Ein junger Polyp der Seeanemone Nematostella vectensis. Die Art, wie die Hauptkörperachse von Seeanemonen durch unterschiedlich starke β-Catenin Signaltransduktion unterteilt wird, ähnelt jener von Seeigeln und Wirbeltieren.

Foto: Aguilar, Smithsonian Environmental Research Center

Damit Zellen wissen, wo ihr Platz ist und was aus ihnen einmal werden soll, braucht es so etwas wie ein Koordinatensystem. Diese Funktion übernehmen die Körperachsen, die bereits sehr früh in der Embryonalentwicklung angelegt werden. Entlang dieser Achsen werden regulatorische Gene aktiviert, die die Herausbildung der anatomischen Strukturen in den richtigen Positionen steuern. Auf diese Weise stellt der Körper sicher, dass beispielsweise die Ohren nicht auf dem Rücken wachsen.

Die Hauptkörperachse wird bei vielen Organismen durch den sogenannten β-Catenin-Signaltransduktionsweg reguliert. Wiener Forscher entzifferten nun die ursprüngliche Logik dieser Regulation. Sie steuerte schon im letzten gemeinsamen Vorfahren von Nesseltieren und Menschen vor 650 Millionen Jahren die Hauptkörperachse, berichten sie im Fachjournal "Nature Communications".

Uralte Prozesse

Die Positionierung aller anatomischen Strukturen ist ein sehr alter Prozess. Dabei werden die gleichen Moleküle bei Säugetieren, Seeigeln, Weichtieren, Insekten und Korallen verwendet. In allen diesen Tiergruppen reguliert der β-Catenin-Signaltransduktionsweg die Hauptkörperachse, während der so genannte BMP-Signalweg die sekundäre Körperachse strukturiert.

Die β-Catenin-abhängige, axiale Musterbildung scheint das älteste System zur Achsenregulierung überhaupt zu sein. Eine Forschungsgruppe um Grigory Genikhovich von der Universität Wien versuchte herauszufinden, wie die ursprüngliche β-Catenin-abhängige, axiale Musterbildung funktionierte. Dafür arbeitete das Team mit der Seeanemone Nematostella vectensis. Als Mitglied der Nesseltiere, zu denen die Korallen, Seeanemonen und Quallen zählen, gehört Nematostella einer evolutionären Schwestergruppe zu allen Bilateria, den zweiseitig-symmetrischen Tieren wie Säugetiere, Seeigel, Weichtiere und Insekten, an.

Gemeinsame Vorfahren

Die Wissenschafter erforschten, ob der Modus der Hauptachsenbildung bei Seeanemonen der Achsenbildung von einigen Bilateria ähnelt. Denn wäre das der Fall, dürfte dieser Modus auch der ursprünglichere sein, der sich schon vor etwa 650 Millionen Jahren beim letzten gemeinsamen Vorfahren von Nesseltieren und Bilateria abspielte.

In der frühen Embryonalentwicklung nimmt jede Zelle je nach ihrer Lage unterschiedlich intensive β-Catenin- und BMP-Signale wahr. Jede Zelle bekommt damit quasi eine molekulare Adresse und damit ihre räumliche Position im Embryo. Diese Adresse bestimmt in jeder Zelle, welche Gene aktiviert beziehungsweise deaktiviert und welche anatomischen Strukturen während der Entwicklung gebildet werden müssen.

Orale und aborale Strukturen

Konkret stellten die Forscher fest, dass der β-Catenin Signalweg bei Seeanemonen eine Reihe von Schalter-Genen am oralen Ende des Embryos aktiviert. Da es innerhalb dieser Schalter-Gene eine Hierarchie gibt, und einige davon andere hemmen können, wird ihre Aktivität mit der Zeit auf verschiedene Regionen des Embryos aufgeteilt. "Dadurch kommt es zu einer Musterbildung entlang der Hauptkörperachse und es formen sich zunehmend die oralen und aboralen (vom Mund abgewandten, Anm.) Strukturen des Embryos aus", sagte Genikhovich. Eine solche Musterbildung gibt es auch in Embryos von Wirbeltieren wie dem Menschen.

"Wir schließen daraus, dass Tiere, inklusive den gemeinsamen Vorfahren von Nesseltieren und Bilateria, bereits vor 650 Millionen Jahren diese Achsenbildungsmethode verwendet haben könnten", so Grigory Genikhovich. (red, 2.7.2021)