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Amy Gutmann und Joe Biden im Jahr 2019 bei einem Gespräch in der Penn.

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Gutmann zieht zurück in das Land, aus dem ihr Vater geflohen ist.

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Hätte ihr Vater 1934 nicht zur Flucht aus Deutschland gedrängt, hätte wahrscheinlich keiner aus seiner Familie den Holocaust überlebt. "Die ganze Familie wäre von dieser Erde verschwunden, hätte er nicht getan, was er tat", wird Amy Gutmann vom "Daily Pennsylvanian" zitiert, dem Studentenmagazin der University of Pennsylvania.

Dessen Redaktion hat sie vor acht Jahren erzählt, worauf der Entschluss ihres Vaters beruhte. Kurt Gutmann studierte an einer Hochschule in Nürnberg und wohnte bei Gasteltern, mit denen er sich recht gut verstand. Eines Tages sah er, wie auch die vermeintlichen Freunde bei einem Aufmarsch der Hitlerjugend am Straßenrand standen und salutierten. "Wenn selbst ihr so etwas tut, worauf steuert dieses Land dann zu?", gab seine Tochter wieder, was ihm schwante. Damals Anfang zwanzig, der Jüngste in seiner Familie, machte er seinen Eltern und den vier Geschwistern klar, dass man Deutschland schnellstens verlassen müsse. Die Odyssee führte zunächst nach Indien, bevor man, Jahre später, in die USA übersiedelte.

Nachfolge von Grenell

Nun kehrt Amy Gutmann, 1949 in New York geboren, aller Voraussicht nach zurück in das Land, aus dem ihr Vater fliehen musste. Joe Biden will sie als Botschafterin nominieren und damit einen Posten besetzen, der seit über zwölf Monaten vakant ist. Wird sie vom Senat bestätigt, folgt sie auf Richard Grenell, einen Diplomaten, der in erster Linie durch undiplomatische Belehrungen auffiel und sich gerade deshalb bei Donald Trump höchster Wertschätzung erfreute. Schon vor seinem offiziellen Abschied aus Berlin war er nach Washington zurückgekehrt, um vorübergehend die Arbeit der Geheimdienste zu koordinieren und seinem Idol im Wahlkampf zur Seite zu stehen.

Hatte Trump in Deutschland eher einen Konkurrenten gesehen als einen Verbündeten, so stellt Biden den Wert der transatlantischen Allianz heraus und betont die Rolle der Bundesrepublik als europäischer Schlüsselpartner. Zum inhaltlichen Kontrast passt die Personalie Gutmann.

Solidarität mit Studentenprotesten

Die 71-Jährige kann als eine Symbolfigur jener weltoffenen, politisch zu den Demokraten tendierenden Ostküstenelite gelten, deren Überzeugungen Trump sein populistisches "America First" entgegensetzte. Nach dem Studium, erst Radcliffe College in Massachusetts, dann London School of Economics, schrieb sie in Harvard ihre Doktorarbeit. 1976 fing die Politikwissenschafterin in Princeton an, wo sie 2001 zur Vizerektorin befördert wurde.

2004 übernahm sie die Leitung der University of Pennsylvania, die wie Harvard und Princeton Teil der illustren Ivy League ist. Zu den Absolventen gehören der Milliardeninvestor Warren Buffett, Unternehmer wie Elon Musk und Steve Wynn, die Spitzenanwältin Gloria Allred, der Sänger John Legend – und Donald Trump.

Auch der Campus in Philadelphia stand zuletzt immer öfter im Zeichen der tiefen politischen Spaltung, wie sie die USA prägt. Vor sieben Jahren, nach tödlichen Polizistenschüssen auf den schwarzen Teenager Michael Brown, solidarisierte sich Gutmann auf prägnante Weise mit Protesten von Studenten. Die legten sich während einer "Holiday Party" im Dezember demonstrativ auf den Boden, um an Brown zu erinnern, dessen lebloser Körper in Ferguson stundenlang auf der Straße gelegen hatte. Die Rektorin tat es ihnen nach, womit sie neben Applaus auch Widerspruch erntete. Der Chef der Polizeigewerkschaft der Uni sprach wütend von einer schallenden Ohrfeige, die sie mit ihrem Verhalten jedem, der eine Uniform trage, versetzt habe.

Nahe der Biden-Heimat

Biden wiederum war häufig zu Gast an der Penn, wie die Eliteschmiede der Einfachheit halber genannt wird. Nach seinem vorübergehenden Abschied aus Washington hielt er dort Vorträge über Weltpolitik, diskutierte mit einem Ex-Präsidenten Mexikos und einem ehemaligen Vizepremier Großbritanniens und ließ sich auf Foren von Gutmann befragen.

Von seinem Wohnort Wilmington aus gesehen ist Philadelphia die nächstgelegene Großstadt, und zur renommiertesten Universität der Metropole pflegte er beste Kontakte. Zwischen Februar 2017 und April 2019 soll er rund 900.000 Dollar an Honorar kassiert haben. Seine exzellenten persönlichen Beziehungen zu Politikern rund um den Globus, lobte Amy Gutmann, nachdem er zum Präsidenten gewählt worden war, haben die Welt näher an die Penn und die Penn näher an die Welt herangebracht. (Frank Herrmann aus Washington, 30.6.2021)