Zinédine Zidane (li.) und Didier Deschamps bei einem Benefiz-Rugbyspiel.

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Didier Deschamps hat es kommen gesehen. "Er wird bestimmt irgendwann Cheftrainer von Frankreich", sagte der, ja, Cheftrainer von Frankreich vor der WM 2018. Er, das ist Zinédine Zidane, der damals gerade als Coach von Real Madrid zurückgetreten war. Drei Jahre später ist Deschamps immer noch Cheftrainer von Frankreich und Zidane schon wieder als Coach von Real Madrid zurückgetreten. Und immer noch wissen alle, dass "Zizou" irgendwann die Equipe Tricolore anleiten wird.

Ginge es nach dem Amtsinhaber, dürfte dieses Irgendwann gerne noch ein paar Jährchen in der Zukunft liegen. Doch nach Frankreichs sensationellem Achtelfinal-Scheitern gegen die Schweiz scheint eine Wachablöse keineswegs mehr unmöglich.

Verbandspräsident Noël Le Graët hat sich noch nicht zu Deschamps bekannt. "In den nächsten acht bis zehn Tagen werden wir in aller Ruhe diskutieren. Ich werde dann sehen, in welcher Verfassung er ist. Wenn seine Motivation intakt ist, ist es meine auch", sagte Le Graët dem Radiosender Europe 1 nach einer kurzen Unterhaltung mit dem Teamchef. Er wolle "eine Reihe von Spielen, Didiers Beliebtheit, aber auch sein Verhältnis zu den Spielern analysieren".

Jeder gegen jeden

Genau das könnte Deschamps nun zum Verhängnis werden – oder ihn gar zum Abschied aus freien Stücken bewegen. Les Bleus waren gegen die Schweiz die Karikatur eines zerstrittenen Starensembles. Laut "L’Équipe" tauschten Raphaël Varane, Benjamin Pavard und Paul Pogba auf dem Feld Nettigkeiten aus. Die in Frankreichs Medien gängigste Version: Varane kritisierte Pavard, der wiederum Pogbas Defensivfaulheit bejammerte. Varane trug das zu Pogba, der Pavard zur Rede stellte – am Ende soll Varane dem Abwehrkollegen zugestimmt haben.

Nachdem Pogba vor dem späten Gegentor zum 3:3 den Ball verschenkt hatte, geigte ihm Mittelfeldkollege Adrien Rabiot die Meinung. Dessen Mutter Veronique verlagerte den Clinch auf die Tribüne, laut dem Sender RMC Sport legte sie sich erst mit Pogbas Familie an und richtete dann noch Kylian Mbappés Eltern aus, dass man so doch keinen Elfmeter schießen könne.

Deschamps blieb von der notorisch rabiaten Maman Rabiot verschont, bekam aber andernorts sein Fett ab. In der Pause der Verlängerung lieferte sich Kingsley Coman ein Wortgefecht mit seinem Chef, weil der Bayern-Kicker trotz muskulärer Probleme nicht ausgewechselt werden wollte.

Mangelnde Disziplin soll generell das größte Problem des Weltmeisters gewesen sein. Laut Medienberichten hätten die Profikicker ihren Schlafrhythmus mit Playstation-Sessions bis vier Uhr früh torpediert. Deschamps größte Sorgen sollen nicht Cristiano Ronaldo oder Granit Xhaka, sondern "Fifa" und "Fortnite" gewesen sein.

Wer weiß, ob sich der Weltmeistertrainer das weiterhin antun will. Wer weiß, ob er es dürfte. Neben den innenpolitischen Disputen werden seine ständigen Systemwechsel verdammt. Für "L’Équipe" erweckte er "den Eindruck, nichts unter Kontrolle zu haben". Er habe durch sein Wiglwogl "am Ende alle verloren: seine Spieler, die Fans und sich selbst".

Zidane wartet

Zidane stünde jedenfalls bereit – zumindest wenn man seinem letzten Arbeitgeber glaubt. "Er hat die Hoffnung, Nationaltrainer von Frankreich zu werden. Und sicherlich wird er das", hatte Real-Präsident Florentino Pérez vergangene Woche gesagt.

Und wenn ein Zinédine Zidane in Frankreich etwas will, dann bekommt er das normalerweise. Fußballlegenden sind in Frankreich Legion. Just Fontaine, Jean-Pierre Papin, Michel Platini, Thierry Henry, Eric Cantona, Raymond Copa, Laurent Blanc, Deschamps – doch Zizou verbindet ballesterische Gaben wie kein Zweiter mit Trainererfolg und souveränem Auftreten.

Der Wunderkicker mit algerischen Wurzeln schwebt auf einer eigenen Stufe – und steht damit auch über dem Noch-Teamchef. Der führte seine Équipe bei der WM 1998 und EM 2000 immerhin als Kapitän zum Triumph, doch schon damals stand er als im defensiven Mittelfeld wühlender "Wasserträger" im Schatten des Ballmagiers aus Marseille. Gut möglich, dass er das bald wieder tut. (Martin Schauhuber, 1.7.2021)