Die vier Darsteller plus Miniband haben merklich Spaß an dem Abend.

Foto: Alexander Gotter

Die Dame im schicken pinken Einteiler ist extra früher gekommen, damit nicht schon wieder alle Sonderangebote aus dem Prospekt vergriffen sind, wenn sie das Geschäft betritt. Wie beim letzten Mal, als sie eine halbe Stunde nach Ladenöffnung da war. Sie glaubt inzwischen, dass dahinter ein teuflischer Plan steckt, der sie im Gedanken an verpasste Schnäppchen nachts um den Schlaf bringen soll, ar-ti-ku-liert Darstellerin Zeynep Buyraç angebissen und zerdehnt rotzig jede Silbe. Toller Monolog zum Einstand!

Brauchen wir die Warenwelt, oder braucht doch die Warenwelt viel eher uns? Um einen Kreislauf aus Gütern und Dienstleistungen in Schwung zu halten, den man im Werk X kurz als "Ausbeutungsverhältnis" charakterisiert? Im Meidlinger Theater für gesellschaftlich wache Geister ist man bereit, dieser Frage mit allen Konsequenzen der Verweigerungshaltung auf den Grund zu gehen. Will heißen, man produziert zwar eine Uraufführung namens Konsum. Ein Musical, aber man geht mit den Ressourcen sparsam um. Die theatralen Rohstoffe wurden teils recycelt: Clara Luzia spielt Song-Klassiker von It’s A Sin bis Hip Teens.

Kaufen für die Freiheit

Doch Regisseur und Autor Bernd Liepold-Mosser hat ihnen teils neue Texte gegönnt. Sie fügen sich nahtlos zwischen die kleinen Szenen über Konsum als Selbstverwirklichung, Statussymbol, Bürgerpflicht, Hobby, Gemeinschaftserlebnis. Wenn einem ein Pullover nicht mehr gefällt, wirft man ihn hier weg. Man lebt ja "nicht in einer Diktatur"!

Durchaus ehrenwert, ist das alles nicht neu und vorhersehbar in der Absicht. Andererseits aber in originelle Wendungen verpackt und eindrucksvoll geballt. "Bei meinem Styling verlasse ich mich auf die Kraft des Marktes", flötet Annette Isabella Holzmann und will damit sagen, sie schminkt sich je nach den für einen Look auf Instagram erhaltenen Likes. Überhaupt hat man sich sehr auf die Parallelwelt sozialer Plattformen eingeschossen, wo es für alles von Sneakers bis hin zu Erlebnissen (Oliver Huether) Angeber-Hashtags gibt.

"Here and now" und "arme Sau"

Die vier Darsteller plus Miniband (Catharina Priemer-Humpel am Schlagzeug liefert die Basis zu einem veritablen Rockkonzert) haben merklich Spaß an dem Abend, an dem auch eine Kreditkarte besungen wird: "Here and now" reimt sich ohne Reue auf "arme Sau".

Konsum passt gerade nach den Entbehrungen der Lockdowns und den nun getätigten Konsumaufrufen zum Stützen der Wirtschaft gut. Mehr Statistik und weniger Satire hätten den eineinhalb Stunden aber – gerade angesichts dessen – mehr überraschende Substanz und weniger gutgemeinte Gemeinplätze beschert. So erfährt man durchaus Hintergründiges aus dem Herstellungsprozess eines T-Shirts (Martin Hemmer) und dem Arbeitsleben einer Supermarktkassierin. Solche Passagen, die wenig bekannte Fakten zutage fördern, hätten häufiger sein können, statt zum dritten Mal über Farben als Kaufanreiz zu schimpfen. (Michael Wurmitzer, 29.6.2021)