Zähne blecken, Zunge schnalzen: rechts Dorfrichter Adam in Gestalt von Kai Maertens, links der Gerichtsrat des Dominik Warta.

Foto: Alexi Pelekanos

Hier dreht sich alles im Kreis. Bühnenbildner Marie und Paul Sturminger haben eine Drehbühne vor die Burgruine Perchtoldsdorf gebaut, die Zuschauer sind drum herum postiert. Verhandelt wird in dieser Gerichtsarena eine der berühmtesten Bruchlandungen der Theatergeschichte, und zwar jene des schön geschmückten Kruges von Marthe Rull. Dieser zerbarst in Heinrich von Kleists Lustspiel Derzerbrochne Krug bekanntlich in tausend Stücke, als sich Dorfrichter Adam spätabends Zutritt zum Schlafgemach von Rulls Tochter Eve erschwindelte. Die Verhandlung unter Adams Vorsitz dreht sich im Kreis – bis plötzlich des Dorfrichters Perücke auftaucht.

Wortspiele und Schlüsselworte

Kleists Lustspiel vom Richter, der gezwungen wird, über seine eigenen Verfehlungen zu Gericht zu sitzen, lebt vom Aneinander-Vorbeireden und vom absichtlichen Missverstehen, von Wortspielen und Schlüsselworten. Kommunikation ist bei Kleist ein Minenfeld und die verunmöglichte Verständigung Anlass für tausend Pointen. Ein Stück philosophisches Bauerntheater oder schenkelklopfendes Gerichtsdrama – je nachdem, wie man es sehen will.

Mit den richtigen Akteuren wird Kleists Klassiker aus dem Jahr 1808 jedenfalls zum Schauspielerfest. Bei den Sommerspielen Perchtoldsdorf hat man gleich eine ganze Reihe davon verpflichtet. An erster Stelle: Kai Maertens als Dorfrichter Adam. Er muss den Ankläger und den Angeklagten gleichzeitig geben, muss die Verhandlung voran- und zur selben Zeit hintertreiben. Da kann einem schon mal schwindlig werden. Stramm und aufrecht auf den Beinen wird man Maertens auf der Perchtoldsdorfer Drehbühne denn auch selten sehen. Dabei ist er mit seiner weidwunden Glatze und in seinem retrofuturistischen Kostüm (Issey Miyake meets Kniestrümpfe) eine genauso lächerliche wie imposante Gestalt.

Maertens’ Gesichtsdrama

Adam ist das Zentrum des Stücks, und daran lässt Maertens keinen Zweifel. Wie eine Commedia-dell’arte-Figur bleckt er mit den Zähnen und schnalzt mit der Zunge, während Marthe Rull (schöner Marge-Simpson-Verschnitt: Birgit Stöger) zur großen Anklage ausholt. Das Drama auf der Bühne wird begleitet vom Drama in Maertens’ Gesicht. Regisseurin Veronika Glatzner verzichtet in ihrer knapp zweistündigen Spielfassung auf allfällige Aktualisierungen (#MeToo oder das Griss um die Justiz würden sich anbieten) und konzentriert sich lieber auf die Spielfreude ihres Ensembles.

Emanuel Fellmer gibt den Gerichtsschreiber als hintertückischen Strahlemann, Eves Verlobter ist in Gestalt von Phillipp Laabmayr ein naiver Wurstel mit Wuschelkopf. Jeder der Schauspieler hat einen großen Auftritt, während Eve selbst (Hannah Rang) auf den ihren bis zum Ende warten muss. Dafür kriegt sie vom Gerichtsrat (Dominik Warta) recht unvermittelt einen Kuss auf die Lippen gedrückt.

Das ist die eine Pointe zu viel an diesem ansonsten kreisrunden Sommertheaterabend.

(Stephan Hilpold, 3.7.2021)