Es hätte das Sommermärchen der deutschen Grünen werden sollen: Umfragewerte so hoch, dass die Union zittert. Die erste Kanzlerkandidatin in der Parteigeschichte. Und der nicht vollkommen unrealistische Traum von der Eroberung des Kanzleramtes.

Doch drei Monate nach der Nominierung von Annalena Baerbock steht die Ökopartei vor einem Trümmerhaufen. Die Kampagne für ein grüneres Deutschland ist nicht nur gescheitert, sie konnte ja gar nicht erst beginnen, weil nur die Fehler Baerbocks Thema sind.

Drei Monate nach der Nominierung von Annalena Baerbock stehen die deutschen Grünen vor einem Trümmerhaufen.
Foto: imago images/Martin Müller

Das ist nicht immer fair. CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet hat eine für ihn peinliche Passage in seinem Lebenslauf gleich weggelassen, SPD-Mann Olaf Scholz als Finanzminister bei der Aufsicht von Wirecard keine rühmliche Rolle gespielt. Aber ausgeschlachtet wird der Fall Baerbock.

Da kommt schon ein bisschen Mitleid auf. Doch das hält sich in Grenzen. Denn Baerbock hat ja tatsächlich einige Böcke geschossen: Bonuszahlungen, die dem Bundestag nicht gemeldet wurden, die Fehler im Lebenslauf. Und nun erweist sich ihr Buch als Katastrophe. Immer mehr Passagen darin bekommen den Stempel: abgekupfert. Dementsprechend – und wenig erstaunlich – geht es in den Umfragen bergab, und jeder neue Vorwurf bringt die Grünen wieder einen paar Schritte weg vom Kanzleramt.

Schlechte Vorbereitung

Man staunt über zweierlei: erstens darüber, dass Baerbock so schlecht vorbereitet in den Wahlkampf aufgebrochen ist. Zweitens darüber, dass viele Grüne jetzt so wütend sind und von "Rufmord" sprechen.

Robert Habeck sollte übernehmen.
Foto: Imago / Frederic Kern

Sie unterliegen der Fehleinschätzung, dass das Land nur auf eine junge Frau gewartet hat und diese selbstverständlich gern unter großem Jubel ins Kanzleramt trägt. Das ist aber nicht der Fall. Natürlich wollen fast alle irgendwie grün sein. Aber man schaut schon auch, was das alles kosten wird und ob man jemandem, der keinerlei Erfahrungen im Regieren hat, ein so hohes und verantwortungsvolles Amt zutraut.

Im Wahlkampf geht es nie bloß um Fakten, sondern sehr stark auch um ein Gefühl. Immer mehr Deutsche haben den Eindruck, Baerbock sei nicht geeignet für diesen Topjob. Man fragt sich: Wie soll es im Kanzleramt klappen, wenn schon der Wahlkampf so schiefgeht?

Gemein? Gnadenlos? Einer jüngeren Frau gegenüber? Ja, vielleicht. Aber die Grünen hätten wissen müssen, wie Wahlkampf und wie auch Dirty Campaigning funktioniert. Es geht nicht um den Vorsitz in irgendeinem Kreisverband, sondern ums Kanzleramt.

Habeck als Alternative

Baerbock hat so stark an Glaubwürdigkeit verloren, dass ihre Kampagne nicht mehr zu drehen sein dürfte. Natürlich können die Grünen – jetzt erst Recht – mit Baerbock weitermachen.

Dann werden sie am Wahltag die Quittung bekommen und keine große Rolle bei der ökologischen Neugestaltung des Landes nach Angela Merkel spielen. Klüger wäre es, die Notbremse zu ziehen und Robert Habeck die Kanzlerkandidatur übernehmen lassen.

"Erst das Land, dann die Partei", lautet ein etwas pathetisches, aber nicht unkluges Motto in der Politik. Bei den Grünen müsste es nun heißen: "Erst das Land und die Ideen, dann die Person."

Baerbock sollte das einsehen oder zum Einsehen gebracht werden. Noch nie war so viel Grün möglich wie jetzt in der deutschen Politik. Aber nicht, wenn die Partei einfach stur so weitermacht wie jetzt. (Birgit Baumann, 5.7.2021)