Vor rund 5500 Jahren wurde es für Menschen in Europa ungemütlich: Wissenschaftlichen Erkenntnissen zufolge ist damals in relativ kurzer Zeit die sesshafte Bevölkerung stark zurückgegangen. Sie stoppte den Ausbau ihrer Siedlungen und scheint gewissermaßen verschwunden zu sein: Genetischen Analysen zufolge wurden sie bald durch andere Bevölkerungsgruppen ersetzt, die aus der zentralasiatischen Steppe nach Europa kamen.

Die am meisten akzeptierten Erklärungen für den Zusammenbruch von Mega-Siedlungen sind der Raubbau an der Umwelt, mit einem Rückgang oder sogar dem Aussterben der Wälder und der Ausdehnung der Steppenumgebung und/oder eine Konfrontation mit den nach Nahrung suchenden Steppenpopulationen

Woran dieser rapide Bevölkerungsrückgang genau lag, ist noch unklar, und es gibt verschiedene Theorien dazu. Verantwortlich könnten veränderte Klimabedingungen gewesen sein, aufgrund derer sich die Wälder zurückbildeten und stattdessen die Landschaftsform der Steppe überhand nahm. Auch die Konkurrenz mit Steppenpopulationen um Nahrung könnte eine Rolle gespielt haben. Eine weitere Theorie rückt Krankheiten in den Fokus – und ist der Fall komplex, könnten solche Gründe miteinander in Wechselwirkung gestanden und gemeinsam dafür gesorgt haben, dass der Überlebensstress für die ansässigen Menschen plötzlich größer wurde.

Prähistorische Krankheitserreger

Eine aktuelle Studie bringt nun ein neues Puzzleteil ins Spiel. In einem mehr als 5000 Jahre alten Individuum aus Lettland entdeckte ein Forschungsteam Hinweise auf den Pesterreger Yersinia pestis. Die Gruppe rund um Ben Krause-Kyora von der Universität zu Kiel in Deutschland untersuchte DNA aus den Zähnen und Schädelknochen von vier Personen, die vor 5050 bis 5300 Jahren lebten und nahe der Ortschaft gefunden wurden.

Dabei handelte es sich um ein Baby, eine junge Frau und zwei Männer, wie das Team im Fachjournal "Cell Reports" berichtet. Ihre Überreste kamen bei unterschiedlichen Ausgrabungen an der Fundstätte Riņņukalns ans Licht: Eine fand vor wenigen Jahren statt, die andere schon im 19. Jahrhundert.

Im Knochenmaterial wurde der Erreger Y. pestis nachgewiesen.
Foto: Dominik Göldner, BGAEU, Berlin / AFP

"Bisher war wenig bekannt über die Jäger, Fischer und Sammler, die zu dieser Zeit in Nordosteuropa lebten, und über ihre Belastung durch Infektionskrankheiten", sagt der Biochemiker und Archäologe Ben Krause-Kyora. Daher untersuchte er mit seinem Team die vier Individuen, die in der Nähe des lettischen Burtnieksees bestattet wurden, auf Anzeichen bekannter bakterieller oder viraler Krankheitserreger.

Bei einem der Männer, der im Alter von 20 bis 30 Jahren verstarb, fielen neben DNA-Fragmenten auch Proteine auf, die auf das Pestbakterium hinweisen. Er ist also mit einer Form von Pest in seinem Blutkreislauf gestorben – "das älteste bekannte Pestopfer", wie Krause-Kyora es formuliert.

An oder mit der Pest verstorben?

Die relativ hohen Mengen an Bakterien-DNA, die die Forschenden nachweisen konnten, sprechen ihrer Ansicht nach dafür, dass der Mann einige Zeit mit der Pest gelebt haben könnte. Das deutet auf einen eher milden Krankheitsverlauf hin.

Das könnte auch damit zusammenhängen, dass sich der Erreger deutlich von anderen Y. pestis-Formen unterscheidet. Evolutionär betrachtet spaltete sich dieser Bakterienstamm vor ungefähr 7200 Jahren von den neueren Formen ab und ist damit der älteste bekannte Peststamm. Heute ist er ausgestorben, aber auch in früheren Epochen wie der Jungsteinzeit und der Bronzezeit wurden bisher andere Formen nachgewiesen.

Keine Verbreitung durch Flöhe

Eine wichtige Abweichung: Dem ältesten Stamm fehlt offenbar ein Gen, das die Verbreitung der Pest durch Flöhe möglich macht. "Der Floh scheint einer der Hauptvektoren zu sein, die die wirklich schnelle Verbreitung und Infektion während des Mittelalters antrieben", sagt Krause-Kyora. Dieser Verbreitungsweg sorgte für die Beulenpest, die auch als "schwarzer Tod" bezeichnet wird: Die Erreger wandern zu Lymphknoten, die anschwellen, hart werden und sich dunkel verfärben.

Der Mann aus dem heutigen Lettland hatte relativ viel Pestbakterien-DNA in sich. Das Forschungsteam vermutet, er lebte für längere Zeit mit den Erregern, die eher schwache Symptome auslösten.
Foto: Dominik Göldner, BGAEU, Berlin / AFP

Der lettische Pest-Infizierte war allerdings von einer anderen Krankheitsform betroffen. Womöglich gelangten die Bakterien durch einen Nagetierbiss in sein Blut. "Anders als erwartet unterstützen unsere Daten die bisherige Hypothese einer Lungenpestpandemie in dieser Zeit nicht", sagt Krause-Kyora. "Stattdessen weisen unsere Analysen darauf hin, dass diese sehr frühe Form des Pesterregers wahrscheinlich weniger übertragbar und möglicherweise sogar weniger virulent war als spätere Stämme."

Indizien gegen Pestepidemien

Kommt die Pest also als Krankheit, die für den steinzeitlichen Rückgang der Bevölkerung verantwortlich war, infrage? Krause-Kyora geht nicht davon aus: "Wir denken, dass diese frühen Formen von Y. pestis nicht wirklich große Ausbrüche verursachen konnten." Stattdessen sprechen die wenigen Fälle, die bisher in oft größeren zeitlichen und örtlichen Abständen voneinander nachgewiesen wurden, für einzelne zoonotische Übertragungen von Tieren auf Menschen. Vermutlich habe es keine Übertragung von Mensch zu Mensch gegeben, wie sie vor allem bei der Lungenpest per Tröpfcheninfektion auftritt.

Weitere Indizien, die seiner Ansicht nach gegen eine Pestepidemie sprechen: Das Pestbakterium wurde auch in antiken Bevölkerungen außerhalb von Westeuropa nachgewiesen, bei denen es wohl zu keinem solchen Rückgang kam. Auch seien steinzeitliche Pestgruben selten, der lettische Fund wurde nach seinem Tod ebenfalls sorgfältig bestattet.

Unterschiedliche Meinungen

Sein Kollege Johannes Müller, Leiter des Instituts für Ur- und Frühgeschichte an der Universität Kiel, sieht das ähnlich: "Aus archäologischer Sicht ist dieser Befund wichtig, da er nahelegt, dass Infektionen mit dem Pestbakterium nicht zu großflächigen transformativen gesellschaftlichen oder politischen Veränderungen in der Jungsteinzeit geführt haben."

Allerdings gibt es auch Forscher, die anderer Meinung sind. Der Molekularbiologe Simon Rasmussen von der Universität Kopenhagen, der nicht an dieser Studie beteiligt war, sagte dem Guardian gegenüber, die Arbeit schließe einen massiven Einfluss der Pest nicht aus: "Die Lebenszeit des Individuums überschneidet sich mit dem neusteinzeitlichen Bevölkerungsrückgang und es starb sehr wahrscheinlich an der Pest-Infektion."

Weitere Funde nötig

Es gebe wenig Beweise dafür, dass die steinzeitlichen Bakterienstämme nur eine leichte Erkrankung herbeiführten, sagt Rasmussen. Und da es damals bereits große Siedlungen mit bis zu 20.000 Ortsansässigen und Handel gab, könnte sich die Pest in Europa zu jener Zeit durch menschliche Interaktion ausgebreitet haben.

Rasmussen ist auch durch eigene Forschung zu einem Vertreter dieser Hypothese geworden: Er war an der Untersuchung einer steinzeitlichen 20-Jährigen aus einer schwedischen Bauerngemeinde beteiligt. Sie starb vor etwa 4900 Jahren, auch bei ihr konnten Pesterreger nachgewiesen werden. Um nachzuweisen, was letztendlich für das Aussterben weiter Teile der europäischen Population verantwortlich war, bedarf es aber wohl weiterer Funde. (Julia Sica, 3.7.2021)