Grün in die Stadt bringen – Gemeinschaftsbeete leisten dazu einen Beitrag.

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"Ich komme in Kontakt mit Leuten aus der Nachbarschaft. Das fördert das Zusammenleben hier im Grätzel. Gleichzeitig bieten die Beete eine sinnvolle Beschäftigung mit meinen Kindern, und ich kann ihnen den Umgang mit Pflanzen näherbringen." Judith Schübl bringt die Vorteile von Gemeinschaftsgärten auf den Punkt. Einsetzen, Gießen und Ernten sind längst nicht nur Menschen mit Haus auf dem Land vorbehalten. Auch in der Stadt gibt es zahlreiche Möglichkeiten, gärtnerisch tätig zu werden – auch wenn man nicht über Terrasse oder Balkon verfügt. Der Begriff Urban Gardening fasst zusammen, was alles darunterfällt: Beete, begrünte Hausdächer, gepachtete Felder oder auch bepflanzte Baumscheiben.

Schübl ist Obfrau des Mintzgartens im Nordbahnviertel im zweiten Bezirk. 2012 wurde er auf der Fläche des Gertrude-Fröhlich-Sandner-Campus gegründet, benannt ist er nach Fanny Mintz, die 1943 vom Nordbahnhof deportiert wurde und nach der auch eine Straße im Viertel benannt ist. Auf 20 Jahre hat der Verein des Gemeinschaftsgartens einen Pachtvertrag mit der Stadt Wien und der Baufirma Porr abgeschlossen. Letztere ist via Public Private Partnership am Schulcampus beteiligt.

Soziale Durchmischung

"Angestoßen wurde das Projekt vom Bezirksvorsteher und von der Gebietsbetreuung", erzählt Schübl. Die Umsetzung lag dann aber bei interessierten Bürgerinnen und Bürgern. Viele sind über die Jahre dabeigeblieben, aber jährlich stoßen auch neue Mitglieder dazu, wenn andere ihre Beete aufgeben. Zu Beginn seien vor allem höhergebildete und Österreich-stämmige Menschen beteiligt gewissen, mittlerweile sei die soziale Durchmischung gelungen, sagt Schübl. Das bringe Vorteile. Sie habe von der türkischen Familie, die ein Nachbarbeet betreut, beispielswiese gelernt, dass man Erbsen schon im März einsetzen kann. "Das hat dann super funktioniert, sonst sind mir die oft vertrocknet", so die Mutter zweier Buben.

Die Nachfrage nach einem Platz im Gemeinschaftsgarten sei groß. Aus diesem Grund werde auch eine Warteliste geführt. Die Kosten sind gering. Neben einer Kaution in Höhe von 100 Euro, die man bei Austritt zurückbekommt, zahlt man einen jährlichen Mitgliedsbeitrag von 40 Euro. Damit werden Instandhaltungskosten abgedeckt. Der Verein habe etwa entschieden, nächstes Jahr gemeinschaftlich neue Hochbeete zu bauen. Nach fast zehn Jahren ist das Holz bereits teilweise morsch.

Keine Transparenz im Hinblick auf vorhandene Flächen

Um an eine Fläche zum Garteln zu gelangen, gibt es in Wien zahlreiche Möglichkeiten, sie sind allerdings auf den ersten Blick nicht leicht zu durchschauen. Wie im Fall vom Mintzgarten sind es oft lokale Initiativen wie die Gebietsbetreuung oder die Lokale Agenda, die Projekte anstoßen oder ermöglichen. Flächen gibt es beispielsweise auch in Gemeindebauten, die die Stadt Wien vergibt. Aber auch die Bundesgärten stellen Flächen fürs Urban Gardening bereit – etwa beim Augarten im zweiten Bezirk.

Möglich ist Urban Gardening im Grunde auf jeder Fläche – es gilt eine Vereinbarung mit dem Inhaber zu schließen. Ein Wasseranschluss ist wohl ebenfalls Voraussetzung, um sinnvoll starten zu können.

Mehr Transparenz fordert der Verein Gartenpolylog, der eine Landkarte erstellt hat, in der Initiativen und Vereine ihre Gärten eintragen können. Rund 90 sind es derzeit in Wien an der Zahl. Der Forderung von Gartenpolylog, auch eine Karte mit potenziellen Flächen für weitere Beete zu erstellen, ist die Stadt bis dato nicht nachgekommen.

Bekenntnis von Rot-Pink

Zumindest im Regierungsprogramm unterstützt die Koalition aus SPÖ und Neos die Gemeinschaftsbeete. "Urban-Gardening-Projekte ermöglichen auch Menschen, die keinen Garten oder Balkon haben, den Anbau von Obst und Gemüse und sind zudem Orte des Zusammentreffens und Austausches." An anderer Stelle heißt es: "Lebensmittelproduktion in der Stadt leistet einen Beitrag zur Regionalität. Urban-Farming-Initiativen sollen daher bestmöglich unterstützt werden."

Politischer Protest

Urban Gardening kann übrigens als Weiterentwicklung des Guerilla-Gardening gesehen werden. Hier stand in den 70er-Jahren der politische Protest zur Rückeroberung der Straßen im Vordergrund, ausgehend von Städten wie London, New York oder Berlin. Heimlich wurden sogenannte Samenbomben in Hochhausschluchten oder Industriegebieten hinterlassen, um das Pflanzenwachstum zu fördern.

Politischer Aktivismus ist heute beim Urban Gardening in den Hintergrund gerückt. Mit Projekten wie dem Mintzgarten werden aber dennoch der kulturelle Austausch und das Zusammenleben gefördert. Nach außen hin offen zu sein, das ist im Gemeinschaftsgarten im Nordbahnviertel nicht nur eine Plattitüde, sondern wird durch konkretes Handeln gelebt: Entlang des Zauns wächst der sogenannte Naschgarten. Passantinnen und Passanten können sich jederzeit an den dort wachsenden Beeren bedienen. (Rosa Winkler-Hermaden, 9.7.2021)