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Migranten an der Grenze zwischen Kroatien und Bosnien.

Foto: AP / Eldar Emric

Wien/Graz – In einem der Fälle von Pushbacks von Geflüchteten an der südsteirischen Grenze, die im Vorjahr dokumentiert wurden, hat das Landesverwaltungsgericht Steiermark am Montag entschieden, dass die Zurückweisung nach Slowenien zu Unrecht erfolgt ist. Die betroffenen Migranten hätten ein Recht auf ein Asylverfahren gehabt. Ein zurückgeschobener 21-Jähriger sei sowohl in seinem Recht auf Achtung der Menschenwürde als auch in seinem Recht auf ausreichende Dokumentation verletzt worden, schrieb der zuständige Richter in dem dem STANDARD vorliegenden Urteil.

Der Fall des 21-jährigen Marokkaners Ayub N. sowie sechs anderer Personen, die am 28. September 2020 an der Grenzkontrollstelle Sicheldorf in der Steiermark von heimischen Polizisten aufgegriffen wurden, wurde von der Initiative Border Violence Monitoring dokumentiertder STANDARD hat berichtet . Die insgesamt sieben Personen hätten gegenüber österreichischen Polizisten das Wort "Asyl" gesagt und seien damit vorübergehend aufenthaltsberechtigt gewesen, hieß es. Trotzdem wurden sie ohne Einleitung eines Asylverfahrens an die slowenische Polizei übergeben. Rechtsanwalt Clemens Lahner, der die Gruppe vertritt, reichte deshalb eine Maßnahmenbeschwerde gegen die Polizei ein, der nun stattgegeben wurde.

In der entscheidenden Frage, nämlich ob das Wort "Asyl" gesagt wurde oder nicht, steht es Aussage gegen Aussage. Der Beschwerdeführer behauptet es sei mehrmals auf englisch und französisch gesagt worden. Von den beteiligten Polizisten erinnerte sich laut Gericht niemand das Wort gehört zu haben. Es sei jedoch "glaubwürdig, dass der Beschwerdeführer in Anbetracht einer möglichen Zurückweisung nach Slowenien sein Verlangen nach Asyl in hörbarerweise kundgetan hat", heißt es im Erkenntnis. Außerdem seien die Migranten nicht gefragt worden was sie in Österrich wollen.

Gericht: Pushbacks teilweise methodische Anwendung

Die in der Grenzkontrollstelle Sicheldorf anwesenden Sicherheitsorgane hätten "jedenfalls das hörbare Verlangen nach Asyl wahrnehmen müssen", so der Richter. Auch sei durch die Art und Weise der Personendurchsuchung in die Intimsphäre des Mannes (Ayub N., Anm.) eingegriffen worden. Obwohl er sich während der gesamten Amtshandlung ruhig und kooperativ verhalten hatte, musste sich der 21-Jährige in einem einsehbaren Raum vor den Behörden vollständig entkleiden. Das sei "jedenfalls unverhältnismäßig" gewesen und stelle einen "gravierenden Eingriff in die individuelle Persönlichkeitssphäre laut Europäischer Menschenrechtskonvention (EMRK)" dar, hieß es weiter in der Begründung des Richters.

Aus dem geschilderten Verfahrensablauf – dass etwa die Polizisten die Geflüchteten nicht gefragt haben, was diese in Österreich wollten, dem Negieren des Wortes "Asyl" sowie der Zurückweisung, weil keine Ausweispapiere vorhanden waren – kam das Gericht weiters zum Schluss, "dass 'Push-Backs' (sic) in Österreich teilweise methodisch Anwendung finden. Der Umstand, dass die slowenische Polizei die Zurückgewiesenen offensichtlich ohne nähere Befragung übernimmt, lässt sich in der darauffolgenden Kettenabschiebung nach Kroatien und letztendlich nach Bosnien und Herzegowina begründen." Slowenische NGOs hatten im November 2020 gegenüber dem STANDARD erklärt, dass bei ihnen laufend Migranten auftauchen, die von solchen Zurückweisungen durch die österreichische Polizei berichten.

Innenministerium fühlt sich nicht zuständig

Rechtsanwalt Lahner bezeichnete das Urteil als "deutliche Mahnung an das Innenministerium, die systematische Missachtung des Rechtsstaats schleunigst abzustellen". Wenn sich die Polizei anmaße, zu entscheiden, wer überhaupt ein Asylverfahren bekomme und wer nicht, dann sei das illegal. Für die betroffenen Migranten bedeutet die Gerichtsentscheidung nicht, dass Sie nach Österreich zurückkommen dürfen.

Im Innenministerium will man auf Nachfrage nichts zu der Entscheidung sagen – das sei Sache der steirischen Polizei. Diese prüft aktuell die Möglichkeit einer außerordentlichen Revision an der Verwaltungsgerichtshof, sagt ein Sprecher. "Dass Pushbacks in irgendeiner Form systematisch angewandt werden, weise ich aber entschieden zurück."

"Der Fisch stinkt vom Kopf her", so Lukas Gahleitner-Gertz von der Asylkoordination. "Wir reden von systematischen Menschenrechtsverletzungen, menschenunwürdiger Behandlung und Ignorieren rechtsstaatlicher Grundsätze durch die Polizei in Österreich. Es ist vollkommen unglaubwürdig, dass das ohne Wissen und Wollen des Innenministers und seines Beamtenapparats stattfindet."

Grüne: "Pushbacks sind und bleiben illegal"

Die mitregierenden Grünen zeigten sich "beunruhigt" über das Urteil und die richterlichen Ausführungen. Migrations- und Menschenrechtssprecherin Ewa Ernst-Dziedzic ergänzte: "Pushbacks sind und bleiben illegal, daran ändert sich auch nichts, wenn diese unter den Teppich gekehrt oder negiert werden. Einer schleichenden Legitimation durch stillschweigende Duldung dieser illegalen Praxis erteile ich eine klare Absage. Jetzt liegt es am Innenminister und den zuständigen Behörden, den rechtskonformen Zustand wieder herzustellen und die 'Methode Pushbacks' konsequent zu unterbinden."

Die oppositionellen Neos wiesen darauf hin, dass der Innenminister noch im Vorjahr in der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage beteuert habe, "dass solche Push-backs bei uns nicht stattfinden".

Zurückweisungen an der Grenze ohne die individuelle Prüfung des Schutzbedarfs – sogenannte Pushbacks – sind laut Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und EU-Recht illegal. Trotzdem gibt es seit einigen Monaten immer mehr Berichte über solche Rückschiebungen, vor allem aus dem Mittelmeerraum von Griechenland Richtung Türkei, aber eben auch von Kettenabschiebungen entlang der sogenannten Balkanroute. (jop, APA, 5.7.2021)