In einer Wohnung dieser Anlage in Wien-Donaustadt dürfte das 13-jährige Mädchen gewaltsam zu Tode gekommen sein.

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Aufwendige Ermittlungen und trotzdem möglichst rasch Erfolge vorweisen – dieses Spannungsverhältnis zwischen Polizeiarbeit und politischem Druck bewältigt das Landeskriminalamt Wien derzeit ziemlich gut. Am fünften Tag nach dem Auffinden eines toten 13-jährigen Mädchens auf einer Grünfläche in der Donaustadt hatte die Polizei am Donnerstag bereits vier Verdächtige ausgeforscht. Drei davon befinden sich in Haft, nach dem vierten wurde noch gefahndet. Alle sind afghanische Staatsbürger, alle hatten zuletzt aufrechten Aufenthaltsstatus, in einem Fall läuft die Aberkennung. Die Wahrscheinlichkeit, dass weitere Festnahmen folgen, ist groß.

Europäischer Haftbefehl

Der flüchtige Verdächtige ist 22 Jahre alt. Da nicht auszuschließen ist, dass sich der Gesuchte inzwischen im Ausland befindet, wurde per Gericht ein Europäischer Haftbefehl erlassen. Dieser ermöglicht eine beschleunigte Abwicklung im Fall einer Festnahme, ausländische Behörden vollziehen dann laut internationalem Abkommen die Festnahmeanordnung, ohne den Grund dafür zu prüfen.

Die beiden 16 beziehungsweise 18 Jahre alten Afghanen, die am Montag festgenommen worden waren, warten in der Justizanstalt Josefstadt auf ihre U-Haft-Verhandlung, die spätestens am Freitag stattfinden muss. Dann will auch Rechtsanwalt Peter Philipp, der den 16-Jährigen vertritt, eine Stellungnahme abgeben, wie der Strafverteidiger am Donnerstag im Gespräch mit dem STANDARD ankündigte.

Festnahme bei U-Bahn

In der Nacht auf Donnerstag erfolgte bei der U-Bahn-Station Michelbeuern in Wien-Alsergrund die dritte Festnahme: Es handelt sich um einen 23-jährigen Afghanen. Bei seiner Festnahme war die Einsatzgruppe zur Bekämpfung der Straßenkriminalität (EGS) federführend. Wie beim 18-jährigen Verdächtigen soll es auch bei ihm bereits zu Vorverurteilungen gekommen sein. Nach Informationen der APA wurde er bisher insgesamt fünf Mal polizeilich angezeigt und Mitte Mai 2020 wegen geschlechtlicher Nötigung, Körperverletzung und versuchter schwerer Nötigung verurteilt.

Dafür fasste er zwei Jahre, davon sechs Monate unbedingt aus, kam jedoch nach der Verhandlung auf freien Fuß, da ihm die U-Haft auf den unbedingten Strafteil angerechnet wurde. Bewährungshilfe wurde angeordnet. Abgeschoben wurde der Mann nicht, obwohl seit Februar 2018 gegen ihn ein endgültig negativer Asylbescheid vorlag, die Abschiebung für zulässig erklärt und eine Frist für eine freiwillige Ausreise gesetzt worden war.

Dagegen legte der Afghane im März 2018 Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht ein. An der für September 2019 anberaumten Verhandlung nahm er jedoch nicht teil. Da der 23-Jährige für das Bundesverwaltungsgericht nicht greifbar war – bis 14. Mai 2020 saß er dann im Gefängnis, danach war er trotz eines ihm beigegebenen Bewährungshelfers offenbar nicht mehr zu finden, – wurde das Beschwerdeverfahren aufgrund unbekannten Aufenthalts eingestellt, was einem De-facto-Abschiebeschutz gleichkam. Das erscheint insofern beachtlich, da der Mann seit September 2020 an mehreren Adressen im Bundesgebiet gemeldet gewesen sein soll.

Wortkarge Verdächtige

Für alle Verdächtigen gilt die Unschuldsvermutung. Die Ermittlungen werden derzeit generell wegen Mordverdachts geführt. Konkret wird ihnen zumindest vorgeworfen, dass sie "an einer Tathandlung beteiligt gewesen sein dürften, die zum Tod der 13-Jährigen geführt hat", wie es die Polizei ausdrückt.

Zu den Vorkommnissen in der Todesnacht gibt derzeit keine gesicherte Version, bei den bisherigen Einvernahmen zeigten sich die Verdächtigen eher wortkarg.

Die schlimmste Vermutung der Polizei ist, dass das Mädchen in der Sozialwohnung des 18-Jährigen von mehreren Personen sexuell missbraucht worden sein könnte, nachdem es dort auch illegale Drogen verabreicht bekommen haben soll. Zur Klärung der Todesursache wurden mehrere Gerichtsgutachten in Auftrag gegeben. In ersten Polizeimeldungen hatte es geheißen, die 13-Jährige sei erstickt worden. Die Leiche, die Samstagfrüh in der Nähe der Wohnung gefunden worden war, wies zahlreiche Hämatome auf.

Familie wohnte hier

Das Mädchen kannte sich in der Gegend gut aus, sie hatte mit ihren Eltern und Geschwistern in der Donaustadt gewohnt, bevor die Familie nach Tulln übersiedelte. In einem Interview mit "Heute" sagte die Mutter des Opfers, dass es freiwillige Kontakte mit der Fürsorge gegeben habe, weil das Mädchen gerade eine rebellische Phase durchgemacht habe.

Den letzten Kontakt zu ihrer Tochter habe sie Freitag vergangener Woche gegen 22 Uhr per Whatsapp gehabt, in der Nachricht sei gestanden, dass sie heute nicht mehr nach Hause komme. Ein Bekannter des Mädchens habe die Jugendliche dann noch gegen zwei Uhr früh am Donaukanal in Begleitung eines jüngeren Burschen gesehen.

Streit zwischen Behörden

Der Umstand, dass der 18-jährige Afghane, dessen Sozialwohnung der Tatort gewesen sein soll, schon hätte abgeschoben werden sollen, löste einen abstrusen Behördenstreit aus. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) warf dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) vor, sich mit der Beschwerde des Afghanen gegen die Abschiebung zu lange Zeit gelassen zu haben.

Das BVwG konterte, dass es in der Beschwerde gar nicht um Abschiebung gehe, sondern um die Aberkennung des subsidiären Schutzstatus. Diese Aberkennung habe das BFA selbst ausgesprochen, gleichzeitig aber auch die Duldung des Afghanen in Österreich – eine Vorgangsweise, die bei Minderjährigen obligatorisch ist, doch der Afghane war zu diesem Zeitpunkt schon 18. Dieser Argumentation folgend hätte also das Innenministerium, wo das BFA firmiert, die Abschiebung verbockt. (Michael Möseneder, Michael Simoner, 1.7.2021)