Die Demo am vergangenen Samstag.

Foto: Markus Sulzbacher

Aus dem von einigen Demonstranten angekündigten Sturm auf den ORF wurde nichts. Nur rund drei Dutzend Personen versammelten sich am Mittwoch vergangener Woche vor dem ORF-Zentrum in Wien, um "Lügenpresse" und andere Parolen zu skandieren. Ein ORF-Redakteur berichtete, dass Mitarbeiter und Gäste beim Hineingehen in das Gebäude als "Mörder" und "Psychopathen" beschimpft worden seien. Mit der Aktion wollten Gegner und Gegnerinnen der Corona-Maßnahmen gegen die Berichterstattung des Senders protestieren. Die geringe Beteiligung an der Aktion zeigt, dass die Lockerungen der Maßnahmen den Demonstrierenden den Wind aus den Segeln genommen haben.

Dies wurde bereits Ende Juni sichtbar, als sich nur mehr wenige hundert Personen in Wien zu einer Corona-Demonstration einfanden. Für einen der Redner war die Hitze und die Fußball-EM schuld daran, dass so wenige auf die Straße gingen. Warum sie überhaupt gekommen seien, erklärten Demonstranten und Demonstrantinnen mit ihrer Ablehnung von Impfungen und des grünen Passes. Außerdem verglichen sie die Maßnahmen der Regierung mit Gesetzen der Nazis – eine Verharmlosung des NS-Regimes, die schon bei den ersten Kundgebungen zu hören war.

"Nazis nicht willkommen"

Auch dürften interne Streitereien von führenden Aktivisten und Aktivistinnen verschreckt haben. Sie zanken sich über die Verwendung von Spendengeldern, über Gewalt bei Demonstrationen und über den Umgang mit Neonazis. Dazu kommt, dass die FPÖ nicht mehr stark für die Demonstrationen mobilisiert, dadurch bekommen weniger Personen die Kundgebungen überhaupt mit.

Im Gegensatz zu früheren Kundgebungen waren Ende Juni kaum organisierte Rechtsextreme auszumachen, nicht einmal die Identitären sammelten (wie sonst üblich) Spendengelder. Ungewöhnlich, da Vertreter der Szene schon bei den ersten Demonstrationen 2020 bei den Kundgebungen anzutreffen waren. Allerdings hatten die Organisatoren der Demonstration im Vorfeld ausgegeben, dass "Nazis nicht willkommen seien".

Rechtsextreme Ausweitung der Kampfzone

Die Rechtsextremen nutzen die Corona-Proteste bisher, um ihre "Kampfzone" auszuweiten, wie sie es nennen. Identitären-Chef Martin Sellner sagte etwa in einer seiner bekannt langatmigen Ausführungen, dass nun "eine einmalige Zeit" angebrochen sei, in "der ganz viele Menschen erreichbar" seien, die sonst nicht zu erreichen wären. Jeder Demonstrierende, jeder und jede, die einen Telegram-Channel abonniere, sei "ein Gewinn". "In den kommenden Wirtschaftskrisen" werde nämlich, seiner Ansicht nach, "die große Entscheidung fallen". Bis dahin macht er in bekannter Manier gegen Geflüchtete Stimmung. Er und eine kleine Gruppe anderer Rechtsextremisten versammelten sich vergangenen Freitag, um vor einem Asylzentrum der Caritas in Wien Favoriten zu demonstrieren. Vorwand war die Tötung eines 13-jährigen Mädchen in Wien. Im Zuge der Ermittlungen wurden aus Afghanistan geflüchtete Männer in U-Haft genommen.

Auch der bekannte Neonazi Gottfried Küssel rechnet schon bald wieder mit einem Auftrieb der Proteste. Bei seiner Rede auf einer Demonstration der Corona-Querfront im burgenländischen Eisenstadt meinte er, dass das "tatsächliche Chaos", die "tatsächliche Belastung der Bevölkerung" im Spätsommer beziehungsweise im Herbst kommen würde. Dazu passend, hat der Aktivist Martin Rutter, der in den vergangenen Monaten immer wieder Demonstrationen anführte, für 11. September dieses Jahres eine "Mega-Demo" angekündigt.

Weniger los auf Telegram

Wie sehr die Luft bei den Corona-Demonstrationen draußen ist, zeigt sich auch auf Telegram. Auf dem Internetzentralorgan der Bewegung ist vergleichsweise wenig los. Wurden in bestimmten Channels noch vor wenigen Monaten pro Minute drei bis zehn Beiträge gepostet, sind es nun nur mehr wenige pro Stunde.

Der massive Einsatz von sozialen Medien und von Videostreaming als Propagandainstrument ist eines der Merkmale der Bewegung. So wurden Online-Strukturen aufgebaut, die, beim richtigen Anlassfall, Menschen aktivieren und mobilisieren können. Sie werden auch in den kommenden Jahren noch eine Rolle spielen. Wie auch die Erfahrungen, die bei den vergangenen Demonstrationen gesammelt werden konnten. Diese werden vermutlich zum Einsatz kommen, wenn es darum geht, die Klimakrise als "Verschwörung der Eliten" kleinzureden. Ein Thema, das bei der neuen Zielgruppe gut ankommen könnte, schließlich vermutet sie hinter dem Coronavirus ebenfalls eine Verschwörung. (Markus Sulzbacher, 10.7. 2021)