Seit 2015 beschäftigt Amazon ausgelagerte Zustellerinnen und Zusteller.

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Amazons Erfolg fußt in vielerlei Hinsicht auf dem Einsatz von Automatisierung. Ob durch physische Roboter in Lagerhallen oder Mechanismen, die den Vertrieb vereinfachen: Anhand von Algorithmen und selbstlernenden Systemen hat das Unternehmen seine Prozesse im Vergleich zur Konkurrenz optimiert. Für die Belegschaft kann das verheerende Folgen haben – so etwa im Fall eines 63-Jährigen in den USA, von dem Bloomberg berichtet. Er klagt, von Amazons Systemen als nicht produktiv genug eingeschätzt und daher gekündigt worden zu sein. Dabei geschehe dies basierend auf Faktoren, die außerhalb seiner Kontrolle gelegen hätten – etwa zugesperrte Wohnhäuser, die es ihm verunmöglichten, Pakete auszuliefern.

Algorithmus statt Personalmanager

Amazon setzt auch im Personalmanagement immer mehr auf Software. CEO Jeff Bezos soll der Meinung sein, dass Maschinen Entscheidungen schneller und genauer treffen können als Menschen, weswegen die Kosten so gesenkt werden könnten. Das nunmehr auch bei ausgelagerten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, etwa Zustellern. Seit 2015 bietet Amazon nämlich seinen Dienst Flex an: Er erlaubt es Partnerinnen und Partnern der Firma, mit ihrem eigenen Fahrzeug Pakete auszuliefern. Anstatt fest angestellt zu sein, erhalten sie Aufträge und fungieren als Vermittler zwischen Kunden und Händlern. So funktionieren etwa auch Essensbestelldienste wie Mjam oder der Fahrdienstleister Uber.

Nebst den damit verbundenen Problemen – etwa dass die Fahrerinnen und Fahrer das gesamte unternehmerische Risiko auf sich nehmen müssen – werden sie auch auf Schritt und Tritt überwacht. Zum Beispiel wird geprüft, ob sie eine Route in dem vorgegebenen Zeitraum befahren haben, ob sie schnell genug ausgeliefert haben, und so weiter. Menschliches Feedback wird immer seltener, stattdessen bewerten Algorithmen die Leistung. Sie informieren die Mitarbeiter mit automatisierten E-Mails, in denen diese erfahren, ob sie "fantastisch", "gut", "fair" oder "risikobehaftet" arbeiten. Ehemaligen Managern des Unternehmens zufolge sei Amazon bewusst gewesen, dass diese Systeme sehr fehleranfällig sind.

Günstiger als Menschen

Dennoch habe man aber entschieden, sie zu nutzen und falsche Entscheidungen in Kauf zu nehmen. Das sei günstiger, als Menschen zu bezahlen. Nachträgliche Prüfungen würden nur lasch erfolgen. Amazon selbst gibt gegenüber Bloomberg in einer Stellungnahme an, dass die Erfahrungen der von dem Medium befragten Fahrer anekdotisch seien und nicht jene der meisten Mitarbeiter darstellen würden. "Wir haben in Technologien und Ressourcen investiert, um Fahrern Sichtbarkeit zu ihrer Position und Eignung, weiter auszuliefern, zu gewähren", heißt es. Beschwerden würden auch geprüft werden. Wer seinen Job auf diese Weise verliert und sich beschwert, bekommt während des Verlaufs der Prüfung allerdings keine Bezahlung.

Automatisierter Vergleich

Auch in den Lagerhallen selbst werden Mitarbeiter bei dem Unternehmen in Echtzeit kontrolliert. Auf diese Weise wird geprüft, ob sie durchschnittlich produktiv genug sind. Dafür müssen sie jeden ihrer Arbeitsschritte parallel scannen, wie aus einer Recherche des Norddeutschen Rundfunk (NDR) aus dem vergangenen Jahr hervorgeht. Vorgesetzte haben jederzeit einen Zugriff auf die Aufzeichnungen und können einsehen, ob der oder die jeweilige Lagerbeschäftigte eine bestimmte Durchschnittsgeschwindigkeit erreicht.

Ist jemand mehrere Minuten lang nicht im Dienst, wird das ebenso angezeigt. In solchen Fällen greifen dann die Vorgesetzten ein. Ein Vorarbeiter erzählte dem ARD etwa anonym, dass Mitarbeiter dann vor Ort konfrontiert werden, um zu prüfen, ob sie beispielsweise zu viel plaudern oder zu oft auf der Toilette waren. Dadurch werden sie automatisiert mit dem Rest der Belegschaft verglichen. Wer zu wenig oder weniger als die anderen leistet, muss mit einer Kündigung rechnen – entschieden von einer Software. Wer schnell ist, bleibt, wer zu langsam ist, muss gehen – wodurch allerdings der Druck steigt und die Durchschnittsrate so immer mehr in die Höhe schnellt. (muz, 29.6.2021)