Die meisten Europäer sind froh, dass mit der Wahl von Joe Biden die Phase der völlig verrückten Präsidentschaft von Donald Trump vorbei ist. Was hier aber noch nicht so richtig realisiert wird, ist der beängstigende Trend sehr großer Teile der US-Gesellschaft in eine autoritäre und undemokratische Richtung.

Darüber wird jetzt in den USA zunehmend diskutiert: Es gibt einen massiven Trend in den von Republikanern beherrschten Bundesstaaten, die Wahlrechte von Nichtweißen (Schwarzen, Hispanics, Asiaten, Indigenen) durch allerlei Tricks einzuschränken – und zwar noch mehr, als es ohnehin schon der Fall ist. So werden zum Beispiel die Briefwahl und vorzeitiges Wählen stark beschränkt, ganz abgesehen vom sogenannten Gerrymandering – dem Umzeichnen von Wahlkreisen, sodass sich keine nichtweißen Mehrheiten ergeben können.

Knapp vor dem Unabhängigkeitstag am 4. Juli hat der Oberste Gerichtshof mit seiner konservativen (nach Meinung mancher eher reaktionären) Mehrheit Versuche abgelehnt, diese Ungerechtigkeiten auf dem Klagsweg abzuschaffen. Mehr noch, das Vorhaben von Joe Biden, die "voting rights" zu stärken, wird von einem einzelnen eigenen Senator boykottiert, dessen Stimme notwendig wäre, um die massive Ablehnung der Republikaner zu durchbrechen.

Unterschiedliche Wahlmodalitäten

Das US-amerikanische Wahlsystem ist veraltet und ungerecht. Die "Wahlmänner", die theoretisch gegen die Mehrheit der Wählerstimmen ihre Stimme jenem Präsidentschaftskandidaten unabhängig vom Wahlergebnis geben können – wozu Trump ja auch einige anstiften wollte; der Wahltag an einem Dienstag (Arbeitstag); die je nach Bundesstaat völlig unterschiedlichen Wahlmodalitäten.

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Donald Trump scheint schon so in seinem Wahn gefangen, dass er verlauten lässt, er werde im August wieder als Präsident eingesetzt.
Foto: AP/ Eric Gay

Neu ist hingegen, dass eine Partei, die Republikaner, nach wie vor Millionen ihrer Anhänger glauben lässt, ihr Präsidentschaftskandidat Trump hätte eigentlich gewonnen und nur durch Wahlbetrug verloren. Diese gefährliche Lüge wird immer noch von einer großen Zahl von Republikanern geglaubt, und Trump selbst scheint schon so in seinem Wahn gefangen, dass er verlauten lässt, er werde im August wieder als Präsident eingesetzt.

Sein zeitweiliger Sicherheitsberater, ein ehemaliger General, redet inzwischen davon, dass die Armee die Macht übernehmen solle. Dieser Wahnsinn hat aber Methode. Dahinter steht das schlichte Faktum, dass sich die Republikaner als Partei der weißen Vorherrschaft betrachten.

Etwa um 2050 werden die Weißen in den USA eine knappe Minderheit bilden. Sie befürchten, dass es dann vorbei ist mit gewissen Vorrechten – und sei es nur mit dem Gefühl, die herrschende Rasse zu sein. Wenn vor allem die relativ armen Weißen, die Arbeiter, kleinen Geschäftsleute und Farmer mit schlechter sozialer Absicherung und weitverbreitetem Opioidkonsum, nichts mehr haben, was ihnen ein Bewusstsein der Überlegenheit gibt, dann ist für sie Weltuntergang.

Das ist übrigens der Hintergrund des Sturms eines (ganz überwiegend weißen) Mobs auf das Kapitol am 6. Jänner, angefeuert durch Trump selbst und organisiert von rechtsradikalen Gruppen. Der für sie verhängnisvolle Wahlausgang, zustande gekommen durch eine Allianz von weißem liberalem Bürgertum und verschiedenen Minderheiten, sollte annulliert werden. Die Bilder zeigen "white trash", weiße Unterschichtler, die ihre Welt zusammenbrechen sehen.

Das ist extrem gefährlich und darf in der Freude über den Sieg des so gemäßigten Joe Biden nicht vergessen werden. Gewalttätige Versuche, die Folgen der soziologischen Entwicklung irgendwie aufzuhalten, wird es weiter geben, vielleicht bis zum Terrorismus.

Die Politologen Steven Levitsky und Daniel Ziblatt argumentieren in ihrem Bestseller How Democracies die, dass "in unserem politischen System nicht die Mehrheit regiert. Die Anlage der Verfassung und jüngste Trends der politischen Geografie – wo Demokraten und Republikaner leben – haben sich unabsichtlich verschworen, um im Effekt eine Minderheitsherrschaft zu erzeugen." Diese Minderheitsherrschaft wollen die Republikaner und ihre Anhänger aufrechterhalten. (Hans Rauscher, 3.7.2021)