Dort, wo die digitale Aufrüstung der Kinderzimmer während der Corona-Krise bereits stattgefunden hat, sind auch die Bildschirmzeiten massiv gestiegen.

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Jetzt aber wirklich, Corona sei Dank! Die Pandemie habe aufgezeigt, wie wichtig die Digitalisierung sei, befindet der Bundeskanzler. Die Krise habe ermöglicht, endlich umzusetzen, was schon lange in den Schubladen vor sich hin schimmle, erklärt sinngemäß der Bildungsminister.

Auch der Koalitionspartner ist voll der Euphorie: Nichts anderes als ein "Meilenstein" sei die sukzessive Ausstattung aller Schülerinnen und Schüler mit Laptops und Tablets, befindet die grüne Bildungssprecherin. Selbst bei der Opposition fallen im Zusammenhang mit der Umstellung des Schulbetriebs auf computerunterstütztes Lernen nur dann kritische Worte, wenn es um das ihrer Ansicht nach zögerliche Tempo der ganzen Aktion geht.

Im Grunde sind sich alle einig. Die Weichen wurden bereits im Regierungsprogramm gestellt. Im Herbst sollen die ersten Schulen in die digitale Zukunft starten. Was sie dort erwartet? Wie wir künftig lernen – jedenfalls wenn alles glattgeht? Und was, wenn nicht?

Die Brille des Ministers

In der besten aller Online-Lernwelten verwenden die Schülerinnen und Schüler ihre digitalen Devices künftig vom äußersten Westen Österreichs bis ins letzte burgenländische Kaff: "Flächendeckend" soll die neue Art des Lehrens und Lernens ausgerollt werden.

Damit das funktioniert, versprechen Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP), dass bis 2023 alle Schulen mit einer Glasfaserbreitbandanbindung ausgestattet sind – jedenfalls die Bundesschulen. Weil die Freude über das Projekt anscheinend enorm ist oder weil der Unmut an den Schulen bereits entsprechend groß ist, wurde all das genau ein Jahr nach der ersten Pressekonferenz zum Thema jetzt exakt so wieder angekündigt.

Außerdem gibt das Bildungsministerium als Devise aus, dass die Devices "breitflächig" eingesetzt werden sollen. Das heißt, gelernt wird künftig so viel wie möglich online. Um sich diesem Wunschszenario anzunähern, wird im Ministerium an allen Ecken und Enden daran gearbeitet, das Megaprojekt einzuhegen.

Das Geschäft der IT-Firmen

Rund 250 Millionen Euro will die Regierung bis 2024 in ihren "8-Punkte-Plan" für die Digitalisierung der Schulen investieren. Dass der Zuschlag für die ersten 90.000 Geräte an die Firmen Lenovo und Cancom gegangen ist, ist deren rühriger Kommunikationsabteilung zu verdanken. Iris Rauskala, Kurzzeit-Bildungsministerin in Zeiten der Expertenregierung und jetzt als Sektionschefin federführend für das Digitalisierungsprojekt zuständig, ist das hörbar nicht ganz so recht.

Wohl auch, weil mit der Vorentscheidung für Gerätetypen und Betriebssysteme zahlreiche Folgefragen auftauchen, die zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht hinreichend beantwortet werden können. Ganz grundsätzlich: Die Entscheidung, womit überhaupt gearbeitet werden soll, treffen die Schulen selbst.

Zur Auswahl standen Windows-Notebooks und -Tablets, iPads, aber auch Chromebooks oder Android-Tablets. Die Mehrheit hat sich für Windows-Notebooks entschieden (42 Prozent), iPads sind für 27 Prozent der Unterrichtsbehelf ihrer Wahl. Es gibt ganze Handreichungen, welche Lösung für welchen Einsatz am sinnvollsten ist.

Mobile-Device-Management

Was nur nebenher erwähnt wird: Die Schulsoftware-Lösungen der Technikgiganten Microsoft und Google bieten auch eine Reihe von Möglichkeiten, die Datenschutzexperten wohl hellhörig werden lassen. Damit können Lehrkräfte auf die Geräte der Schüler zugreifen, Websites sperren oder gleich die Online-Anbindung während einer Schularbeit unterbinden. Im Ministerium heißt es dazu, dass "sichergestellt" sei, "dass Lehrpersonen auf persönliche Daten von Schülerinnen und Schülern nicht zugreifen".

Eine entsprechende Schulverordnung ist gerade in parlamentarischer Begutachtung. Auch darin steht, das sogenannte Mobile-Device-Management brauche es, um Funktionalität und Sicherheit aller Geräte zu gewährleisten.

Der Zugriff auf persönliche Daten der jungen Besitzer – etwa Fotos, aber auch der Browserverlauf oder Chat-Inhalte – "kann und darf nicht Gegenstand der Maßnahme sein". Die "Fernverwaltung" soll ausschließlich während des Unterrichts stattfinden und jedenfalls "nicht unbemerkt".

Das Durchwurschteln der Schulleiter

Direktorin X hat zuvor noch ein paar grundsätzliche Fragen. Etwa wo die Kinder ihre Geräte künftig aufladen sollen. "Ich habe keine Steckdosenleiste in den Klassen", berichtet die Schulleiterin dem STANDARD lieber anonym. Sie könnte zwar rund 600 Euro für ein Ladewagerl ausgeben, das dann alle müden Geräte mit neuem Saft versorgt, aber: "Ich kann ja den Kindern nicht sagen, dass sie im Austausch dafür leider kein Schulheft bekommen", wie es an Wiener Pflichtschulen üblich ist.

Direktor Y, Leiter einer Mittelschule in Vorarlberg, wartet erst einmal ab. Zunächst habe man ihm die bestellten Geräte zu Schulbeginn versprochen. Später sei von den Herbstferien die Rede gewesen. Jetzt halte man bei Weihnachten. Minister Faßmann räumte vor kurzem Verzögerungen bei der Auslieferung ein. "Im Laufe des ersten Semesters" würden die Laptops und Co dann aber wirklich auf den Schultischen landen.

Der Rat der Experten

Wenn die Geräte dann da sind – begonnen wird mit der fünften und sechsten Schulstufe –, ist die entscheidende Frage jene nach dem Wie, sagt sinngemäß Klaus Zierer, Professor für Schulpädagogik an der Universität Augsburg, zum STANDARD. Er warnt vor "blinder Digitalisierungseuphorie", sieht aber gleichzeitig – empirisch untermauert – auch Bereiche, wo die Technik sinnvoll eingesetzt werden kann. Lern-Apps etwa! Sie könnten, wenn gut gemacht, individuelles Lernen unterstützen.

Zierer: "Die sind ja so programmiert, dass aufgrund des Fehlers, den der Lernende macht, die nächste Aufgabe immer genau im Bereich der Herausforderung ist." Was man dabei aber wissen müsse: Das funktioniere nur bei "Oberflächenverständnis" – also beispielsweise beim Vokabellernen oder wenn es um Formeln oder anderes reproduzierbares Wissen gehe. Für ein "Tiefenverständnis" brauche es die Gruppe, sagt Zierer und meint damit nicht das gemeinsame Arbeiten auf dem PC.

Ähnliche "Fallstricke" gebe es de facto überall, wo Technik und Lernen miteinander in Berührung kommen. "Einfach die Technik blind reinzuschmeißen ist ein Riesenproblem", sagt Zierer. Seine Erfahrung: "In den vergangenen Jahren habe ich viel technisch unterstützten Unterricht mit viel Powerpoint erlebt. Gleichzeitig war das der schlechteste Frontalunterricht, den ich je gesehen habe." Hier zu experimentieren, hält er daher für "bildungspolitisch nicht verantwortbar" (siehe Interview auf derStandard.at).

Der Eiertanz der Lehrkräfte

Nein, viele Pädagoginnen und Pädagogen sind auch nach mehr als einem Jahr Pandemie noch nicht fit für den digitalen Unterricht. Wie sollten sie auch? Das, was jetzt im Zeitraffer als Distance-Learning etikettiert werden musste, war vielerorts nicht mehr als ein Notprogramm. Zurückgelehnt neue Kompetenzen erwerben? Dafür war schlicht keine Zeit. Also fragen sich viele Lehrkräfte (außer jenen, die ohnehin schon kompetent im Umgang mit den technischen Hilfsmitteln waren): Wie kann ich künftig meinen Unterricht sinnvoll gestalten?

Bildungsminister Faßmann setzt in Sachen Fort- und Weiterbildung ganz auf das Format der Moocs, also Massive Open Online Courses. Das Bildungsressort zählt bisher rund 30.000 Lehrkräfte, die ihre Trainingsstunden absolviert haben. Bei der Anmeldung für die Ausstattung mit digitalen Endgeräten mussten die Schulleitungen außerdem zusichern, dass sie die Fort- und Weiterbildung im Zweifel auch "anordnen".

Bildungsexperte Zierer hält wenig von diesem Ansatz. Er spricht von einer "Augenauswischerei", die man sich im Grunde "schenken" könne. Zierer verweist auf Studien: Immer noch sei das gemeinsame Lernen im Lehrerkollegium "der wichtigste Motor für Schul- und Unterrichtsentwicklung".

Wer soll die Technik warten?

Er fürchtet auch rein organisatorisch eine "krasse Überforderung" der Lehrkräfte. Wer wartet künftig all die Technik? Eine Frage, die sich auch die Lehrergewerkschaft stellt. Antwort aus dem Ministerium: Jene Lehrkräfte, die sich schon bisher darum kümmern, dass die IT im Haus funktioniert, sollen Mehrstunden erhalten.

Dann braucht eigentlich nur noch jede Pädagogin und jeder Pädagoge ein Gerät. Ganz so einfach ist das allerdings nicht. Während der Bund auch den Lehrkräften Notebooks und iPads zur Verfügung stellt, gibt es für die Pflichtschulen drei Geräte pro Klasse. Von den Ländern hat einzig der Pflichtschulerhalter Oberösterreich angekündigt, auch die Lehrkräfte mit typengleichen Devices ausstatten zu wollen. Dort ist aber auch Wahlkampf.

Mathematik gegen Englisch, so seien bei ihm in Vorarlberg die Fronten im Streit um die digitalen Schulbücher verlaufen, erzählt Direktor Y. Zwar gibt es für die Schulen heuer zusätzlich zu den rund 12,6 Millionen Euro Schulbuchbudget noch weitere sieben Millionen für die jüngeren Online-Geschwister der etablierten Printversionen.

Allein: Die sind mit zwölf Euro pro Kind gedeckelt – macht im Schnitt zwei digitale Schulbücher pro Kopf. Die Diskussionen im Lehrerzimmer waren also vorprogrammiert. "Ich verstehe nicht, warum ich die E-Books nur in Zusammenhang mit einem gedruckten Buch bestellen kann", wundert sich Schulleiter Y.

Die Abseitsstellung der Verlage

Gerhard Hauke, der sich mit seinem Verlag auf digitale Schulbücher spezialisiert, kann darin nichts anderes als eine "versteckte Subventionierung des Schulbuchhandels" erkennen. Ganz so scheint es nicht geplant. Die Zukunft der Schule stellt sich der Bildungsminister nämlich ohne Bücher vor. "Irgendwann" werde "das Gedruckte durch das digital verankerte Medium ersetzt werden", visionierte Faßman im STANDARD 2018.

Auch Sektionschefin Rauskala erklärt, dass die neuen, kompetenzorientierten Lehrpläne mit Schwenk hin zu Querschnittsthemen nicht mehr allein über das klassische Schulbuch abgedeckt werden könnten. Onlineplattformen gelten also als die Lernbehelfe der Zukunft.

Jene des Ministeriums, Eduthek genannt, wird kontinuierlich erweitert. Die Umsetzung eines Gütesiegels für Lern-Apps ist in Arbeit. Dass das nicht immer leicht ist, zeigt die Geschichte von PoDS, dem "Portal digitale Schule".

Das sollte eigentlich bereits all die verschiedenen Kanäle, auf denen in der Zeit der Corona-Unterbrechung kommuniziert wurde, bündeln, gleichzeitig digitales Klassenbuch und direkter Draht zu den Eltern sein. Über das Stadium des Pilotprojekts ist das Ganze allerdings noch nicht hinausgewachsen.

Die Hausaufgaben der Familien

Was, wenn ich als Mutter, ich als Vater nicht möchte, dass digitale Geräte bei der Schulbildung meines Kindes eine zentrale Rolle spielen? Ausweichen wird schwierig. Fast alle Schulen, die in Etappe I gefragt wurden, ob sie bei der Online-Offensive der Regierung mitmachen wollen, beteiligen sich. Und wenn der Standort sich verpflichtet hat, hängen die Eltern quasi mit drin.

Paragraf 14a des Schulunterrichtsgesetzes definiert die digitalen Endgeräte als "Arbeitsmittel", das die Erziehungsberechtigten zur Verfügung stellen müssen. Finanziell soll das pro Familie mit maximal 100 Euro Selbstkostenanteil zu Buche schlagen – Kostenbefreiung aus sozialen Gründen inklusive.

Wer zu Hause kein oder ein wenig belastbares Internet hat, muss hoffen. Datenpakete für daheim gibt es zu den neuen Geräten nämlich nicht. Im Ministerium heißt es, die Schulen sollten bei der Hausübungsverteilung "darauf achten, dass diese mit wenig Internetressourcen erledigt werden können".

Gestiegene Bildschirmzeiten

Dort, wo die digitale Aufrüstung der Kinderzimmer während der Corona-Krise bereits stattgefunden hat, sind auch die Bildschirmzeiten massiv gestiegen, weiß Bildungsexperte Zierer. Mit dem Aufrüsten der Schulen wird das nicht weniger werden.

Da komme den Eltern eine zentrale Rolle zu, auch wenn es darum gehe, das eigene Medienverhalten kritisch zu reflektieren: "Man muss auch einmal Stille aushalten können", sagt Zierer, im Blick haben, dass mehr Zeit vor dem Gerät gleichzeitig weniger Zeit für Natur und Freunde bedeute, "auch für den Bildungswert der Langeweile". Er plädiert für bewusstes Gegensteuern: "All das wird wichtiger als jemals zuvor sein, weil das zum Menschsein und zur Bildung dazugehört."

In einem der Online-Workshops, die das Bildungsressort gemeinsam mit Saferinternet für Eltern abhält, wird klar: Da kommt noch eine Reihe weiterer Aufgaben auf die Familien zu. Passwörter merken, Updates durchführen, Backups erstellen etwa. Und, ganz wichtig: Die Eltern sollten sicherstellen, dass der Akku des Geräts aufgeladen und die Kopfhörer eingepackt sind. Empfohlen wird außerdem eine Geräteversicherung, falls etwas verlorengeht. Noch Fragen? +43 720 080 356 ist die Nummer der Hotline. (Karin Riss, 3.7.2021)