Es ist der Tag X: der Tag, an dem die Normalität zurückkehren und das Licht am Ende des Tunnels erreicht werden sollte. Ende Juni, tönte noch im Frühjahr Bundeskanzler Sebastian Kurz, würden all jene, die sich impfen lassen wollen, auch einen ersten Stich erhalten haben.

Rund 4,7 Millionen Menschen haben ihren Erststich erhalten – 59,4 Prozent der impfbaren Bevölkerung.
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Dieser verlockende Ausblick wurde allerdings bereits Anfang des Monats getrübt: Nachdem die Impfung auch für Jüngere ermöglicht wurde und doch mehr Leute eine Impfung wollten als gedacht, musste das Ziel überdacht werden – von "alle, die wollen", auf zumindest fünf Millionen. Verfehlt wurde es jedoch trotzdem. Wenn auch nur haarscharf: Rund 4,7 Millionen Menschen haben ihren Erststich erhalten – 59,4 Prozent der impfbaren Bevölkerung.

Und jetzt? Während noch vor wenigen Wochen in der oft als "Impfmuffel" verschrienen Bevölkerung große Ungeduld vorherrschte, wann denn die eigene Altersgruppe endlich den Stich bekommen werde – gar ein neuer "Impfneid" entstand –, stößt Österreich nun langsam ans Ende der Impfbereitschaft: Erstmals wurde diese Woche jener Punkt erreicht, an dem es in einzelnen Bundesländern mehr Dosen als Impfwillige gab. Die Situation wird früher oder später das ganze Land ereilen.

Damit wir aber wirklich die Normalität zurückbekommen – und das langfristig, nicht nur für einen Sommer –, damit Lockdowns und Co der Geschichte angehören, muss die Regierung nun alles daransetzen, die Impfbereitschaft zu steigern. Besonders müssen Gruppen, die bisher von der Kampagne des Bundes nicht erreicht wurden, angesprochen werden – die Bobos in der City finden den Weg zum Stich schon. Viel eher braucht es noch immer mehrsprachige Informationen, Zusammenarbeit mit den Communitys oder Aufklärung in sogenannten Brennpunktschulen. Aber nicht nur der Bund ist gefragt – auch jeder Einzelne kann durch das Teilen seiner Impferfahrung die Aufmerksamkeit im eigenen Umfeld erhöhen.

Denn auch wenn das vorgegebene Impfziel der Regierung zum Greifen nah scheint, sind wir von der alten Normalität noch weit entfernt. Und das nicht zuletzt aufgrund der Mutationsfreudigkeit des Virus. Solange ein großer Teil der Bevölkerung nicht immunisiert ist, kann es passieren, dass die Spitäler wieder am Anschlag stehen; dass nicht dringende Operationen verschoben werden, dass sich im schlimmsten Fall die Frage stellt, wer ein Bett auf der Intensivstation erhält und wer nicht. Und dass tausende weitere Menschen sterben. (Oona Kroisleitner, 30.6.2021)