"Die Welt braucht Taten statt nur schöner Worte", mahnte Aktivistin Greta Thunberg letztens. "Die wahre Ernte meines täglichen Lebens ist etwas so Unfassliches wie das Morgen- und Abendrot", meinte dereinst Henry David Thoreau (1817–1862). Jahrelang lebte der Schriftsteller und Naturliebhaber als Eremit in den unberührten Wäldern von Massachusetts. Schon damals, Mitte des 19. Jahrhunderts, kam er zu der Erkenntnis, dass der Mensch umso reicher ist, je mehr Dinge er sein und hinter sich lassen kann. Heute, in einer Zeit, in der nahezu das gesamte Leben kapitalistisch-purem Utilitarismus untergeordnet ist, in einer Ära immenser Intensität, Oberflächlichkeit, schnelllebiger Reizüberflutung, sehnt man sich nach etwas Ursprünglichem, strebt nach ehrlicher Authentizität.

Ulrich Weber (Hrsg.), "Bio-Magazin, 100. Ausgabe". Magazin für ein einfach besseres Leben. Einzelheft: € 4,90 / Jahresabo 7 Ausgaben: € 32,90 / Weber-Media, Wien 2021.
Foto: Bio Magazin

"Raus in die Natur!", lautet denn auch der Ruf, dem unsereins dieser Tage immer öfter folgt. Sobald die Tage länger, die Nächte kürzer werden, die Temperaturen steigen, Sonnenlicht und Wärme die Lebensgeister zum Leben erwecken, sucht man gern nach dem sprichwörtlichen Paradies. Positionen und Perspektiven des ganz persönlichen Glücks sind es, die von jeher die Welt bestimmt haben. In Wahrheit geht es in den meisten Momenten des Menschseins darum, das Universum, die Natur, das Sein per se in Form unkultivierter, unberührter, natürlicher Refugien zu erfahren, greifbar, begreifbar zu machen. "Gib mir eine Wildheit, die von keiner Zivilisation ertragen werden kann", umschrieb Thoreau die Herausforderung. Sein Leben als Eremit in einer Hütte am Walden Pond mutiert heute zum Symbol der Entschleunigung sowie der Reduktion auf das Wesentliche.

Positivismus

Auch wenn der Terminus der "Nachhaltigkeit" im Großen und Ganzen im öffentlichen Diskurs von der Politik und der Werbewirtschaft oft bis zur Unkenntlichkeit verbogen, missbräuchlich verwendet oder zum Schimpfwort degradiert wird, ist er im kollektiven Bewusstsein weitgehend vorhanden. Beispiel für einen adäquaten Umgang mit dem Thema ist das Bio-Magazin, das, 2006 gegründet, nun in Form der 100. Ausgabe sein Jubiläum begeht. Herausgeber Ulrich Weber und sein Team beweisen, dass Engagement nicht zwangsläufig investigativ mit erhobenem Zeigefinger im Anprangern ökologischer Sünden einhergehen muss, sondern dass man auch mit Stil sein Leben Richtung Positivismus verändern kann. "Längst sollte es nicht mehr ‚bio‘, sondern eigentlich ‚normal‘ heißen", meint Weber in Bezug auf Lebensmittel: "Bio darf und muss normal sein, nur so ist es in den Alltag integrierbar."

Dies illustriert einmal mehr die aktuelle Ausgabe. Das Spektrum reicht von einer Analyse der ambitionierten Forderung der EU, bis 2030 25 Prozent der Agrarflächen nachhaltig zu verwenden, einem Essay über die Fridays-for-Future-Bewegung, Tests von Naturkosmetika, Tipps für regionale und saisonale Gerichte, veganes Eis, Berichten über verantwortungsvolles Reisen, Solaranlagen, E-Mobilität bis hin zu fein komponierten Fotostrecken, die belegen, dass Mode und Lifestyle auch bio sein können, abseits von Batik, Yoga, Jutesack und Herrgottsschlapfen, jenseits der "Wahl zur Miss Achselbart".

De facto gelingt dem Bio-Magazin, was es sein will, wie Herausgeber Ulrich Weber im Editorial definiert, nämlich weder elitär noch bevormundend, sondern unterhaltsam und informativ, mit Augenmaß, "ein Wegbegleiter, kein Traumfänger, kein Kristallwasserverweichlicher und schon gar kein therapeutisches Geschwätz von einer besseren Welt. Wir sind ehrlich und normal, so wie bio eben sein muss". In diesem Sinne "Happy Bio-Day". Auf die nächsten 100. Es gibt eh noch viel zu tun. (Gregor Auenhammer, 30.6.2021)