Familienminister Adrien Taquet nennt es einen "sehr schönen Moment der Demokratie".

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In einem waren sich Befürworter und Gegner einig: Das neue Bioethik-Gesetz bewirkt in Frankreich eine gesellschaftliche Revolution. Erstmals erhalten Frauen die Möglichkeit, ihren Kinderwunsch auch ohne einen sichtbaren Vater zu erfüllen. Die französische Nationalversammlung hat die Neuerung am Dienstag gutgeheißen. Völlig verdrängt von der Fußballeuropameisterschaft und den Regionalwahlen ging das seit zwei Jahren umstrittene Gesetz schließlich klar durch: 326 Abgeordnete stimmten dafür, 115 dagegen, 42 enthielten sich der Stimme.

Frauen- und LGBT-Verbände kündigten an, dass noch in diesem Jahr erste Befruchtungen stattfinden sollen. Lesbische Gattinnen müssen im Unterschied zu Heteropaaren ihre Kinderabsicht bei einem Notar urkundlich festhalten.

Familienminister Adrien Taquet von der Mittepartei La République en Marche sprach von einem "sehr schönen Moment der Demokratie". Andere Vertreter der Macron-Partei würdigten einen "zivilisatorischen Fortschritt" und den "Sieg des Herzens über das Schicksal". In Frankreich gibt es fast zwei Millionen Alleinerzieherinnen. Das neue Bioethik-Gesetz erlaubt es damit jeder vierten Familie, ihren Kinderwunsch zu erfüllen.

"Moralische Wasserscheide"

Die Widersacher der Vorlage beklagen ihrerseits einen "zivilisatorischen Bruch". Julien Ravier von der konservativen Partei Les Républicains erklärte, Frankreich werde mithilfe der Wissenschaft "Kinder ohne Vater zulassen". Das sei nicht nur ein ethisches, sondern auch ein gesellschaftspolitisches Problem in Zeiten, da überall der Verlust der väterlichen oder elterlichen Autorität bedauert werde. Die rechte Abgeordnete Emmanuelle Ménard sprach von einer "moralischen Wasserscheide", denn erstmals überhaupt werde Neugeborenen der natürliche Schutz durch ein Elternpaar entzogen.

Die französische Bischofskonferenz hatte die Vorlage zwar abgelehnt. Offiziell beteiligte sie sich aber nicht an einer Gegendemonstration im Jahr 2019, als die Regierung das Gesetzesprojekt vor das Parlament gebracht hatte. Die Nationale Ärzteakademie befürchtete "Risiken für die psychologische Entwicklung und die Entfaltung des Kindes" und vermisste vertiefte Studien zu dieser Frage.

Der Nationale Ethikrat Frankreichs (CCNE) hatte die Neuerung abgesegnet. Er argumentierte, die Gesellschaft habe sich entwickelt, was es erlaube, zahllosen Frauen ihren Kinderwunsch zu erfüllen. Wohl nicht zuletzt aus diesem Grund war in Frankreich laut einer Umfrage eine klare Mehrheit von 67 Prozent der Bevölkerung für die Verallgemeinerung der künstlichen Befruchtung, die bisher nur auf medizinische Indikation hin zugelassen war.

Anonymität wird aufgehoben

Um der verbreiteten Kritik an der "Umgehung" der männlichen Rolle zu begegnen, beschloss das Parlament, die Anonymität des Samenspenders aufzuheben: Bei erreichter Volljährigkeit können die betroffenen Kinder die Identität ihres biologischen Erzeugers erfahren. Der Mutter bleibt sie allerdings ebenso lange verborgen.

Die Reaktionen auf die Verabschiedung des Gesetzes machen klar, dass die Debatte in Frankreich keineswegs zu Ende ist. Der Abgeordnete Bastien Lachaud von der Linkspartei Unbeugsames Frankreich sprach von einem Etappensieg. Nun gehe es darum, auf dem Weg der Gleichheit weiterzugehen. Damit spielte er auf die Leihmutterschaft an, die in Frankreich ein ausgesprochenes Reizthema ist und verboten bleibt. Nur sie könnte aber Männer und Frauen gleichstellen, das heißt, den Kinderwunsch homosexueller Männer erfüllen.

Mögliche Vorreiterrolle

Die Debatte in Frankreich könnte auch eine Vorreiterfunktion für andere europäische Länder haben. Wie zum Beispiel auch in Italien bleibt die künstliche Befruchtung für lesbische oder alleinstehende Frauen in Deutschland untersagt. In Österreich ist sie nur für Frauenpaare zugelassen. In der Schweiz könnte dies ab September der Fall werden, falls eine Volksabstimmung über die Ehe für alle angenommen werden sollte. Die Samenspende für alleinstehende Frauen ist allerdings bis auf weiteres in keinem der deutschsprachigen Länder vorgesehen. (Stefan Brändle aus Paris, 1.7.2021)