Die beiden Historiker Johannes Dafinger und Robert Obermair kritisieren in ihrem Gastkommentar den Umgang mit schwerbelasteten Straßennamen in Salzburg.

Die Benennung einer Straße, eines Platzes oder einer Brücke nach einer verstorbenen Person wird gemeinhin als posthume Ehrung verstanden. Vor knapp einem Monat wurde in Salzburg dem Holocaust-Überlebenden und langjährigen Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde Salzburg Marko Feingold diese Ehre zuteil. Der Marko-Feingold-Steg erinnert seither an einen Bürger der Stadt, der sich unter anderem engagiert dafür einsetzte, die Zeit des Nationalsozialismus und die Verbrechen, die während der nationalsozialistischen Herrschaft begangen wurden, nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.

In 13 Fällen empfiehlt eine Salzburger Historikerkommission die Umbenennung von Straßennamen, etwa der Heinrich-Damisch-Straße. Zu gravierend seien die Verstrickungen der Namenspaten mit den Nationalsozialisten.
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Der Salzburger Historiker Robert Kriechbaumer, Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirates der nach dem Vater des derzeitigen Landeshauptmanns benannten Wilfried-Haslauer-Bibliothek, forderte hingegen jüngst in den Salzburger Nachrichten, "die Zeitgeschichtsforschung aus ihrer Fokussierung auf den Nationalsozialismus zu befreien", ja, er nannte die Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus gar eine lähmende "Diktatur des Betroffenheitskults". Würde Feingold noch leben, er würde diese Aussagen wohl zu Recht als Schlag ins Gesicht empfinden. Einverstanden dürften dagegen alle sein, die in letzter Zeit ebenfalls tönten, der "diskursbeherrschende linksliberale Mainstream" sei in seinem "Selbst- und Geschichtshass" ausschließlich an "historischer Elendspropaganda" interessiert – so der Militärhistoriker Michael Hochedlinger im STANDARD-Gastkommentar.

Die Rede vom angeblichen "Schuldkult" ist darüber hinaus fester Bestandteil rechtsextremer Rhetorik, wie sie etwa vom Chef der Identitären, Martin Sellner, gepflegt wird. Lasst uns doch endlich mit dem Nationalsozialismus in Ruhe, so lautet das Mantra der Schlussstrichfraktion, ein Lamento, das kurioserweise bereits unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges einsetzte. Auch in diesen Kreisen dürfte man mit Kriechbaumers Forderung zufrieden sein.

Den Anlass für Kriechbaumers verbale Attacken bot das Erscheinen eines 1100 Seiten langen Abschlussberichts einer von der Stadt Salzburg eingesetzten Fachkommission, der sich mit Straßennamen in Salzburg beschäftigt.

Kein "Zeitgeist"

"Gravierende NS-Verstrickung" diagnostizierte die Kommission im Fall von 13 Namensgebern, darunter beispielsweise der Mitbegründer der Salzburger Festspiele Heinrich Damisch, spätestens seit 1. Mai 1932 NSDAP-Mitglied und bereits in den 1920er-Jahren Autor mehrerer antisemitischer Zeitungsartikel, und Josef Thorak, ein von der NS-Führungsriege hochgeschätzter Bildhauer, der unter anderem von der "Arisierung" des Schlosses Prielau bei Zell am See profitierte. Kriechbaumer bemüht sich, derartige Verstrickungen mit dem damaligen "Zeitgeist" zu erklären. Es sei absurd, etwa den Salzburger Herbert Karajan, der schon am 8. April 1933 der NSDAP beitrat (Mitgliedsnummer 1.607.525), als "Nazi" und als "Bösen" zu bezeichnen.

Die Zeitgeschichtsforschung, deren Befreiung Kriechbaumer fordert, ist über derart plumpe Zuschreibungen freilich schon längst weit hinaus. Die neuere Forschung begreift den Nationalsozialismus als "Weltanschauungsfeld" (ein Begriff des Trierer Historikers Lutz Raphael), an dem kaum ein Gedanke neu war, sondern aus älteren Ideen zusammengefügt. Häufig als Schwäche der NS-Ideologie missinterpretiert, war dies im Gegenteil gerade einer der Gründe für ihren Erfolg. Denn anders als Kriechbaumer meint, gab es eben nicht nur "überzeugte Propagandisten" des NS-Regimes und die anderen, die sich dem von diesen Propagandisten geschaffenen "Zeitgeist" beugten, sondern auch viele, die etwa aus elitärem Dünkel über den Nationalsozialismus als Massenbewegung die Nase rümpften, sich einigen seiner politischen Ziele gleichwohl verbunden sahen.

Selbstzeugnisse und Persilscheine

Das ist freilich nichts, was man in Entnazifizierungsakten liest. Insofern erstaunt es, dass Kriechbaumer sich ausgerechnet auf "den gesamten Entnazifizierungsakt Karajans" beruft, sind doch die Selbstzeugnisse und Persilscheine, die im Zuge der Entnazifizierung entstanden sind, fast schon zum Symbol für kritisch zu hinterfragende Quellen geworden.

Unumstritten ist, dass Karajan sich dem Regime andiente, von ihm höchste Förderung erfuhr und es im Ausland repräsentierte, indem er etwa im besetzten Paris dirigierte. Thomas Mann – sicherlich keiner der "68er", deren "Blödsinn" Kriechbaumer nicht mehr lesen möchte – schrieb zu Letzterem in seinem berühmten Brief vom September 1945 an Walter von Molo: "Ein Kapellmeister, der, von Hitler entsandt, in Zürich, Paris oder Budapest Beethoven dirigierte, machte sich einer obszönen Lüge schuldig – unter dem Vorwande, er sei ein Musiker und mache Musik, das sei alles."

Notwendige Debatte

Sollte man deshalb den Herbert-von-Karajan-Platz in Salzburg umbenennen? Darüber kann und soll man streiten. Der Fachbeirat der Stadt sieht ebenfalls Diskussions- und Handlungsbedarf. Unverständlich ist, dass Bürgermeister Harald Preuner (ÖVP) das Ergebnis der Diskussion schon vorwegnehmen möchte, bevor der umfassende Bericht überhaupt rezipiert werden konnte, eine Umbenennung ausschließt – und ausgerechnet Kriechbaumer damit beauftragte, eine Empfehlung abzugeben, wie stattdessen mit den 13 Straßennamen umgegangen werden solle.

Man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass diese Entscheidung die Diskussion nicht beenden wird. (Johannes Dafinger, Robert Obermair, 2.7.2021)