Agnès Godard: "Bei Frauen hat es aber manchmal den Anschein, es gäbe nur einen Typus von Filmemacherinnen. Das stimmt aber gar nicht!"

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Sie ist bekannter als so mancher ihrer Kollegen, und das in einer Zunft, die immer noch von Männern dominiert wird. Ihren ersten Kinofilm als Alleinverantwortliche für Kamera drehte Agnès Godard 1991 mit Regielegende Agnès Varda: Jacquot de Nantes. Davor war sie Assistentin von Robby Müller in mehreren Filmen von Wim Wenders (u. a. Paris, Texas). Vor allem aber assoziiert man Godard als die engste Verbündete von Claire Denis, deren Körperkino sie maßgeblich mitgeprägt hat. Auf dem heute, Dienstag, beginnenden Filmfestival von Cannes erhält Godard den Pierre Angénieux Tribute – er würdigt die Arbeit eines "Director of Photography", der die Filmgeschichte geprägt hat.

STANDARD: Cannes wird seit Jahren verlässlich dafür kritisiert, zu wenig Regisseurinnen in den Wettbewerb zu laden. Dieses Jahr sind es vier von 24. Was muss sich ändern?

Godard: Ich weiß nicht, wie man das verbessern kann. Wäre es gut, eine Parität im Wettbewerb zur Pflicht zu machen? Das wäre eine Momentlösung. Idealerweise geht es um eine Auswahl von Regisseuren, unabhängig von ihrem Geschlecht. Die Entwicklung verläuft langsam, aber sie hat an Kraft zugelegt.

STANDARD: Speziell bei Kamerafrauen ist die Kluft noch größer. Rachel Morrison war 2018 die erste für einen Oscar nominierte Frau. Hat das damit zu tun, dass mit Technik immer noch Männer assoziiert werden?

Godard: Ich war die erste Frau in Frankreich, die zuerst für einen César nominiert und dann auch ausgezeichnet wurde. Das war 2001, und da hat man das nicht einmal erwähnt. Diese Frage hat sich einfach nicht gestellt. Für mich war das okay, denn ich habe es auch als Preis für einen "Kameramann" gesehen. Ich habe viel Kontakt mit jungen Kamerafrauen, sie betrachten es nicht mehr als großes Hindernis, eine Frau zu sein. Auch wenn es natürlich immer noch da ist.

STANDARD: Wie äußert sich das?

Godard: Als ich begonnen habe, war es vor allem aus einem Grund schwierig: Als Director of Photography musste man eine Crew managen, die vornehmlich aus Männern bestand. Das ist mittlerweile kaum noch ein Thema. Bei größeren Budgets sieht man allerdings immer noch wenige Kamerafrauen, da gibt es die gläserne Decke noch. Aber auch da ändert sich langsam etwas. Vielleicht ist es auf diese Weise sogar besser, weil es solider ist. Ich bin zuversichtlich. Vielleicht auch deshalb, weil es in Frankreich immer schon mehr Regisseurinnen gab.

STANDARD: Sie haben mit besonders vielen Regisseurinnen gedreht, nicht nur mit Claire Denis, auch mit Ursula Meier. Geht es da auch um eine besondere Affinität?

Godard: Ich habe tatsächlich viel mit Frauen gedreht, habe das aber eigentlich nie so entschieden. In Wahrheit sind die Persönlichkeiten von Regisseuren ja völlig unterschiedlich – bei männlichen Filmemachern ist das überhaupt kein Thema, bei Frauen hat es aber manchmal den Anschein, es gäbe nur einen Typus. Das stimmt aber gar nicht!

STANDARD: Natürlich, aber das Werk von Claire Denis, ihre Ästhetik, ist ohne sie auch nicht vorstellbar!

Godard: Ich weiß gar nicht so genau, wie das zwischen uns wirklich funktioniert. Vielleicht, weil wir schon so lange miteinander arbeiten. Es sind zuallererst filmische Begegnungen. Wir haben zur gleichen Zeit begonnen, es war wohl eine gewisse Vorstellung von Film, die uns wechselseitig befruchtet hat. Für mich war es ein Spaziergang in eine Welt, die mir nicht vertraut war. Ich musste jedes Mal erst meinen Weg finden. Vielleicht ist es der Glaube an das Kinematografische, der uns verbindet. Das klingt so mystisch, obwohl ich das gar nicht bin!

STANDARD: Wenn man dieses "Je ne sais quoi" definieren will: Über eines ihrer gemeinsamen Meisterwerke, "Beau travail", habe ich gelesen, dass Sie während des Drehs nie das Material gesichtet haben.

Godard: Claire arbeitet so. Sie verbindet die Zutaten wie in einer Küche: einen Ort, eine Landschaft, eine Figur; dann wartet sie, was für eine Wirkung das generiert. Es ihre Art, das Abenteuer die ganze Zeit aufrechtzuerhalten. Es bleibt immer ein wenig offen, was am Set passiert – wie bei einer chemischen Reaktion. Das ist ihr großes Talent: die Bedingung für etwas zu schaffen, das man noch nie gesehen hat. Es ist keine Wiederholung, sondern immer die Geburt einer Szene. Zu Beginn war ich unsicher, weil man hinter der Kamera auf so viel Technisches achten muss, aber ich lernte, der Intuition Raum zu gewähren.

STANDARD: In "Meine schöne innere Sonne" haben Sie ein 70-mm-Objektiv verwendet, um "der Haut eine Kurve zu verleihen", wie Sie sagten. Das beschreibt schön Ihren haptischen Stil.

Godard: Es freut mich, dass Sie das sagen. Ich hatte das Gefühl, dass dieses Objektiv die Haut zärtlich, geschmeidig, weicher machte. Ich wusste, Claire wollte Juliette Binoche sehr attraktiv aussehen lassen – wie eine Cremetorte. Wie in einem Stummfilm, wo man nur das Gesicht sieht: Augen, Mund, Nase, Haare. Die Idee einer Frau mit der Singularität von Juliette Binoche. Manchmal möchte ich mit der Kamera den Eindruck vermitteln, ich würde jemanden berühren. Das Kino braucht dieses Geheimnis. Es ist davon abhängig. Es gäbe sonst keinen Grund, um eine Geschichte auf der Leinwand zu sehen.

STANDARD: Gibt es eine bestimmte stilistische Idee, die Sie schon immer gern verwirklichen wollten?

Godard: Oh ja, ich will schon seit langem einen Kriegsfilm machen! Viele Mittel, die man für den Film verwendet, Kameras, Objektive, Zeitlupen, sind für die Armee erfunden worden. Sogar die Sprache ist militärisch: Man schießt einen Film. Das ist sehr seltsam. Und beide meiner Großväter waren Soldaten im Ersten Weltkrieg und die Einzigen aus ihrem Regiment, die überlebt haben. Sie wurden verfolgt von diesen Bildern. Kriegsfilme bewegen mich: Saving Privat Ryan, Full Metal Jacket, Apocalypse Now. Wir werden alle dasselbe Ende nehmen. Man sieht Körper, die lebendig sind, im nächsten Moment sind sie tot. (Dominik Kamalzadeh aus Cannes, 5.7.2021)