Eine Schieflage von Regierungsinseraten und Corona-Sonderförderungen zugunsten des Boulevards konstatiert eine neue Studie des Medienhaus Wien.

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Wien – Die Forschungsgesellschaft Medienhaus Wien hat in einer am Freitag präsentierten Studie Regierungsinserate und Medienförderungen im Pandemiejahr 2020 analysiert. Der Befund der Forscher um Medienwissenschafter und -berater Andy Kaltenbrunner: "Die Inseraten- und Förderpolitik von Österreichs Bundesregierung im Tageszeitungsmarkt ist in den vergangenen Jahren ideell und konzeptuell aus dem Ruder gelaufen."

"Die Inseratenpolitik der Bundesregierung verzerrt damit den Tageszeitungsmarkt entlang willkürlich gezogener Linien zugunsten einzelner Marktteilnehmer", schreiben die Autoren – insbesondere zugunsten der großen Boulevardzeitungen Ostösterreichs, "Krone", "Heute" und "Österreich/Oe24".

Reaktion aus dem Kanzleramt: Objektive Kritierien

Im für Medien und Medienpolitik ressortzuständigen Kanzleramt hieß es Freitag auf STANDARD-Anfrage zur Studie: "Die Steigerung des Kampagnenvolumens ist der Corona-Pandemie geschuldet, wo wir unter anderem mit Hugo Portisch, Waltraud Haas oder Michael Häupl zum Impfen aufgerufen haben und damit die Impfbereitschaft wesentlich steigern konnten. Das Volumen verteilte sich wie immer nach den einzigen verfügbaren objektiven Kriterien Reichweite und Auflage. Trotz der Steigerung liegt das Inseratenvolumen der gesamten Bundesregierung nach wie vor unter jener Summe, die die Stadt Wien und ihre Stadteigenen Unternehmen jährlich für Inserate ausgeben."

"Sehr intransparent" und "willkürlich"

In der Studie "Scheinbar transparent II" des Medienhaus Wien heißt es: Die Bundesregierung vergebe Inserate "sehr intransparent" und "willkürlich". Es ist die zweite große Analyse des Medienhauses über Regierungswerbung nach 2018/19. Die Autoren sehen Bedenken der EU-Kommission in ihrem Rechtsstaatlichkeitsbericht "hinsichtlich einer möglichen politischen Einflussnahme" bestätigt.

Die Inserate seien eine "indirekte, nicht offen als solche deklarierte Medienförderung". Ziele solcher Förderungen in Demokratien seien üblicherweise, Titel- und Meinungsvielfalt zu erhalten, publizistische Qualität und unabhängigen Journalismus zu unterstützen sowie Medieninnovationen. "Darauf zielt die Inseratenpolitik der Bundesregierung in keiner Form", heißt es in der Studie.

Zur Medienförderung im Jahr 2020, Corona-bedingt deutlich erhöht, schreiben die Autoren: "Im Pandemiejahr 2020 wurde auch die offizielle staatliche Presse- und Privatrundfunkförderung so verändert, dass sie zeitgemäßen Prinzipien der Förderung von Meinungspluralismus, Medienvielfalt, Innovation und der Unterstützung von unabhängigem Journalismus widerspricht."

Studie von Zeitungshäusern unterstützt

Die Studie von Medienhaus Wien wurde finanziell von mehreren österreichischen Tageszeitungen unterstützt: Russmedia/"Vorarlberger Nachrichten", Moser Holding/"Tiroler Tageszeitung", Wimmer Medien/"Oberösterreichische Nachrichten", "Salzburger Nachrichten", Styria/"Kleine Zeitung" und DER STANDARD.

Regierungsinserate und Medienförderungen 2020

  • Der erste Lockdown ab Mitte März 2020 ließ die Werbebuchungen aus der Wirtschaft einbrechen.
  • Die Regierung reagierte mit massiven Investments von rund 20 Millionen Euro in die "Schau auf dich, schau auf mich"-Corona-Kampagne und andererseits mit rund 36 Millionen Euro Sonderförderung (Privatrundfunkförderung und Presseförderung).
  • Die Sonder-Presseförderung bemaß sich bei Tageszeitungen vor allem an der Druckauflage des Vorjahres. Damit gingen die größten Fördermittel an die drei hochauflagigen Boulevardtitel.

57 Prozent Regierungswerbung im Zeitungsmarkt an Boulevard

95 Prozent der Regierungswerbung kamen laut Studie 2020 von ÖVP-geführten Ministerien. 57 Prozent der Regierungsausgaben für Werbung in Tageszeitungen 2020 gingen an die drei Boulevardblätter. Rund ein Viertel dieser Budgets ging an die sieben Bundesländerzeitungen. 11 Prozent wurden bei den Qualitätszeitungen "Die Presse" und DER STANDARD gebucht. Sieben Prozent der Werbe-Etats der Bundesregierung in Tageszeitungen erhielt der "Kurier", hier als nationales Midmarket-Paper eingestuft.

Hoher Einsatz im Osten

Die Studie stellt die Regierungsausgaben Leserinnen und Lesern der Zeitungen (laut Media-Analyse) beziehungsweise Unique Clients der Onlineausgaben gegenüber. Sie kommt auf große Unterschiede im Mitteleinsatz – regional wie nach Titeln.

Im Osten Österreichs buchte die Regierung Werbung für 7,96 Euro pro Zeitungsleser/Zeitungsleserin. Im Westen Österreichs investierte sie pro Kopf 6,09 Euro und im Süden des Landes 5,47 Euro pro Leser/Leserin in Printwerbung.

Teure Boulevardleser

Im Titelvergleich sind der Regierung beim Buchen vor allem die Leserinnen und Leser von "Österreich" teuer, errechnet die Studie. Der Pro-Kopf-Werbeeinsatz der Regierung laut diesen Berechnungen 2020:

Die Studienautoren: "Die größten Disparitäten schaffen die hohen Inseratenzahlungen an die Gratiszeitungen – aber auch innerhalb der Boulevardgruppe selbst. 'Österreich' und 'Heute', die zusammengerechnet auf zwei Drittel der Reichweite der 'Kronen Zeitung' kommen, erlösen aber addiert um ein gutes Viertel mehr an Regierungsbuchungen. Der Printmarktleader 'Kronen Zeitung' mit durchschnittlich 1,855 Millionen LeserInnen erzielt damit pro Kopf mit 3,94 Euro weniger als die Hälfte des Pro-Kopf-Wertes von 'Österreich/Oe24'."

Seit Mitte 2018 nennt sich die tägliche Gratisvariante von "Österreich" "Oe24", "Österreich" heißt nur noch die Kaufversion.

Das Bundeskanzleramt erklärt die Inseratenbuchung mit einer Kombination aus Leserzahlen (laut Media-Analyse) und Auflagen (ÖAK), nach Angaben aus dem Kanzleramt zu gleichen Teilen. Die Studienautoren konnten diese Systematik in den Werbebuchungen der Regierung für 2018 und 2019 nicht erkennen, 2020 nähere sie sich dieser Systematik an.

Mit der Corona-Kampagne stieg das Gewicht des Kanzleramts deutlich, und dieses orientiere sich am ehesten an der – die Gratistitel begünstigenden – Formel. Bei anderen Ministerien werde die Formel weiterhin nicht angewendet, sagt Studienleiter Andy Kaltenbrunner. Das Innenministerium buchte 80 Prozent seines Werbevolumens 2020 in "Krone", "Österreich/Oe24" und "Heute".

Die Studie stellt auch Online-Werbeausgaben der Regierung Nutzungswerten – hier Unique Clients laut ÖWA – gegenüber:

Auch an Visits, Pageviews oder Usetime könnten sich die Buchungen nicht orientieren, analysiert die Studie: "Nach keinem dieser Parameter ist die Vergabe der Inseratenmittel der Bundesregierung für Online-Zeitungen im Jahr 2020 schlüssig. Als Grundmuster zeigt sich nur, dass bei Buchungen der Ministerien und des Bundeskanzleramtes eine Print-Buchungslogik ins Internet verlängert wird: Die am stärksten gebuchten Boulevard- und Gratiszeitungen wurden auch bei Online-Inseraten am stärksten bedacht, unabhängig von ihren tatsächlichen Nutzungszahlen im World Wide Web."

Corona-Presseförderung für Gratistitel

Zur Corona-Sonderförderung für gedruckte Medien konstatieren die Studienautoren: "Im Gesamtergebnis der Presseförderung 2020 wurden einzelne MarktteilnehmerInnen letztlich gezielt bevorzugt: die Boulevardzeitungen mit erstmaliger Einbeziehung der Gratiszeitungen. Das war ein Paradigmenwechsel."

50 Prozent Boulevard: Regierungswerbung und Presseförderung 2020

Die Studie stellt die Werbebuchungen der Regierung und die Medienförderungen des Bundes für 2020 (ohne befristete Mehrwertsteuersenkung auf Vertriebserlöse und AMS-Förderungen für Kurzarbeit sowie andere Unternehmensförderungen) zusammen. Das Ergebnis:

Die Studienautoren über das Jahr 2020: "Von den gesamten Ausgaben für Regierungsinserate sowie staatliche Presse- und Rundfunkförderung in der Höhe von rund 66 Millionen Euro entfielen knapp mehr als 50 Prozent auf 'Kronen Zeitung', 'Österreich/oe24' und 'Heute'. Bei einer Einbeziehung des 'Kurier' als Bestandteil der Mediaprint-Gruppe erhöht sich der Anteil auf 60 Prozent."

Die andere Hälfte dieses Inseraten- und Förderbudgets teilten sich die weiteren zehn Titel: "Es gibt in einer solchen Gesamtsicht also, wie auch bei alleiniger Betrachtung der Inseratenausgaben, einen deutlichen Überhang zugunsten der Boulevard- bzw. Gratiszeitungen."

Werbung öffentlicher Stellen insgesamt

Die Werbedaten aller öffentlichen Stellen laut Medientransparenzmeldungen (ohne auf rund 50 Millionen Euro geschätzte, nicht zu meldende Ausnahmen) und Medienförderungen 2020 im Überblick:

222,5 Millionen öffentliche Werbung

Werbebuchungen öffentlicher Stellen insgesamt – also von Ministerien, Ländern vor allem mit dem größten Bucher Wien sowie öffentlichen Firmen und Institutionen – erreichten 2020 einen Höchstwert von 222,5 Millionen Euro, davon gingen rund 58 Millionen an "Krone", "Heute" und "Österreich/Oe24".

Ein Drittel öffentliche Hand

Öffentliche Werbung insgesamt und Medienförderungen kombiniert machten 2020 laut Medienhaus-Studie bei "Heute" inklusive Online "rund ein Drittel des Gesamtumsatzes" aus. Bei der Mediengruppe Österreich kommen sie auf "etwa 20 Prozent des Gesamtumsatzes" (nach Eigenangaben des Verlegers).

Bei der Mediaprint ("Krone", "Kurier", hier berechnet ohne Magazine wie "Profil") machten öffentliche Gelder "mehr als zehn Prozent des Gesamtumsatzes" aus, schreiben die Studienautoren.

Bei der Styria ("Die Presse", "Kleine Zeitung") kommen sie auf sechs bis sieben Prozent des Umsatzes, bei anderen Verlagen zwischen fünf und zehn Prozent.

Beim STANDARD machten Förderungen und öffentliche Buchungen rund ein Sechstel des Umsatzes aus, heißt es in der Studie.

Wiener Werbevolumen

Wien – ohne stadteigene und stadtnahen Firme und Institutionen, die laut Studie autonom buchen* – buchte 2020 laut der Studie Werbung für 18,8 Millionen Euro, rund 15,7 davon in Zeitungen und deren Onlineplattformen. An "Heute" gingen demnach 23,65 Prozent dieses Wiener Werbevolumens, an die "Krone" 22,14 Prozent und an "Österreich/Oe24" 20,16 Prozent.

Dahinter folgen laut Studie im Tageszeitungsmarkt DER STANDARD mit 12,38 Prozent, "Kurier" mit 11,55 und "Die Presse" mit 9,68 Prozent. (fid, 2.7.2021)