Die Furia Roja hat sich zur effektivsten Offensivmaschine der EM entwickelt. Schlechte Nachrichten auch für die Schweiz.

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Euro-Ticker: Schweiz vs. Spanien und Belgien vs. Italien, Fr., ab 18 Uhr

Nach dem rauschenden Fest gegen Weltmeister Frankreich ist die Heimat auf die nächste Party vorbereitet. Sollte die Schweiz im Viertelfinale in Spanien auch einen zweiten Titelkandidaten aus dem Turnier entfernen, spendiert die Stadt Zürich den Fans eine Freinacht. Die Sperrstunde für Innenräume in Gastrobetrieben würde also aufgehoben, die Jubelfeier in die Verlängerung gehen. Und die Schweizer Nationalmannschaft will das möglich machen.

Hitzfelds Zuspruch

"Wichtig ist, dass wir diese Energie mitnehmen", sagte Mittelfeldspieler Remo Freuler, "dann wissen wir, dass wir zusammen Großes schaffen können." Und es wäre etwas ganz Großes, sollte den Eidgenossen der Halbfinaleinzug gelingen. Mit dem ersten Viertelfinalspiel bei einem großen Turnier seit 1954 haben Yann Sommer und Kollegen schon jetzt Historisches geleistet. Doch sie wollen mehr. Und sie können mehr, glaubt zumindest Ottmar Hitzfeld. "Wenn man Frankreich eliminiert, kann man auch gegen Spanien weiterkommen", sagte der langjährige Coach der "Nati", dem der aktuelle, Vladimir Petković, 2014 ins Amt folgte.

Die Spanier werden die Schweizer anders als – zumindest phasenweise – die Franzosen nicht unterschätzen. Auch, weil die Iberer schon in den jüngsten Nations-League-Duellen (1:0 in Madrid und 1:1 in Basel) Mühe hatten. "Sie pressen gut und machen es einem schwer", sagte Stürmer Ferrán Torres von Manchester City. Auch Abwehrspieler César Azpilicueta von Chelsea erwartet ein "kompliziertes Spiel".

Der Respekt beruht auf Gegenseitigkeit. Zumal der frühere Welt- und Europameister eine verschworene Einheit aufbietet, wie alle Spieler bei jeder Gelegenheit betonen. Das spektakuläre Comeback beim 5:3 im Achtelfinale gegen Kroatien spreche "für den Zusammenhalt im Team", sagte Torhüter Unai Simón, der nach seinem kuriosen Patzer zum 0:1 zur Hochform aufgelaufen war.

Auffällig bei den Spaniern ist, dass auch die Reservisten wie Mittelfeldstar Thiago Alcántara nicht aus der Reihe tanzen. Öffentliche Beschwerden gibt es nicht, kein schlechtes Wort dringt nach draußen. Die spanischen Journalisten sollen schon verzweifeln, zumal Nationaltrainer Luis Enrique seinen Kader nach der anfänglichen Kritik komplett abschottet. Die negativen Schlagzeilen hätten das Wir-Gefühl verstärkt, sagte Torres: "Das hat uns noch mehr verbunden."

Herz Xhaka fehlt

Vom Gemeinschaftsgefühl lebt auch die Schweiz, die jedoch einen schmerzhaften Ausfall zu beklagen hat. Der eigentlich unersetzliche Anführer Granit Xhaka muss ersetzt werden, er fehlt wegen einer Gelbsperre. Der Profi von Arsenal verpasste zuletzt vor rund fünf Jahren gegen Ungarn in der WM-Qualifikation ein Pflichtspiel. Bei Endrunden hat Xhaka in der Ära Petković keine Minute ausgelassen.

"Granit ist unser Herz auf dem Platz", sagte Goalie Sommer. Petković, der mit dem 78. Länderspiel zum alleinigen Rekordtrainer der Schweiz aufsteigt, dürfte zwischen Denis Zakaria und Djibril Sow als Ersatzmann wählen. Weder für den Dortmunder noch für den Frankfurter eine dankbare Aufgabe.

So oder so täte Stabilität not, avancierte die "Furia Roja" mit Fortdauer des Turniers doch zur produktivsten Offensive der EM. Elf Tore hat Spanien bisher erzielt, zehn allein in den vergangenen beiden Spielen. Ihre Fähigkeit, den Ball in den eigenen Reihen zirkulieren zu lassen, stieß zunehmend auf Kritik, der Ballbesitzfußball gibt dem Gegner aber auch wenige Torchancen. In der Gruppenphase hatte Spanien nur einen Treffer kassiert, im Achtelfinale schoss sich Goalie Simon einen selbst. Umgekehrt haben die Schweizer exklusive Elfmeterschießen gegen Frankreich schon acht Tore eingesteckt – so viele wie kein anderer Viertelfinalist.

Insgesamt gelang den Schweizern erst ein Sieg in 22 Partien gegen Spanien – ausgerechnet in der Gruppenphase der WM 2010 in Südafrika. Gegen den Europameister, der in zuvor 48 Spielen nur eine Niederlage kassiert hatte, schaffte die Mannschaft von Trainer Hitzfeld mit einem 1:0 damals die Sensation. Dank starker Abwehrleistung und mit viel Glück. Die Schweizer verpassten damals dennoch den Einzug in die K.-o.-Phase, Spanien wurde dagegen Weltmeister. (APA, sid, lü, 1.7.2021)

Mögliche Aufstellungen zum Fußball-EM-Viertelfinale:

Schweiz – Spanien (St. Petersburg, St. Petersburg Stadion, 18 Uhr/live ORF 1, SR Oliver/ENG)

Schweiz: 1 Sommer – 4 Elvedi, 5 Akanji, 13 Rodriguez – 3 Widmer, 6 Zakaria, 8 Freuler, 14 Zuber – 23 Shaqiri – 9 Seferovic, 7 Embolo

Ersatz: 12 Mvogo, 21 Omlin – 2 Mbabu, 17 Benito, 22 Schär, 24 Omeragic, 25 Cömert, 26 Lotomba, 11 Vargas, 15 Sow, 16 Fassnacht, 20 Fernandes, 18 Mehmedi, 19 Gavranovic

Es fehlt: 10 Xhaka (gesperrt)

Spanien: 23 Simon – 2 Azpilicueta, 12 E. Garcia, 24 Laporte, 18 Alba – 8 Koke, 5 Busquets, 26 Pedri – 11 F. Torres, 7 Morata, 22 Sarabia

Ersatz: 1 De Gea, 13 Sanchez – 3 D. Llorente, 4 P. Torres, 6 M. Llorente, 10 Thiago, 16 Rodri, 17 Ruiz, 9 Moreno, 19 Olmo, 20 Traore, 21 Oyarzabal

Fraglich: 14 Gaya (Muskelverletzung)