Im Südwesten Kanadas werden derzeit alle Hitzerekorde geknackt: Die Bevölkerung leidet.

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Jeder Windstoß wie ein Föhn im Gesicht – so beschreiben Klimatologen die derzeitige Rekordhitze im Südwesten Kanadas. Am Dienstag wurden im Ort Lytton 49,5 Grad Celsius gemessen: die höchste Temperatur in der Geschichte des Landes. Die Hitzewelle trifft die gesamte Provinz British Columbia, wo an über 30 Wetterstationen über 40 Grad gemessen wurden. Auch der Nordwesten der USA bricht Hitzerekorde: In Portland sprangen die Thermometer am Montagnachmittag auf bis zu 47 Grad. In Seattle wurden 42 Grad gemessen.

Mit konstant höheren Temperaturen werden auch die Wetterextreme heftiger, prognostiziert Wetterforscher Alexander Orlik.
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Wegen der Rekordtemperaturen meldeten die kanadische Polizei und Gemeinden dutzende Todesfälle. Allein im Großraum Vancouver starben 134 Menschen, die Behörden gehen in den meisten Fällen von einem Zusammenhang mit der Hitzewelle aus. Vielerorts kam auch die Infrastruktur zum Erliegen. Eigentlich beträgt die Durchschnittstemperatur im Hitze-Hotspot Lytton 3,5 Grad, jetzt ist es dort heißer als in Dubai. Was es mit dieser Hitze auf sich hat und warum sich auch Österreich auf weitere und möglicherweise noch schlimmere Rekordtemperaturen als derzeit gefasst machen muss, erklärt der Meteorologe Alexander Orlik von der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (Zamg).

STANDARD: 49,5 Grad Celsius zeigte das Thermometer in Lytton an, heißer als in Dubai. Ist das noch normal?

Orlik: Hitzewellen sind im Sommer nichts Außergewöhnliches. In diesen Breitengraden handelt sich dabei um Wellenbewegungen, wodurch kalte Luft in den Süden oder eben warme Luft aus subtropischen Gebieten oder in Europa aus der Saharazone in den Norden getragen wird. Neu sind die Extreme, also besonders langanhaltende sehr heiße oder sehr kalte Temperaturen.

STANDARD: Sprechen wir in einem solchen Fall noch von "Wetter" oder von Auswirkungen des Klimawandels?

Orlik: Extreme Wetter sind immer möglich, aber diese müssen im Kontext betrachtet werden: Wenn die Temperaturen konstant höher sind, werden auch die Extreme heftiger. Dies geht in manchen Erdteilen schneller als in anderen voran. Hohe Temperaturen sind auch auf Trockenheit und andere Faktoren zurückzuführen, die aber bislang noch nicht gänzlich erforscht sind.

STANDARD: Welche wären das?

Orlik: Dadurch, dass sich Polarzonen wegen der Eisschmelze besonders schnell erwärmen, sinkt der Temperaturunterschied zu den subtropischen Zonen. Dieser Temperaturunterschied ist der Motor für die Entstehung, Entwicklung und Zugbahn von Hoch- und Tiefdruckgebieten: Studien zeigen nun, je geringer der Temperaturunterschied, desto langsamer ziehen die Tiefdruckgebiete, und desto länger hält dasselbe Wetter an. Das bedeutet, dass es zu mehr Extremwettersituationen kommen kann.

STANDARD: Auch Österreich knackt einen Hitzerekord nach dem anderen, Niederösterreich wurde vergangene Woche von heftigen Gewittern heimgesucht, in Tschechien wütete ein Tornado. Worauf müssen wir uns gefasst machen?

Orlik: Wir wissen, dass wir besonders in den Sommermonaten in unseren gemäßigten Breiten vermehrt mit Wetterlagen wie Dürre und Überschwemmungen rechnen müssen. Bei der Mehrung von Tornados und Schwergewittern ist es komplizierter. Prinzipiell ist Mitteleuropa keine tornadofreie Zone. Wenn wir uns aber die Bedingungen ansehen, die für einen Tornado notwendig sind, können wir sagen, dass die Möglichkeiten für Schwergewitter und Tornados größer werden. Bei steigenden Temperaturen wird mehr Wasserdampf in der Luft aufgenommen, der dann kondensiert und als Motor eines jeden Gewitters fungiert. Es könnte aber auch sein, dass die zunehmende Trockenheit eine derartige Entwicklung wieder bremst.

STANDARD: In Kanada wurden dutzende Todesfälle gemeldet, die im Zusammenhang mit der Hitze stehen. Muss sich Österreich auch auf mehr Hitzetote gefasst machen?

Orlik: Es ist auch in Österreich damit zu rechnen, dass wir in Zukunft häufiger Temperaturen über 40 Grad Celsius haben werden, damit werden auch die Spitzen extremer. Die Gesellschaft muss sich überlegen, wie man sich an diese Entwicklung anpassen will. Ein wichtiger Schritt sind verlässliche Hitzewarnungen, damit beispielsweise Alten- und Pflegeheime vorbereitet sind.

STANDARD: Welche politische Maßnahme wäre aus Ihrer Sicht die allerwichtigste, um die menschlich verursachte Erderwärmung zu bremsen?

Orlik: Wir wissen, dass der CO2-Gehalt in der Atmosphäre wieder gesenkt werden muss. Das ist aber eine riesige Herausforderung, weil CO2 auch ein Wohlstandsprodukt ist. Die scheinbar einfachste Methode ist der Verzicht, aber ich bin Realist und weiß, dass dies nicht einfach ist. Gerade betreffend ärmere Regionen: Wer verzichtet gerne auf einen wirtschaftlichen Aufstieg? Zu entscheiden, wie wir die Energie der Zukunft produzieren, ist die Aufgabe der Politik. (Laurin Lorenz, 30.6.2021)