Über die U-Haft der ersten beiden Tatverdächtigen wurde am Freitag entschieden.

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Wien – Am Freitagvormittag hat sich im Fall der in Wien-Donaustadt getöteten 13-Jährigen der 16-jährige Verdächtige vor seinem Verteidiger Peter Philipp und der Haft- und Rechtsschutzrichterin, die die Untersuchungshaft wegen des Verdachts der Vergewaltigung mit Todesfolge verhängte, erstmals zu den Vorfällen geäußert. Er bekannte sich nicht schuldig und will weder mit den sexuellen Übergriffen noch dem Tod des Mädchens etwas zu tun haben. Die Eltern des Opfers überlegen unterdessen eine Amtshaftungsklage gegen die Republik wegen möglichen Behördenversagens.

Er werde "in aller Ruhe und eingehend" mögliche Fehler der Behörden prüfen, die für ihn naheliegen, sagte Florian Höllwarth, der Rechtsanwalt der Familie. Denn unter den festgenommenen Tatverdächtigen befänden sich Männer, die längst einen rechtskräftig negativen Asylbescheid erhalten hätten und sich zum Tatzeitpunkt nicht mehr im Land hätten befinden dürfen. "Das verstehen die Leute nicht. Einerseits werden gut ausgebildete, bestens integrierte Geflüchtete abgeschoben, Lehrlinge, die einen Arbeitsplatz ausfüllen und für ihren Chef da sind. Und diese Leute (die Tatverdächtigen, Anm.) sind unkontrollierbar weiter da, und ihr Asylverfahren kann nicht zu Ende gebracht werden", hielt Höllwarth fest.

Verdächtiger 16-Jähriger will bewusstlos gewesen sein

Der 16-jährige Ali H., der im April nach Österreich gekommen ist, gab an, die 13-Jährige vor rund einem Monat am Donaukanal kennengelernt und sich mit ihr angefreundet zu haben. Am vergangenen Freitag traf man sich in der Wohnung des 18-jährigen Tatverdächtigen in Wien-Donaustadt. Dort müssten sowohl ihm als auch dem Mädchen K.-o.-Tropfen verabreicht worden sein, da er bewusstlos wurde, zeigte sich der 16-Jährige überzeugt.

Er sei jedenfalls mehrere Stunden bewusstlos gewesen und habe, als er vom Schicksal des Mädchens erfahren habe, die Rettung angerufen, was laut Verteidiger Philipp auch auf dem Mobiltelefon des Verdächtigen zu sehen ist. Der genaue zeitliche Ablauf ist derzeit aber noch unklar – damit, dass die 13-Jährige auf einem Grünstreifen nahe der Wohnung des 18-Jährigen gefunden wurde, will H. aber nichts zu tun gehabt haben.

Auch über den 18-jährigen Verdächtigen wurde die Untersuchungshaft verhängt, er ist derzeit anwaltlich nicht vertreten, wie Christina Salzborn, Vizepräsidentin und Mediensprecherin des Landesgerichts für Strafsachen Wien, zum STANDARD sagte. Auch der ältere Verdächtige habe eine Aussage gemacht, im Polizeiverhör hatte er noch jede Beteiligung am Tod des Mädchens bestritten. Der Afghane bringt ebenso wenig wie H. eine Beschwerde gegen die Haftverhängung ein. Damit ist klar, dass in zwei Wochen, also am 16. Juli, die Verlängerung der Untersuchungshaft geprüft werden wird.

Zu Wochenbeginn wurden die ersten beiden Tatverdächtigen, der 18- sowie der 16-Jährige, festgenommen. Am Mittwochabend nahm die Polizei den dritten Tatverdächtigen fest. Der 23-jährige Afghane wurde im Mai 2020 wegen geschlechtlicher Nötigung, Körperverletzung und versuchter schwerer Nötigung verurteilt. Ein vierter Tatverdächtiger, ein 22-jähriger Afghane, wird inzwischen per europäischem Haftbefehl gesucht. Er wurde bereits dreimal gerichtlich verurteilt, unter anderem im Februar 2020 wegen Suchtgifthandels.

Weder Anzeige noch Verfahren gegen Eltern

Mediale Kritik gab es auch an der Rolle der Eltern, die die 13-Jährige von ihrem Wohnort im Bezirk Tulln nach Wien fahren ließen. Leopold Bien, Sprecher der zuständigen Staatsanwaltschaft St. Pölten, stellt im STANDARD-Gespräch allerdings klar, dass weder eine Anzeige vorliege, noch von Amts wegen – beispielsweise wegen Vernachlässigung Unmündiger – gegen das Paar ermittelt werde. Eine etwaige Verletzung der Aufsichtspflicht, die Eltern für unter 14-Jährige haben, sei kein strafrechtliches Delikt. In Interviews schilderten die Eltern, die Teenagerin sei rebellisch gewesen, man habe sich deshalb auch an die Jugendwohlfahrt gewandt.

Ein Blick zurück

Diskutiert wird derzeit vor allem die Asylhistorie des 18-Jährigen und warum dieser trotz mehrfacher Straffälligkeit nicht eher abgeschoben wurde. In seiner Wohnung sollen dem Mädchen Drogen verabreicht worden und es soll zu "schweren strafbaren Handlungen gegen die sexuelle Integrität" gekommen sein. Laut aktuellem Ermittlungsstand geht die Polizei davon aus, dass das Mädchen mehrfach missbraucht worden sein dürfte. Der 23-Jährige soll die Drogen mitgebracht haben.

Der 18-Jährige kam im Jahr 2015 als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling nach Österreich und stellte einen Asylantrag. Ein Jahr später erhielt er subsidiären Schutz. Dann wurde er dreimal gerichtlich verurteilt, unter anderem wegen Suchtgifthandels und räuberischen Diebstahls. Wegen seiner Vorstrafen verlor er seinen Schutzstatus im Oktober 2019. Da er zu diesem Zeitpunkt noch minderjährig war, wurde er nicht abgeschoben. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) sprach eine Duldung aus. Gegen den Verlust seines Asylstatus wehrte sich der Asylwerber vor dem Bundesverwaltungsgericht.

Laut Verwaltungsrechtler Peter Bußjäger hätte dort nach sechs Monaten entschieden werden müssen, wie er im Ö1-"Morgenjournal" sagte. "Insoweit sehe ich das Bundesverwaltungsgericht in der Pflicht, dass es über diese Entscheidung seit dem Zeitpunkt, als die Beschwerde anhängig gemacht wurde, ich glaube im Jahre 2019, hätte befinden müssen", sagt er. Das ist aber nicht passiert. Heuer erreichte der Betroffene die Volljährigkeit und hätte abgeschoben werden können. Laut Bußjäger zählt aber nicht nur das, sondern eben auch die Aberkennung des Schutzstatus. Die sei noch vom Gericht zu klären gewesen. Zwar hätte das BFA einen Fristsetzungsantrag einbringen können, wie der Jurist ausführt. Darauf verweist auch das Gericht selbst. Ob das aber auch zu einer Beschleunigung des Verfahrens geführt hätte, ist für Bußjäger ungewiss.

Der Asylanwalt Wilfried Embacher wiederum sagte am Donnerstag im ORF-Radio, dass es kein absolutes Verbot nach der Europäischen Menschenrechtskonvention gibt, das besagt, dass Minderjährige nicht abgeschoben werden. Das werde im Einzelfall bewertet. "Das BFA entscheidet regelmäßig, dass Abschiebungen von Minderjährigen zulässig sind", erklärte Embacher.

Kritik von Gewaltschutzorganisationen

Bei einer Pressekonferenz der "Allianz Gewaltfrei leben" mahnten Opferschutz-Expertinnen ein, mehr Augenmerk auf die Gewaltprävention zu legen. Wie nun bekannt ist, sind drei der bisher vier Tatverdächtigen amtsbekannt. Daher liege die Vermutung nahe, dass diese Warnsignale übersehen oder nicht ernst genug genommen wurden. "Man muss solchen Hinweisen nachgehen, auch wenn ein anderes, etwa ein Drogendelikt, angezeigt wird", sagte Rosa Logar von der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie. Im Fall des 13-jährigen Mädchens stellt sich auch für Maria Rösslhumer die Frage, ob die Jugend- und Bewährungshilfe zu stark auf die Drogendelikte schaute und das frauenfeindliche Gedankengut ins Hintertreffen geriet. Laut der Geschäftsführerin des Vereins Autonome Österreichische Frauenhäuser (AÖF) müsste man das Gewalt- und Aggressionspotenzial stärker im Blick haben. Denn: "Morde kündigen sich immer an", wie Rösslhumer sagte.

Die Expertinnen wehrten sich entschieden gegen Pauschalverurteilungen in der aktuellen Debatte. Dass auch viele Menschen gut integriert seien, darüber werde kaum oder gar nicht gesprochen. Gewalt an Frauen und Mädchen sei ein globales Problem, das mit ungleichen Geschlechterverhältnissen zusammenhänge. Es gehe um Machtungleichheit sowie patriarchale und toxische Denkmuster.

Edtstadler denkt Sicherungshaft an

In der Sache tun sich auch in der türkis-grünen Regierung unterschiedliche Zugänge auf. Während die Partei um Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) einmal mehr volle Härte bei Abschiebungen fordert und sich auf die Justiz einschießt, versuchen die Grünen ein Stück weit auf die Bremse zu treten. Zwar sagt auch Justizministerin Alma Zadić, dass Asylwerber, die "schwere Gewaltverbrechen" begehen, das Land verlassen müssten. Aber die Ressortchefin betont auch: "Ich werde diesen erschreckend brutalen Fall nicht politisch instrumentalisieren."

Davon unbeeindruckt spricht Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) in den "Vorarlberger Nachrichten" wieder einmal das für die Grünen sehr sensible Thema Sicherungshaft an. "Bei besonders gefährlichen Rechtsbrechern wird man sich überlegen müssen, ob man sie verwahrt. Das muss diskutiert werden", sagte Edtstadler. Zuletzt forderte die türkise Ministerin eine Abschiebung von straffälligen Asylwerbern notfalls auch im laufenden Asylverfahren.

Für den grünen Mandatar Georg Bürstmayr, zuständig für Sicherheit und Asylpolitik, ist es ein Vorfall, der ihn persönlich mitnimmt. "Solange ich das bei mir merke, versuche ich keine politischen Entscheidungen zu treffen", sagte er im Ö1-"Morgenjournal". Er möchte sich in aller Ruhe zusammensetzen und sich die Rechtslage anschauen, um zu eruieren, was man verbessern könne. Für die raschen Forderungen des Koalitionspartners zeigt Bürstmayr "Verständnis", er hält sie nur für verfrüht. Der Rechtsanwalt mit Asylschwerpunkt kenne den Akt des 18-jährigen Tatverdächtigen nicht, daher könne er auch nicht beurteilen, ob die Justizministerin die Dienstaufsicht ins Spiel bringen müsse, wie die ÖVP das am Donnerstag gefordert hat. "Nach den Informationen, die mir vorliegen, hätte das Bundesverwaltungsgericht selbst eine rasche Abschiebung gar nicht bewerkstelligen können, weil die vom vorgelagerten Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gar nicht verfügt worden ist." (Jan Michael Marchart, Michael Möseneder, 2.7.2021)