotzdem ist "will ich nicht – mach ich nicht" etwas grundlegend Anderes als: "geht nicht".

Thomas Rottenberg

Und zwar deshalb, weil es natürlich sehr wohl geht: "Wer will, findet Wege …". Ein halbwegs intelligenter (und, das setze ich voraus, pumperlgesunder) Mensch adaptiert, improvisiert – und bewegt sich trotzdem.

Etwa indem er – oder sie – statt um 16 Uhr eben um sechs Uhr morgens läuft. Oder spätabends. Oder anderswo: Schon der Wechsel vom Asphalt der Hauptallee auf den Rindemulch der Reitallee macht einen spürbaren Unterschied. 20 Meter weiter, im Wald, ist es dann wieder deutlich anders.

Binsenweisheiten? Weiß doch eh jeder? Ja, eh. Aber genau deshalb frage ich mich, woher jene Leute kommen, die sagen, dass Laufen im Sommer "absolut unmöglich" sei: Sie glauben es sich – und einander. Je öfter sie es hören, umso vehementer.

Thomas Rottenberg

Ich könnte jetzt die alljährlich im Hochsommer anstehende Geschichte mit den sportmedizinischen (und im Grunde naheliegenden) Hitze-Lauftipps vorziehen. Oder die meist im August fällige Clickbaiterei über (männliches) Oben-Ohne-Laufen.

Oder aber ein (absolut berechtigtes) Loblied auf die interaktive Wasserstellenkarte Wiens anstimmen – und jedem Sommerjogger, jeder Hitzeläuferin, dringend ans Herz legen, städtische Sommerlaufrouten anhand dieser Karte zu planen. Was für ein Privileg die Trinkwasserversorgung im öffentlichen Raum in Wien ist, erkennen viele erst, wenn sie anderswo vertrocknen, verdorren und verdursten – oder wenn Besucher aus dem Ausland fassungslos staunend fragen, ob man "dieses Wasser wirklich trinken kann". Ja kann man. Wir waschen damit auch Autos und spülen im Klo: So schlecht geht es uns also.

Thomas Rottenberg

Aber all das kommt ein andermal. Denn zum Hitzeeinstand möchte ich einen ebenso simplen wie naheliegenden "Trick" verraten. Einen Trick, der dermaßen schlicht ist, dass es mir jedes mal seltsam vorkommt, ihn niederzuschreiben:

Machen Sie aus ihrem "Run" einen Swim-Run. Nein, nicht im Stil der Ötillö- oder Backwaterman-Swim-Run-Hardcoreevents – sondern ganz easy: Gehen oder springen Sie ins Wasser. Zwischendurch. Einmal. Zweimal – gern auch nur bis zu den Waden oder den Knien.

So banal das klingen mag (und auch ist): Sie glauben nicht, wie erstaunt Läuferinnen und Läufer von Gruppen, denen ich ankündige, dass wir heute "nicht nur an, sondern auch ins Wasser" gehen werden, oft reagieren: "Wie geht das denn?" Äh: Wir gehen einfach rein. "Aber dann ist ja alles nass!" Das ist es vorher auch: Schweissnass. So kühlen Hose und Sport-BH zumindest kurz. "Und die Schuhe …" … kann man ausziehen. "Und wenn sie wer klaut?" Seufz.(Anmerkung: Das ist mir übrigens noch nie passiert. Weder mit Gruppen noch alleine.)

Thomas Rottenberg

Wenn wir schon bei den Binsenweisheiten sind: Wer nicht rein will, geht auch nicht rein. Nichtschwimmer (von denen gibt es mehr als Sie glauben) schickt man nicht ins tiefe Wasser. Alleine lasse ich niemanden weiter vom Ufer weg, der oder die beteuert, schwimmen zu können – solange ich das nicht sicher weiß. Offiziell, eh klar, aus Zeitgründen: Wasserratten kriegt man ja kaum wieder an Land.

Aber gleichzeitig wollen dann gerade die, die anfangs wasser-skeptisch waren oder meinten, dass Laufen bei "dieser Hitze" eh gar nicht gehe, dann schon nach einem Fußbad doch wieder laufen – und dann ziemlich sicher auch wieder ins Wasser: "Wow, fühlt sich super an – das muss ich ausnutzen. Wir können später eh nochmal rein, oder?"

Was mich jedes Mal überrascht: Das Staunen darüber, wie leicht, einfach und unproblematisch Vieles wird, wenn man statt aufs "aber" aufs "wow" schaut, ist mehrheitsfähig. Und das Fragen, ob man derlei überhaupt darf, auch.

Zumindest bei Erwachsenen. "Als Kind war ich auch so", schrieb ein mir persönlich unbekannter Läufer, als ich unlängst Bilder einer Horde johlend ins Wasser rennender Kids in sozialen Medien teilte.

Nachsatz: "Immer wenn ich sowas sehe, frage ich mich, was falsch gelaufen ist, dass ich diese Unbeschwertheit verloren habe. Wann das passiert ist. Und was der vermeintliche Benefit dafür war, es aufzugeben: Ich liebe es nämlich immer noch. Es macht mich glücklich. Wieso zum Henker erlaube ich es dann mir so selten?"

(Anmerkung: Ich habe selbstverständlich gefragt, ob es ok sei, die Kinder zu fotografieren und die Bilder zu verwenden.)

Thomas Rottenberg

Bevor ich auf den nachdenklichen Poster eingehe, möchte ich noch etwas anderes klar stellen: Diese Kinder können schwimmen. Sehr gut sogar. Trotzdem rennen sie hier nicht unbeaufsichtigt ins "Freiwasser": es waren mehrere Begleitpersonen und Trainer vor Ort.

Bei unserem Abstecher ins Wasser waren wir nämlich über die Kinder des "Triathlonclubs Kagran" gestolpert. Die Knirpse übten hier Wasserstarts.

Spielerisch, fröhlich – und immer wieder: "Bei dem Wetter war es noch einfacher als sonst, sie ins Wasser zu kriegen", schrieb mir einer der Trainer: Vorher und nachher war die Gruppe mit Rädern unterwegs gewesen.

Aber ohne Zwischenstopps im Wasser wäre das wohl nicht gut möglich gewesen.

Thomas Rottenberg

Dass so ein Anblick nicht nur sein und mein Herz hüpfen lässt, liegt wohl nicht nur daran, dass wir beide an der Tri-Krankheit "leiden". Meine Gruppenläuferinnen und -läufer strahlten mindestens genauso: Von "Bezaubernd" über "zu süß" bis zu "motivierend" kam alles: "Schön, zu sehen, wie glücklich Bewegung macht."

Aber auch ein paar traurige Halbsätze, die vorwegnahmen, was mir der Unbekannte später schrieb: "Wann haben wir verlernt, selbst so zu sein?"

Thomas Rottenberg

Genau das ist aber die Kernfrage:

Wann haben wir verlernt, wann aufgehört, zu spielen?

Warum?

Wann hat uns das Erwachsensein, das Verantwortungtragen, das Immer-Vernünftigsein so nachhaltig gelähmt?

Wie kommt es, dass wir sogar dann, wenn wir Dinge tun, die nur Spaß machen sollen, ohne Regelwerk, Anleitung und Vorgaben gar nicht auf die Idee kommen, Naheliegend-Fröhliches einfach zu tun, zu improvisieren?

Warum fragen wir um Erlaubnis, ob das "eh geht" – anstatt es einfach zu probieren? Wieso brauchen wir einen anderen Grund als "weil ich will", vermeintlich "sinnfrei" aus irgendeinem Rahmen zu fallen?

Thomas Rottenberg

Auch wenn ich heute so klinge, als wäre mir das immer klar gewesen, als würde ich mich wundern, dass derlei "Binsen" überhaupt erklärt werden müssen:

Ich war selbst lange auch nicht anders: Ich lief, wenn laufen angesagt war, schwamm, wenn es hieß "schwimm!" – und machte mir Sorgen, dass man mich andernfalls für "Dings" halten würde.

Bis ich einmal drauf pfiff.

Seither springe ich beim Laufen ins Wasser, wenn mir danach ist, bin fröhlich "Dings" (und entdeckte nebenbei, dass Ins-Wasser-Springen-beim-Laufen eine eigene Sportart ist. Aber das ist eine andere Geschichte.)

Denn was wichtiger ist: Ich kam rasch drauf, dass Dings-Sein nicht nur im Sport echte Qualitäten hat.

Probieren Sie es aus: Bei Hitze laufen macht den Sprung (oder Gang) ins Wasser leichter.

Alles andere ergibt sich dann von alleine. (Tom Rottenberg, 29.6.2021)

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