Nina Schuikis Arbeit "Store" (Windstoß) lässt das im Umbruch befindliche Gebäude auf dem Grazer Mariahilferplatz aus- und aufatmen. Die Schau zeigt Werke von drei Generationen.

Foto: Johannes Rauchenberger/Kultum

Wir atmen, solange wir leben, seufzen wir alle drei Minuten und obwohl Atem als etwas Lebenspendendes, in vielen Kulturen Göttliches gesehen wird, wissen wir spätestens seit 2020: Im Atem anderer kann auch der aerosole Tod lauern.

Die Gruppenausstellung Einatmen – Ausatmen in den renovierten, teilweise noch im Umbruch befindlichen Gebäudetrakten der Kultum-Galerie beim Minoritenkloster ist Lebenszeichen und Beschwörung nach den Lockdowns zugleich. Verstörend, witzig und auch hoffnungsfroh sind die Arbeiten von 19 Künstlerinnen und Künstlern, die Kultum-Chef Johannes Rauchenberger und Katrin Bucher Trantow vom Kunsthaus Graz gemeinsam kuratiert haben. Zum Teil wurden sie für das Haus geschaffen und spielen mit dem Ausnahmezustand.

Daneben gibt es auch Beiträge von Altvorderen wie die titelgebende legendäre Arbeit von Marina Abramović und ihrem verstorbenen Ex-Partner Ulay: Breathing in – Breathing out. Das Video der 1977 erstmals gezeigten Performance, in der sich das Paar scheinbar küsst, tatsächlich aber gegenseitig beatmet, flimmert beim Eingang der Ausstellung aus einem Bildschirm. Im Kurzfilm Chairs (1971) von Maria Lassnig taucht die Malerin mit einer Gasmaske auf. Das war freilich alles lange vor Corona genauso wie der 1970 von Valie Export auf einem anderen Bildschirm geatmete Hauchtext.Liebesgedicht.

Im Schlund der Erde

Doch zuvor muss man durch den Hof des Minoritenklosters. Hier muss sich die Erde aufgetan haben, eine Bank ist ihr dabei schief im Schlund stecken geblieben. Ist sogar der alte Kirschbaum gewandert? Nein, Markus Wilfling hat die Figur des Heiligen Nepomuk versetzt und auch sonst umgegraben. Das früher klar strukturierte Geviert mit dem zur Stille mahnenden Heiligen ist Sinnbild für die Gewalt der Pandemie, nach der nichts ist, wie es war. Schonungslos, schnörkellos wie man es aus Wilflings Bildsprache kennt.

Nach dem Stillstand der Kulturszene haucht Nina Schuiki dem Gebäude weithin sichtbar Leben ein: In ihrer Installation Store (Windstoß) atmet das Haus aus, nicht ein. Weiße Gardinen wehen aus den Fenstern. Die technische Lösung dazu ist recht simpel und offenbart sich auf den von Schuiki bespielten Gängen.

Daniel Amin Zaman hat Wesen aus Seilen gewickelt und auf den Gängen quasi aufgebahrt, auch ein Wortspiel mit dem Begriff Seele, wie man das elastische Innere eines Seils auch nennt. Von Ferdinand Penker ist eine Art schwebendes Bett zu sehen.

Das Seufzen der Orgel

Im Cubus, dem ehemaligen Oratorium des Minoritenklosters, wartet eine intime, intensive und traurige Arbeit. Die Künstlerin Isabella Kohlhuber lässt hier an den letzten Atemzügen ihres verstorbenen Partners, dem Kurator Dirck Möllmann, teilhaben. Möllmann ließ ihr die Aufnahme – vermutlich bewusst – auf ihrem Telefon zurück: entfernte Stimmen, das Piepsen von Krankenhausmaschinen und Atemzüge. Gleich hinter der Mauer liegt der Altarraum der Minoritenkirche: Zwei Mal am Tag kann man Heribert Friedls Tears of C hören. Wassertropfen, ein Hackbrett und das Seufzen des Orgelblasebalgs.

(Colette M. Schmidt, 6.7.2021)