Die Teamkollegen Sarabia und Ferran Torres stehen bei zwei Treffern, ebenso wie Morata.

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Schwer zu sagen, wer Montagabend in Kopenhagen gelöster war. Nach dem 5:3-Spektakel gegen Kroatien matchten sich Álvaro Morata und Unai Simón um den Titel des Glückspilzes des Tages. Ersterer war in der Verlängerung vom verachteten Chancentod zum Matchwinner mutiert, Letzterer hatte Spanien mit einem Slapstick-Eigentor in Rückstand gebracht, dann aber mit glänzenden Paraden den Sieg festgehalten.

"Álvaro Morata hat gezeigt, dass es nur wenige gibt, die in der Lage sind, das zu tun, was er getan hat", sagte Teamchef Luis Enrique über den Schützen des 4:3. Das hätten die zahlreichen Gegner des Einserstürmers über den Rest der Partie genauso sagen können. Da stand Morata im Abseits, vergab Chancen, sah ungeschickt aus. Aber in der 100. Minute machte er alles richtig. Mit rechts den Ball gestoppt, mit links ins Netz gedonnert. Und wie es so ist mit Narrativen, war der Buhmann mit einem Schuss der Held.

Nach dem spanischen Stotterstart in die EM war Morata samt Familie beschimpft und bedroht worden. "Es ist wahr, dass ich Dinge erlebt habe, die mir nicht gefallen", sagte der 28-Jährige. Aber manchmal müsse man erst "leiden, um solche Momente zu erleben". Enrique hielt Morata durch alle Torflauten die Treue, nun lobte er seine Einstellung und sagte den digital versammelten Journalisten: "Er erträgt Situationen, die keiner von euch ertragen möchte."

Das hätte er auch über Simón sagen können. Der 24-jährige Goalie hatte sich bei Pedris Rückpass grausig angeschüttet, den holpernden Ball über seinen Fuß rutschen und ins Tor rollen lassen. In den Geschichtsbüchern mag der 18-Jährige vom FC Barcelona als Eigentorschütze stehen, zuzuschreiben war das Steirergoal dem Schlussmann.

"Natürlich war das heute ein schwerer Fehler von ihm. Aber er hat danach noch einige fantastische Paraden gezeigt", wusste Enrique. Der nun elffache Teamspieler sei ein "Vorbild für alle jungen Spieler, die einmal Profifußballer werden wollen. Die Botschaft ist: Mach dir keine Sorgen wegen deiner Fehler. Konzentriere dich auf dein Ziel."

panien stellt mit elf Toren die beste Offensive des Turniers.
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Wacklige Dominanz

Spanien war bis auf fünf perplexe Minuten nach dem Gegentor dominant, nach Toren von Pablo Sarabia, César Azpilicueta und Ferrán Torres schien der Achtelfinal-Queso gegessen. Dass seine unerfahrene Auswahl die Kroaten in den letzten Minuten zurück in die Partie ließ, gab Enrique zu denken. "Wir können gegen jeden gewinnen, aber auch verlieren", sagte er.

Aber immerhin sind die Zeiten vorbei, in denen die zum Überschwang in alle Richtungen neigende spanische Sportpresse vom "Roten Alarm" geschrieben hatte. Ein Tor und zwei Punkte aus den ersten zwei Spielen, da hatte der spanische Hut gebrannt.

Dass die schlechten Resultate nicht spielerischer Schwäche, sondern nur schlechter Chancenauswertung geschuldet waren, war übrigens auch hier im STANDARD zu lesen. Gegen die Slowakei und Kroatien spielte die Furia Roja ähnlich viele Chancen heraus wie zuvor gegen Schweden und Polen, machte aus diesen aber zehn Tore. Spanien bei der Euro, der Traum eines jeden Stochastikers.

"Die Leute haben gesagt, dass Spanien keine Tore schießen könne", sagte Ferrán Torres. "Aber darauf habe ich nie gehört. Wenn du hart arbeitest, wirst du irgendwann belohnt." Die Marca schrieb ganz erlöst: "Wir wissen zu leiden, und wir können träumen." Und AS verlautbarte: "Jetzt genießen wir diese EM!"

Nach dem Kraftakt gegen Kroatien gilt Spanien als heißer Titelkandidat. "Das Team weiß, wofür es spielt und was es will. Wir wachsen in diesem Turnier sehr stark", sagte Kapitän Sergio Busquets. Er führt eine Mannschaft an, die im Kollektiv besticht – und im Kollektiv wackelt. Auch wenn den Tadel oft nur Morata abbekommt. (Martin Schauhuber, 29.6.2021)