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Immer mehr Unternehmen strömten an die Börse – wie die Online-Spieleplattform Roblox im März. Ein gutes Zeichen oder ein Warnsignal?

Foto: Reuters

Die internationalen Aktienmärkte haben im ersten Halbjahr 2021 zu einem Höhenflug angesetzt, der nahezu alle Börsen und Branchen erfasste. Denn nachdem in der Frühphase der Corona-Krise vor allem Technologie- und Internetwerte von den Auswirkungen der Pandemie und der Lockdowns profitierten, gab es spätestens mit der Zulassung erster Covid-Impfstoffe auch für den breiten Aktienmarkt kein Halten mehr.

Die Bilanz der ersten sechs Monate kann sich mit durchwegs zweistelligen Kurszuwächsen sehen lassen: Der Weltindex MSCI World etwa verbuchte eine Wertsteigerung um fast 13 Prozent. Die meisten anderen großen Indizes bewegten sich in ähnlichen Regionen. Mit einer erfreulichen Ausnahme: Die vergleichsweise beschauliche Wiener Börse ließ mit einem Sprung des Leitindex ATX um 24 Prozent aufhorchen – und die Großen damit hinter sich.

Belastbare Ursachen

Aber warum auch nicht? Es gibt belastbare Ursachen für den Höhenflug der Börsen. Die Weltwirtschaft hat inzwischen Fahrt aufgenommen, die Konjunkturbarometer sprangen in vielen Ländern auf Rekordniveaus. Wobei insbesondere die Industrie, die beim Wachstum bis zur Corona-Pandemie tendenziell hinter dem Dienstleistungssektor hinterherhinkte, nun wieder Tritt gefasst hat. Schließlich liefen Produktionsbetriebe fast ungestört weiter, während die Lockdowns für viele Dienstleister Stillstand bedeuteten. Ein Umstand, der nicht nur die Wiener Börse, sondern viele europäische Märkte unterstützte, wo klassische Industrie noch stärker am Finanzmarkt vertreten ist als etwa in den USA. Dort findet man dafür wesentlich mehr Technologiewerte als auf dem alten Kontinent.

Ruck durch die Industrie

Wie sehr der Ruck durch den produzierende Sektor gegangen ist, zeigt sich an den vielen Engpässen, die sich derzeit offenbaren. Von Halbleitern über Haushaltsgeräte, von Fahrrädern bis Baumaterialien – Weiterverarbeiter oder Konsumenten müssen mehr Geld dafür in die Hand nehmen und mitunter lange auf Lieferungen warten. Das zeigt sich auch im maritimen Güterverkehr: Die Kapazitäten der Reedereien können derzeit die Nachfrage nicht befriedigen, auch Standardcontainer sind mitunter knapp geworden. Und viele Rohstoffe wie das Industriemetall Kupfer notieren auf Mehrjahreshochs.

Um es kurz zu halten: Dies sind alles Anzeichen, welche die zuletzt immer wieder aufkeimenden Inflationssorgen der Börsianer befeuern. In den USA erreichte die Teuerung im Mai bereits die Fünf-Prozent-Marke – der höchste Stand seit der Finanzkrise. Auch in Europa flackert die Inflation auf, wenngleich auf tieferem Niveau. Die internationalen Notenbanken gehen davon aus, dass die Teuerung nächstes Jahr wieder merklich nachlassen werde – also bei etwa zwei Prozent liegen sollte, was die Währungshüter unter Preisstabilität verstehen.

Viel billiges Geld

Daher bleiben die Notenbanken der extrem expansiven Geldpolitik seit Ausbruch der Pandemie vorerst treu. Aber wie lange noch? Die US-Notenbank Fed muss laut ihrem Chef Jerome Powell zufolge bei einem anhaltenden Aufschwung über einen Plan zum Abschmelzen der Anleihenkäufe verfügen. Stimmen in seinem Haus gehen davon aus, dass dies noch heuer der Fall sein dürfte. Ein erster Zinsschritt in den USA kommt demnach möglicherweise schon im nächsten Jahr. Die EZB wird bei einer geldpolitischen Straffung zeitlich wohl hinterherhinken.

Für Anleger wäre eine anhaltend hohe Inflation wegen der zu erwartenden Reaktion der Währungshüter die Achillesferse des laufenden Börsenwunders – das viele billige Geld der Notenbanken war schließlich der Treibstoff des Rekordlaufs der Börsen. Sollte dies wegfallen, droht eine magerere Phase an den Weltbörsen anzubrechen.

Boom an Börsengängen

Auffallend war zuletzt auch der Boom an Börsengängen. Die Frage dahinter lautet: Ist dies nur ein Nachholeffekt nach dem Emissionsstau des Corona-Jahres 2020 oder bereits ein Warnsignal? Denn in Spätphasen von langen Aufwärtsbewegungen häufen sich diese üblicherweise – schließlich können Altaktionäre ihre Papiere zu hohen Kursen an das Börsenvolk abgeben. Ob dies bereits der Fall ist, bleibt abzuwarten. Sicher ist auf Dauer aber eines: Zweistellige Kurszuwächse pro Halbjahr sind auf Dauer mit Aktien ohnedies nicht zu erzielen. Vielmehr liegt die langfristige Rendite pro Jahr nur bei etwa sieben Prozent, wobei die Dividenden bereits inkludiert sind. (Alexander Hahn, 4.7.2021)