1500 Zivildiener mussten ihren Einsatz in der Frühphase der Pandemie um drei Monate verlängern, die Vergütung war eher mau. 29 sind dagegen bis zum Höchstgericht gezogen, doch der Rechtsweg ist noch immer nicht zu Ende

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Frage: Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat jüngst in einem Erkenntnis zugunsten von Zivilidienern entschieden, die im Juli 2019 ihre Tätigkeit begonnen haben. Was macht genau diesen Monat als Antrittstermin so besonders?

Antwort: Das Pech dieser Kohorte bestand darin, dass ihr neunter und damit eigentlich letzter Zivi-Monat auf den März 2020 fiel. Anfang März des Vorjahres brach bekanntlich die Corona-Pandemie über Österreich herein, eine Überlastung des Gesundheitssystems stand im Raum. Die türkis-grüne Regierung in Gestalt der zuständigen Ministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) hat daraufhin erstmals in der Geschichte einen "außerordentlichen Zivildienst" einberufen, was gesetzlich bei "Elementarereignissen, Unglücksfällen außergewöhnlichen Umfangs und außerordentlichen Notständen" möglich ist. Anstatt aufhören zu dürfen, wurde die besagte Zivildiener-Kohorte verpflichtet, drei Monate länger zu bleiben.

Frage: Wie viele junge Männer waren das, die dann bis Ende Juni insgesamt ein Jahr aktiv sein mussten?

Antwort: Rund 1.500.

Frage: Gab es nicht auch freiwillige Ex-Zivildiener, die sich in der ersten Corona-Welle spontan zum neuerlichen Engagement bereiterklärt haben?

Antwort: Ja, die Regierung hat damals appelliert, dass frühere Zivildiener zurückkommen, um mögliche Engpässe in Krankentransport, Altenheimen und Co. abzufedern. 3.000 wurden dann auch tatsächlich reaktiviert, wobei sich herausstellte, dass davon wiederum nicht alle wirklich gebraucht wurden. Auch die freiwilligen Rückkehrer fielen unter die Kategorie "außerordentlicher Zivildienst".

Frage: Die einen wurden also per Zwang zu außerordentlichen Zivildienern, die anderen durch eigene Entscheidung. Wurden sie sonst gleich behandelt?

Antwort: Eben nicht, die Verlängerer mussten sich mit deutlich weniger Geld begnügen. Sie bekamen monatlich die normale Grundvergütung von 347 Euro plus einen Zuschlag für den Sondereinsatz von 190 Euro. Rechnet man zu diesen 537 Euro noch das – je nach Verwendung variierende – Verpflegungsgeld hinzu, kamen Verlängerer typischerweise auf um die 900 Euro.

Antwort: Und die freiwilligen Sonder-Zivis?

Frage: Fast das Doppelte. Sie hatten Anrecht auf eine "Pauschalentschädigung" von 1.140 Euro netto im Monat. Samt Grundvergütung und Zuschlag kamen sie summa summarum auf 1.677 Euro netto. (Wer im angestammten Job mehr als 1140 Euro netto verdiente und sich als Zivi meldete, bekam entsprechend diesem Zusatzbetrag mehr als 1.677 Euro, um den Einkommensentgang zu kompensieren.)

Frage: Warum diese Diskrepanz?

Antwort: Das fragten sich viele empörte Verlängerer auch. Sie gründeten eine Initiative und forderten, ihr Gehalt auf das Niveau der freiwilligen Sonder-Zivis aufzustocken. Neos und SPÖ brachten im Parlament entsprechende Anträge ein, die aber von den Regierungsfraktionen abgeschmettert wurden. Ministerin Köstinger berief sich als Grund für die Ungleichbezahlung auf die geltende Rechtslage im Zivildienstgesetz, durch die eine analoge Regelung bei den Wehrdienern gespiegelt werden sollte. Die Grünen sagten, sie hätten darauf gedrängt, die Verlängerer besser bezahlen zu lassen, das türkise Finanzministerium sei jedoch koalitionsintern auf der Bremse gestanden.

Frage: Warum hat sich nun der Verfassungsgerichtshof mit dem außerordentlichen Zivildienst beschäftigt?

Antwort: Zahlreiche Verlängerer – die meisten vertreten durch den Wiener Rechtsanwalt Nikolaus Rast – haben beantragt, dass auch sie mehr Geld in Form der "Pauschalentschädigung" bekommen sollten. Laut Zivildienstgesetz mussten sie den Antrag beim zum Verteidigungsministerium gehörenden Heerespersonalamt stellen, dieses wies die Beschwerden ab. Daraufhin bekämpften die Zivildiener die Bescheide des Heerespersonalamts in der nächsthöheren Instanz, dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG). Auch dort wurden ihre Beschwerden abgewiesen, sodass sie dagegen vor den Verfassungsgerichtshof zogen. Sie argumentierten, dass die Ungleichbehandlung verfassungswidrig sei.

Frage: Was hat der VfGH entschieden?

Antwort: Der Innsbrucker Rechtsprofessor Peter Bußjäger bezeichnet das Vorgehen des VfGH als "überraschende Wende". Denn das Höchstgericht widmet sich einem Problem, das mit der Frage der Bezahlung nur sehr indirekt zu tun hat. Stattdessen fokussiert sich der VfGH auf ein anderes Thema: Es war nämlich laut Höchstgericht von vornherein verfassungswidrig, dass überhaupt das Heerespersonalamt die Zuständigkeit für die Bezüge der außerordentlichen Zivildiener übernommen hat.

Frage: Warum verstieß die Zuständigkeit des Heerespersonalamts gegen die Verfassung?

Antwort: Das Heerespersonalamt ist eine Behörde des Verteidigungsministeriums. Der VfGH weist nun darauf hin, dass bei der Schaffung des Zivildienstes eine strikte Trennung von Angelegenheiten militärischer und ziviler Gewalt festgeschrieben wurde. Eine entsprechende Bestimmung wurde 1994 sogar in den Verfassungsrang gehoben. Daraus folgt für den VfGH, dass "sämtliche im Zusammenhang mit dem Zivildienst stehende Verwaltungsaufgaben nicht von Behörden besorgt werden dürfen, die – wie das Heerespersonalamt – organisatorisch dem Bundesminister für militärische Landesverteidigung unterstehen, zumal diese Behörde funktionell den Zwecken des Bundesheeres dient." Da also das Heerespersonalamt der Verteidigungministerin Klaudia Tanner weisungsgebunden ist, hätte es von Türkis-Grün nicht damit betraut werden dürfen, sich um die Gehälter der Sonder-Zivildiener zu kümmern, weil dadurch die gebotene Trennung von Militär und Zivildienst verwischt wird.

VfGH-Erkenntnis-zum-ausserordentlichen-Zivildienst.pdf

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Zum Download im Wortlaut: Das 24-seitige Erkenntnis des VfGH zur Beschwerde der langgedienten Zivildiener

Frage: Was sagt die Zivildienstministerin zu diesem Erkenntnis?

Antwort: Auf STANDARD-Anfrage heißt es aus Köstingers Ressort, dass in der krisenhaften Situation im März 2020 die Zusammenarbeit mit dem Heerespersonalamt verankert wurde, weil dieses über die "notwendigen Kapazitäten und Expertisen verfügte" und nur so der plötzliche Mehraufwand in der Verwaltung zu stemmen war. Für Neos-Zivildienstsprecher Yannick Shetty zeigt sich hingegen "wie schlampig unter dieser Regierung gearbeitet wird."

Frage: Was haben die verlängerten Zivildiener jetzt konkret davon, dass der VfGH befunden hat, sie seien durch Anwendung einer verfassungswidrigen Bestimmung des Zivildienstgesetzes "in ihren Rechten verletzt worden"?

Antwort: Zunächst einmal geht der Fall zurück an das Bundesverwaltungsgericht. Dieses wird wohl den Bescheid des Heerespersonalamts – entgegen seiner ursprünglichen Entscheidung – aufheben.

Frage: Aber was ist mit der eigentlichen Frage des Geldes – wird das BVwG dazu Folgenreiches sagen?

Antwort: Experte Bußjäger hält es für unrealistisch, dass das BVwG den Zivildienern bei den finanziellen Ansprüchen weiterhilft: "Das Bundesverwaltungsgericht wird wohl auch nur wiederholen können, was der VfGH festgestellt hat, nämlich dass das Heerespersonalamt nicht zuständig war", prognostiziert der Jurist. Ähnlich die Auffassung in Köstingers Ministerium: Weil sich das Erkenntnis des Höchstgerichts nur um die Zuständigkeit, aber nicht ums Geld drehe, würden sich auch weiterhin keine "Auswirkungen auf Bezüge außerordentlicher Zivildiener ergeben". Der Anwalt der jungen Männer, Nikolaus Rast, versprüht im STANDARD-Gespräch indes Optimismus: Das Gericht werde feststellen müssen, dass sämtliche – nicht nur die beschwerdeführenden – zwangsverlängerten Zivildiener ein Recht darauf hätten, nachträglich mit den freiwilligen Rückkehrern finanziell gleichgestellt zu werden.

Frage: Wird die Regierung von sich aus Schritte ergreifen, um den verfassungswidrigen Passus im Zivildienstgesetz zu überarbeiten oder gar Geld nachzahlen?

Antwort: Der VfGH hat eine lange Übergangsfrist eingeräumt. Damit verschwindet der (verfassungswidrige) Verweis auf die Zuständigkeit des Heerespersonalamts erst Ende 2022 aus dem Zivildienstgesetz. Grün-Abgeordneter David Stögmüller sagt zum STANDARD, Ministerin Köstinger müsse nun dafür sorgen, die Zuständigkeit rasch neu zu regeln. Eine Lösung für alle verlängerten Zivildiener werde es aber nach Stögmüllers Sicht nicht geben, weil ja die meisten gar nicht den Rechtsweg durch die Instanzen beschritten haben. In Köstingers Ressort sieht man keinerlei Handlungsbedarf: Da es den außerordentlichen Zivildienst nicht mehr gebe, brauche es keine Reparatur. Und weil der VfGH zur Vergütungshöhe nicht geurteilt habe, sei in der Frage des Geldes sowieso keine Änderung erforderlich, heißt es weiter. Verfassungsrechtler Bußjäger sieht hingegen sehr wohl politischen Handlungsbedarf: Um dem VfGH-Erkenntnis über die strikte Abgrenzung des Zivildienstes vom Verteidigungsministerium gerecht zu werden, müsse man sämtliche Zuständigkeiten des Heerespersonalamts aus dem Zivildienstgesetz entfernen. Ansonsten drohe bald die nächste Aufhebung.

Frage: Gibt es noch einen Weg, dass die mau bezahlten Zivildiener ihr gefordertes Geld bekommen?

Antwort: Die Möglichkeit bestehe durchaus, erklärt Jurist Bußjäger. Nachdem das Bundesverwaltungsgericht dem VfGH folgen und den Bescheid des Heerespersonalamtes aufheben werde, könnten die Zivildiener mit ihrem Anwalt wiederum einen Antrag auf die Pauschalentschädigung stellen. Freilich nicht mehr beim Heerespersonalamt, sondern bei der verfassungsmäßig zuständigen Behörde.

Frage: Nämlich welcher?

Antwort: Da gehen die Antworten auseinander, laut Zivildienstministerium wäre die jeweilige Bezirksverwaltungsbehörde zuständig. Bußjäger sähe hingegen die Zivildienstserviceagentur des Ministeriums am Zug.

Frage: Wie auch immer, was passiert dann?

Antwort: Die Zivis könnten als Beschwerdeführer den ganzen Rechtsweg über die besagte Behörde und das Bundesverwaltungsgericht bis zum Verfassungsgerichtshof von Neuem bestreiten und darauf hoffen, der VfGH werde sich dann ihrer Schlechterbezahlung widmen und diese etwa als gleichheitswidrig aufheben. Neos-Mandatar Yannick Shetty ist "zuversichtlich, dass, wenn schon die Regierung nicht willens ist, die Ungerechtigkeit aus der Welt zu schaffen, es die Gerichte für sie übernehmen." Bußjäger, der den Pay-Gap zwar selbst auch für ungerecht hält, ist skeptisch. Denn dass sich der VfGH diesmal gar nicht zur Frage des Geldes geäußert hat, sei eher kein gutes Zeichen für die Beschwerdeführer vor einem neuerlichen Gang zum Höchstgericht.

Frage: Und wie lang dauert das noch, bis die betroffenen Herren wissen, was ihnen zusteht?

Antwort: Lang. Die bisherigen Prozesskosten müssen ihnen aber immerhin vom Bund ersetzt werden, hat der VfGH entschieden. (Theo Anders, 3.7. 2021)