Einer der Stars aus "Space Dogs", ein Straßenhund, dem das Filmteam bei seinen Reviergängen folgt.

Foto: Raumzeitfilm

Es war einmal eine Hündin, die flog in den Weltraum. So könnte ein Märchen beginnen, wenn es nicht schon ein Teil der Geschichte wäre. Die Hündin hieß Laika und war im Rahmen von Sputnik 2 1957 das erste Lebewesen, das die Erde auf einer Rakete verließ. Sie wurde zum Star, prangte auf Titelseiten, selbst in Schulen unterrichte man stolz von ihr. Doch mittlerweile ist das Land, zu dessen Heldin sie wurde, selbst schon zum Phantom geworden; und damit ist auch das Wissen versickert, dass Laika einmal ein Straßenhund war. Eine von ganz unten, die es ganz nach oben schaffte. Ohne das freilich zu wollen.

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Laika stand ganz am Anfang von Space Dogs, Elsa Kremsers und Levin Peters gattungssprengendem Film über Straßenhunde. Ihr Mythos führte das deutsch-österreichische Regiepaar, das sich beim Studium an der Filmakademie Baden-Württemberg kennenlernte und mittlerweile in Wien lebt, nach Moskau, wo sie sich die beiden auf die Fährte ihrer indirekten Nachkommen machten. "Es gibt dieses schöne Zitat von W. G. Sebald", sagt Peter im STANDARD-Gespräch: "Der Hund ist ein Geheimnisträger, der mit Leichtigkeit über die Abgründe der Zeit läuft."

Der Perspektivenwechsel führt nicht nur zu einem veränderten Blick, vielmehr entsteht dabei ein neues Dispositiv, indem sich auch die Historie der Menschheit anders abbildet. Man könnte die gesamte Geschichte der russischen Neuzeit aus einer Hundeperspektive erzählen, meinen Kremser und Peter. Landeten viele nach der Oktoberrevolution auf den Straßen, so haben die Tiere mit Laika eine kurze symbolische Aufwertung erlebt. Ganze Fabriken wurden in der Sowjetunion von halbwilden Hunden bewacht, die nach dem Zerfall des Regimes plötzlich wieder auf sich allein gestellt waren.

Eine Bande wie aus einem USA-Jugenddrama

"Uns wurde erzählt, sie hätten in Scharen nachts geheult, ganz erbärmlich. Ohne die Menschen, die sie fütterten, mussten sie wieder eine reine Hundezivilisation aufbauen. Das fanden wir irre." Eine Abordnung davon, eine Bande, haben sie nach mühevollem "Castingprozess" aufgespürt und mehrere Monate lang begleitet. "Wir wollten eine Gang. Vorbilder waren US-amerikanische Jugendfilme. Sie sollten genauso mitreißend sein in ihrer Coolness und Energie", so Peter.

Die filmische Wahrnehmung orientiert sich völlig am hündischen Dasein, egal ob es sich um zielloses Streunen handelt oder eine Begegnung von Tieren, die einander zugetan sind. "Am Anfang sind wir nicht hinterhergekommen. Irgendwann haben wir aber herausgefunden, wie wir antizipieren können, was als Nächstes passiert", erzählt Kremser. "Die Hunde haben begonnen, auf uns zu warten. Wir sind zum Teil des Rudels geworden." Ein Professionalisierungsschritt der Tiere, auch wenn das Team im Film freilich unsichtbar bleibt. Ging es doch darum, die wild-animalische, unberechenbare Seite zu wahren und einen vermenschlichenden Gestus zu vermeiden. In einer der drastischsten Szenen von Space Dogs bekommt man dann auch zu sehen, wie einer der Protagonisten eine Katze totbeißt und mit dem leblosen Kadaver spielt.

Legendengeschichte von Laika

Der Film beschränkt sich allerdings nicht auf diesen Naturalismus, sondern bindet die hündischen Exkursionen zurück an die Geschichte Laikas, die mit einem ganzen Schatz aus Archivaufnahmen rekonstruiert wird. So entsteht ein Paralleluniversum, in dem sie mehr den Status einer Legende hat. Wohin ist der Geist der Weltraumhündin, die nie wieder zurückgekehrt ist, entwischt? Schon das "Space Race" sei ja vom Versuch getragen gewesen, die Wildnis, das All, den Kosmos kontrollierbar zu machen, sagt Kremser. "Beim Tier und beim All geht es um den Versuch, die Natur zu bändigen. Zugleich wird aus Laika ein Testobjekt für Propaganda, im erweiterten Sinn sogar für Popkultur."

Im vom russischen Schauspieler Alexej Serebrjakow elegisch eingesprochenen Off-Kommentar kommt alles zusammen. Tagebuchaufzeichnungen von Laikas ehemaligen Betreuern vermischen sich mit Wissenschafterberichten zu einer Fabel, die die Sebald'sche Idee des Hundes als Geheimnisträger wahr werden lässt. Der Hund wird zum mythischen Wesen, das die menschlich konstruierten (und deformierten) Wirklichkeiten durchschreitet und dabei mühelos von der Domestizierung in die Wildnis wechselt (und vielleicht wieder zurück).

Elsa Kremser und Levin Peter, das Regieduo hinter "Space Dogs".
Foto: Raumzeitfilm

In einer der außergewöhnlichsten Szene des Films sieht man dann, wie die Hunde im Rudel absichtlich die Alarmlagen von geparkten Autos aktivieren und dazu leidenschaftlich drauflosheulen. "Manche haben geglaubt, wir hätten ihnen Leberwurst hingeschmiert, weil sie etwas tun, was nicht in unser Ordnungssystem passt", sagt Peter.

Serebrjakow, der Star aus Andrej Swjaginzews Leviathan, war übrigens schon als Kinderdarsteller in der UdSSR bekannt und lebt mittlerweile in Kanada. Wie haben ihn Kremser und Peter überzeugt? "Wir haben über einen Bekannten seine Privatnummer bekommen und ihn beim Frühstück erwischt. Dabei stellte sich dann heraus, dass er in Kanada mit Moskauer Straßenhunden lebt, die er gerettet hat." (Dominik Kamalzadeh, 3.7.2021)